Design-Ausstellung:Was ist Schönheit - und warum brauchen wir mehr davon?

SAGMEISTER & WALSH: Beauty

B wie Beauty: Schon die Gestaltung der Typografie stimmt ein Hohelied auf die Schönheit an.

(Foto: Sagmeister & Walsh, New York)
  • Stefan Sagmeister und Jessica Walsh suchen im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) nach Schönheit in der heutigen Zeit.
  • Mit Glitzernebel und Gitarrensound trägt die Ausstellung zwar dick auf, spricht aber alle Sinne der Besucher an.
  • Knackpunkt bleibt dennoch die Frage, wie Schönheit definiert werden kann. Sagmeister & Walsh versuchen, sich davon nicht in die Enge treiben zu lassen.

Von Laura Weißmüller

Der Blick aus dem Bürofenster: ein Straßengeflecht. Dahinter triste, beigegraue Wohnhäuser, mal mehr in die Höhe gezogen, mal eher in die Breite gewalzt. Das einzige ästhetische Highlight ist die Müllverbrennungsanlage aus geometrischen Kisten und Schornsteinen, die manchmal sogar weißen Rauch in den bedeckten Himmel pusten. Inspirierend? Nein, außer man beschäftigt sich gerade mit den Schattenseiten des Angestelltendaseins und dem immer weiter ausufernden Siedlungsbrei der Städte.

Genau in diese gebaute Tristesse stößt die Ausstellung "Beauty" im Österreichischen Museum für Angewandte Kunst (MAK) in Wien, die im Frühjahr nach Frankfurt ziehen wird. Wobei der Titel der Schau, die große Flächen des Museumsbaus am Stubenring bespielt, in dieser Zeitung nur unvollständig wiedergegeben werden kann. Stimmt doch schon die Gestaltung der Buchstaben, das schlanke himmelwärts strebende B oder das so keck in die Tiefe einen Anker werfende y, das Hohelied auf die Schönheit an.

Gesunde empfinden in schöner Umgebung weniger Stress, Kranke genesen schneller

"Wir werden demonstrieren, dass schöne Werke nicht nur mehr Freude machen, sondern auch viel besser funktionieren", schreiben die Gastkuratoren Stefan Sagmeister und Jessica Walsh zum Auftakt der Schau. Dass sie bei ihrer Überzeugungsarbeit alle Sinne des Besuchers ansprechen wollen, wird schon auf den ersten Metern klar. Wer das MAK betritt, durchschreitet einen feucht glitzernden Nebelvorhang. Die Eintrittskarte ist aus fein gestanzter, etwas dickerer Pappe, die angenehm in der Hand liegt, und an der Decke der Säulenhalle bewegen sich weiße Plastiktüten zum Pathossound von Gitarrenmusik.

Zugegeben, das kann man kitschig oder etwas zu dick aufgetragen finden - dem Gesamtanspruch folgend tragen die Museumswärter Pullover mit Strasssteinchen -, doch diese Art der direkten Ansprache funktioniert erstaunlich gut. Wie schon bei dem vergangenen Projekt, "The Happy Show", nimmt der Grafikdesigner Stefan Sagmeister die Besucher bei seiner Suche nach der Antwort auf die Frage, was Schönheit ist und welche Bedeutung sie für die Gesellschaft hat, einfach mit.

Jeder sieht, fühlt, riecht, tastet, hört und schmeckt sich dann selbst seinen Weg durch die Schau. Begleitet von Sagmeisters amerikanisch ausgewaschenem Vorarlberger-Sound an den Hörstationen, vergisst man rasch, dass der Designer, der seit Jahren in New York lebt, die Ausstellung diesmal zusammen mit seiner Büropartnerin Walsh kuratiert hat.

So unterschiedlich die Argumente sind, die sie in "Beauty" aufführen, so sehr passiert das im Sagmeister'schen Schönschrift-Duktus, der bisweilen etwas hohepriesterlich daherkommt. Nur: Der Mann und die Frau haben recht. Die Gegenwart muss dem Ringen um Schönheit, das seit der Nachkriegszeit kaum mehr ernsthaft betrieben wurde, endlich wieder mehr Gewicht verleihen.

Das zeigen schon die Forschungen zum Wert von Schönheit, deren Ergebnisse in der Schau natürlich nicht in nüchternen Excel-Tabellen oder schnöden Textwüsten vermittelt werden, sondern in unterhaltsamen und farbenfrohen Videoclips oder Installationen.

Etwa, dass kranke Menschen in schöner Umgebung schneller gesund werden und dabei weniger Schmerzmittel benötigen. Dass weniger Stresshormone ausgeschüttet werden, wenn wir den Ort, an dem wir uns aufhalten, schön finden. Oder auch, dass das Glücksempfinden von Erwachsenen stärker davon beeinflusst wird, ob ihnen die Stadt, in der sie leben, schön erscheint, als davon, wie sauber sie ist. Schließlich beweist es auch die Studie mit Alzheimer-Patienten, die herausfand, dass der Sinn für Schönheit selbst dann noch funktioniert, wenn die Funktionen des Gehirns schon schwer beschädigt sind. Das Verständnis für Schönheit scheint also offenbar zum Elementarsten des Menschen zu gehören.

Gibt es ein Universalrezept für Schönheit?

Nur, was überhaupt ist Schönheit, und gibt es Kriterien dafür? Liegt die Schönheit in der Sache oder im Auge des Betrachters? Sagmeister und Walsh holen weit aus. Platon wird zitiert, für den Schönheit ein moralischer Wert war. Was gut ist, ist auch schön, und was schön ist, gut. Aber auch symmetrisch behauene Steinbeile, die eine Million Jahre alt sind, werden hier gezeigt. Sie illustrieren, dass schon unsere Vorfahren Wert darauf legten, etwas schön zu machen. Denn ob ein Steinbeil symmetrisch ist oder nicht, beeinflusste ja nicht seine Funktionalität. Mit einem nicht-symmetrischen Steinbeil hätte man einen Säbelzahntiger genauso gut töten können. Dennoch bemühten sich die Menschen schon damals, ihren Werkzeugen eine Ästhetik zu verleihen. Was allerdings nicht die Frage beantwortet, was Schönheit denn nun ist.

Doch darum geht es hier nicht. Was auf den ersten Blick vielleicht etwas enttäuschend, dann aber umso klüger ist, begäbe sich die Ausstellung doch sonst schnell in eine Sackgasse. (Was man in dem Teil der Ausstellung merkt, wo Sagmeister und Walsh ihre persönlichen schönsten Stück der MAK-Sammlung präsentieren und jeder Besucher vermutlich andere Objekte ausgewählt hätte.)

SAGMEISTER & WALSH: Beauty

Manifest für die Schönheit: Stefan Sagmeister & Jessica Walsh.

(Foto: John Madere)

Alles sieht überall gleich aus, klagt Sagmeister, nur die Steckdosen unterscheiden sich

Ein Rezept für Schönheit kann es nicht geben, nicht für eine Generation, geschweige denn für die Ewigkeit. Dafür ist die menschliche Kultur zu komplex. Aber den Wert von Gestaltung über die Funktion hinaus, den gibt es eben doch. Und zwar für alle. Schöne Dinge werden sorgfältiger behandelt, weswegen eine ästhetisch ansprechende Gestaltung so etwas wie der Nachhaltigkeitsfaktor Nummer eins ist. Den Kölner Dom wollte schließlich noch niemand abreißen. Die Schau zeigt Beispiele von Stadtverschönerungsmaßnahmen, die die Menschen den Ort plötzlich ganz anders wahrnehmen ließen. Wie die ehemals triste Brooklyner Unterführung, die ein Künstler mit einem riesigen "YES" bemalt hat, und die seitdem zum beliebten Ort für Hochzeitsfotos geworden ist.

Schönheit ist aber auch der Ausdruck von Wertschätzung denjenigen gegenüber, die das Gestaltete benützen oder bewohnen. Kein Wunder, dass die Ausstellung deswegen mit dem Betonfetischismus der Moderne hart ins Gericht geht. Wer an Le Corbusiers Plan denkt, die Pariser Altstadt abzureißen, um Punkthochhäuser aufzustellen, kann nur dankbar sein, dass diese Idee nie über den Entwurf hinaus kam. Der Glaube an die funktionale Stadt hat das Menschliche aus den Metropolen verbannt und damit einhergehend die ortsspezifische Schönheit, was wiederum zur Vorstellung passen würde, dass der Mensch ein tief in ihm verwurzeltes Streben nach Schönheit besitzt.

Architekten wie Le Corbusier, Mies van der Rohe oder Adolf Loos sind in den Augen von Sagmeister und Walsh denn auch dafür verantwortlich, was danach auf der Welt passierte: Betonkästen im Internationalen Stil, mal längs, mal quer aufgestellt und zwar so homogen, dass man vergisst, wo man sich gerade auf dem Globus aufhält. "Um herauszufinden, in welcher Stadt Sie gerade gelandet sind, versuchen Sie Ihr Telefon aufzuladen: Das Einzige, was gleich sein sollte, wird verschieden sein. Jede Steckdose ist anders."

Mit Widersprüchlichkeiten oder der Tatsache, dass hinter den Betonkästen heute, anders als noch bei Le Corbusier, kein Gestaltungsprogramm, sondern knallharte Wirtschaftsinteressen stehen, beschäftigt sich die Ausstellung nicht. Genauso wenig damit, dass vom Versprechen auf Schönheit ganze Wirtschaftszweige leben, die unseren Planeten nicht schöner machen: Stichwort Umweltverschmutzung und Müllberge durch die Mode- und die Kosmetikindustrie. Doch all das schmälert nicht den Genuss, die Ode an die Schönheit, die hier angestimmt wird, zumindest mitzusummen. In ihrem Manifest erklären Stefan Sagmeister und Jessica Walsh unter Punkt 8: "Design kann Schönheit schaffen. Für alle. Überall." Wenn das mal kein Ziel für 2019 ist.

Sagmeister & Walsh: Beauty. MAK, Wien. Bis 31. März. Katalog (Verlag Hermann Schmidt) 40 Euro. Ab 10. Mai ist die Ausstellung im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt, zu sehen.

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