Desaster im Irak:"Ich bin für diesen Krieg"

Zwei Gefolgsleute Saddam Husseins sind am frühen Morgen hingerichtet worden. Einige deutsche Künstler und Wissenschaftler hatten den Irak-Krieg anfangs unterstützt. Nur manche betrachten dies heute als Irrtum.

Sonja Zekri

Für Wolf Biermann hat das Ganze wohl die unangenehmsten Folgen. Ausgerechnet er, der linke Liedermacher, war im März 2003 George W. Bush mit biermann-üblicher Emphase beigesprungen: "Ich bin für diesen Krieg, damit das ganz und gar klar ist!" hatte er von der Konzertbühne gerufen.

Wolf Biermann; Irak; Krieg

Wolf Biermann: Spott für "Nationalpazifisten"

(Foto: Foto: dpa)

Zwar wisse er auch nicht, warum der amerikanische Präsident die Beweise über die Massenvernichtungswaffen zurückhalte, grübelte er in Interviews: "Ich behaupte aber, dass absolut jeder weiß, ob er nun für oder gegen den Krieg ist, dass Saddam all diese Waffen besitzt."

Im Spiegel verspottete er die Kriegsgegner als "Nationalpazifisten", die "Frieden irgendwie geiler als Krieg finden". Heute, vier Jahre später, kosten ihn Sätze wie dieser wohl die Ehrenbürgerwürde Berlins (SZ vom 13. Januar).

Als unvermeidlich verteidigt

Biermann war vielleicht der ungewöhnlichste, aber nicht unbedingt der radikalste unter den hiesigen Kulturschaffenden, die den Irak-Feldzug wenn nicht für legitimierbar hielten, so doch als unvermeidlich verteidigten: Literaten und Wissenschaftler wie Hans Magnus Enzensberger oder Herfried Münkler, György Konrád oder Leon de Winter boten dem Militärschlag intellektuellen Flankenschutz.

Es war eine verbissene Debatte, denn es ging um mehr als den Irak. Die Zukunft der arabischen Welt stand auf dem Spiel, ja, eine neue Weltordnung schlechthin.

Der Frankfurter Soziologe Karl Otto Hondrich leitete aus der schier übermächtigen Dominanz Amerikas sogar die Theorie einer neuen "Weltgewaltordnung" ab: Nicht die Passagiere des "europäischen Traumschiffs" oder die zahnlose UN könnten das Fundament für eine globale Gesellschaft schaffen, sondern allein die "ordnende Gewalt" des Hegemons Amerika.

Alle Versuche der Deutschen, diese zu schwächen, seien "Sünde", der Irak-Krieg eine Art notwendige Wiedergutmachung für die narzisstische Kränkung einer Supermacht, die sich - auch im Interesse der Welt - kein Anzeichen von Schwäche erlauben konnte: "Amerika übt Vergeltung für die ungeheure kollektive Verletzung, die ihm am 11. September 2001 widerfahren ist. Solange sie ungesühnt ist, verwischt sich die Unterscheidung zwischen Gut und Böse", schrieb Hondrich.

Entrückt klingende Worte

Heute, wo der Hegemon im Irak täglich auf so bedrückende Weise scheitert, dass die Supermacht-Rhetorik so gut wie verstummt ist, klingen diese Worte - wie die gesamte Debatte - unendlich entrückt. Inzwischen hängt der Irak-Feldzug der Bush-Regierung wie ein Mühlstein um den Hals, selbst die versprochene Entsendung neuer Truppen wird weniger als Befreiungsschlag empfunden denn als fast lemmingehafter Reflex.

Und doch räumen nur wenige ihren Irrtum so umstandslos ein wie György Konrád. Als Präsident der Berliner Akademie der Künste hatte er sich damals mit anderen osteuropäischen Intellektuellen wie Adam Michnik und Václav Havel vom Zauber des Tyrannensturzes blenden lassen und das Appeasement der Linken gegenüber dem Despoten heftig angegriffen: "Wir, ehemalige Dissidenten Mitteleuropas, sind daran interessiert, dass es weniger Diktaturen auf der Erde gibt", schrieb er.

Heute sagt er, da habe man vielleicht die ostmitteleuropäischen Erfahrungen mit Transformationen etwas zu schnell auf den Irak projiziert und die zentrifugalen Kräfte des religiösen Fanatismus unterschätzt, so Konrad in entwaffnender Offenheit: "Das war wohl etwas oberflächlich."

"Ich bin für diesen Krieg"

Andere Bellizisten werden gar nicht gern an ihre einstigen Argumente erinnert. Hans Magnus Enzensberger hatte Mitte April 2003 gejubelt:

Hans Magnus Enzensberger; Irak; Krieg

Hans Magnus Enzensberger: Jubel über geringe Opferzahlen

(Foto: Foto: dpa)

"Fest steht, dass noch nie ein Krieg von solcher Dimension so wenige Opfer gefordert hat wie dieser", und vorwurfsvoll angefügt, noch nie seien "diese Opfer mit so großer Emphase in allen Weltmedien gezeigt" worden.

Angesichts von derzeit über 100 Toten täglich im Irak beschränkt er sich inzwischen auf eine Analyse der amerikanischen Nachkriegspolitik, die er mit der US-Politik im besiegten Deutschland vergleicht, und kommt zu dem wenig überraschenden Ergebnis, dass es den Amerikanern beim ersten Mal besser gelungen ist.

"Sie stoßen hier auf eine Wand"

Mangelnde Sprachkenntnisse, ungenügende Aufklärung über Land und Leute, eine instabile Sicherheitslage in den ersten Nachkriegswochen, kurz, im Irak sei die Vorbereitung auf die Nachkriegszeit "unter aller Sau" gewesen: "Der militärische Sieg war nie das Problem."

Dass die Schwächen der Nachkriegsplanung bereits vor dem Feldzug bekannt waren, dass gerade die hochfahrende Ignoranz der Falken gegenüber einer in Kriegen verrohten, durch das Embargo ausgelaugten irakischen Gesellschaft von vielen Kriegsgegnern als unkalkulierbares Risiko angeführt wurde, mag der Schriftsteller nicht kommentieren: "Sie stoßen hier auf eine Wand!" Dann beendet er das Gespräch.

Dabei könnten es sich die Kriegsbefürworter ganz einfach machen und sich auf die Position der Getäuschten zurückziehen. Warum, hatte der zugegebenermaßen notorisch liberale Schauspieler Tim Robbins unlängst gefragt, könne man "ein Amtenthebungsverfahren gegen einen Präsidenten einleiten, der wegen eines Blowjobs gelogen hat" - also Clinton -, "aber nicht gegen einen Präsidenten, der über Informationen gelogen hat, die zu Krieg, Zerstörung, Chaos und zum Tod von mehr als 100 000 Menschen geführt haben" - also Bush?

Aber die Massenvernichtungswaffen waren nur ein Teil der Argumentation und für den Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler nicht einmal der wichtigste: "Daran habe ich nie geglaubt." Entscheidender war für ihn die Drucksituation in der arabischen Welt, eine explosive Mischung aus Rückständigkeit, Repression und irakischen Expansionsgelüsten.

Projekt an "technischen Fehlern" gescheitert

Der von Saddam befreite Irak als eher säkularer, vergleichsweise entwickelter Staat hätte der Beginn eines "Prosperitätsregimes" sein sollen, das auf die Region ausstrahlte und später in einen Demokratisierungsprozess mündete: Krieg als "Antioxidationsmittel" in einer "Pulverfass-Situation", wie sie im arabischen Raum herrschte, hält Münkler bis heute für vertretbar.

Das amerikanische Projekt sei an "technischen Fehlern" gescheitert, an der Ablösung der sunnitischen Eliten, an der Auflösung des Baath-verseuchten Staatsapparates, an der ideologisch begründeten Illusion eines prototypisch demokratisierten Irak - "nicht als Projekt selbst", sagt Münkler.

Damit bewegt er sich in ähnlichen Argumentationsschleifen wie Enzensberger und andere, die die Notwendigkeit eines Krieges durch eine phantastische Nachkriegsprognose begründeten, aber heute angesichts des täglichen Desasters die Legitimität des Militärschlages von der Nachkriegsentwicklung abspalten wollen. Das Ziel wurde um einen Kilometer verfehlt, aber die Mittel waren dennoch richtig.

Erstaunlicherweise führt selbst das vernichtende Urteil über die amerikanische Regierung nicht unbedingt zu einer Revision der hegemonialen Ordnungssehnsüchte.

"Verblasenes babtistisches Ideal"

Zwar habe sich George W. Bush als der vielleicht schlechteste Präsident seit Gründung der Vereinigten Staaten erwiesen, sagt der Romanist Hans Ulrich Gumbrecht, Stanford-Professor und amerikanischer Staatsbürger, doch nie habe er sich das Ausmaß der Naivität vorstellen können, die "Dreistigkeit" einer Administration, die auf ihre eigenen Lügen von Massenvernichtungswaffen hereingefallen ist, die nicht rationale Interessen - Sicherung der Öl-Reserven, Schutz Israels - verfolgte, sondern einen Kreuzzug für ein "verblasenes baptistisches Ideal" führte: "Und doch halte ich es noch immer für keine schlechte Sache, wenn es eine militärische Macht gibt, die über ein globales Einschüchterungspotenzial verfügt."

Amerika sei besser als Bush. Heute engagiert sich Gumbrecht für den demokratischen Senator Barack Obama. Der Weltpolizist muss bleiben. Er bekommt nur eine neue Uniform.

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