Der Zweite Weltkrieg in Computerspielen:Wie es wirklich nicht war

Sie rasseln mit Realismus: Neue Computerspiele wollen den Zweiten Weltkrieg "hautnah" zeigen - und vermitteln doch nur soldatische Tugenden.

TOBIAS MOORSTEDT

Der D-Day hat vier Megabyte. Es ist eben ein schweres und komexes Thema. Um es zu verarbeiten, braucht man Daten. "Szenario Loading", blinkt es auf dem Bildschirm, ein dünner roter Strich frisst sich wie eine rückwärts laufende Zündschnur über das hochauflösende, sepiafarbene Gemälde zweier US-Soldaten. Trommeln und Trompeten dröhnen aus den Dolby-Surround-Boxen. Das Szenario wird geladen, vier Gigabyte im leichten Festplatten-Gepäck. Dann beginnt der Krieg.

Der Zweite Weltkrieg in Computerspielen: "Facharbeiter des Krieges" - und wem schwinden wieder zuerst die Kräfte? Natürlich den Intellektuellen mit Nickelbrille. Bild zum Spiel: "Brothers in Arms"

"Facharbeiter des Krieges" - und wem schwinden wieder zuerst die Kräfte? Natürlich den Intellektuellen mit Nickelbrille. Bild zum Spiel: "Brothers in Arms"

(Foto: Foto: Ubisoft)

Vier Gigabyte, etwa die Kapazität einer DVD, sind eine Unmenge an Information - so viel wie etwa 80000 Seiten Papier, zweieinhalb Stunden Film oder unzählige Powerpoint-Präsentationen zum Thema. Um den D-Day zu erklären, könnte man die Silberscheibe also vollstopfen mit allerhand Schriftlichem, mit Landkarten, Strategieskizzen, Meldungen, Geheimdepeschen, mit Interviews, Fotos und Filmen. Die Softwarefirma Ubisoft nutzt die Informationsmenge anders. In ihrem Videospiel "Brothers in Arms" reproduziert sie die Normandie von 1944 und die Weltkriegs-Front als einen Erlebnisraum. Darin führt der Spieler ein amerikanisches Platoon durch die ersten Tage der Invasion. "Ein dreidimensionales Geschichtsbuch", heißt es im PR-Material, und: "Es gab Bücher, Fotos und Filme über diese Zeit. Aber noch nie hatte man die Möglichkeit, durch die Zeit zurückzureisen. Bis jetzt."

"Brothers in Arms" ist nur eines von vielen Videospielen über den Zweiten Weltkrieg, das im Sog der Jahrestage der Befreiung Europas in die Regale gelangte: "Battlefield 1942", "Soldiers - Heroes of WWII", "Medal of Honour: European Assault", "Day of Defeat" oder "Call of Duty", so heißen sie. Die Videospiel-Szene feiert das Kriegsende auf dem virtuellen Schlachtfeld. Die Spiele über den Zweiten Weltkrieg besetzen laut Csports.Net gegenwärtig sechs der ersten zehn Plätze der Onlinespiel-Charts, mit mehr als sechs Millionen Usern im vergangenen Monat. Manche Spiele wie "Soldiers" oder "Battlefield" geben dem Spieler das Kommando über eine ganze Armee. Die meisten Spiele aber verzichten auf die Welt-Sicht der Generalität und zeigen die Perspektive des Fußsoldaten. In so genannten Ego-Shootern, die dem Spieler "Kampf hautnah" und ein "realistisches Fronterlebnis" versprechen, und: "Nachdem Sie dieses Spiel erfahren haben, können Sie fast sagen: Ich bin dabei gewesen."

Die virtuellen Selbsterfahrungskurse in Sachen Krieg passen besser in den zeitgeschichtlichen Diskurs, als es den Anschein hat. Geht es doch auch bei den übrigen Memory-Medienproduktionen weniger ums Nachdenken über den Zweiten Weltkrieg als um das Nacherleben und Nachfühlen. Lärmende "Kriegsdokus" im Fernsehen betäuben die Zuschauer-Ratio mit Marschmusik-Soundtrack und der Überwältigungsästhetik der ewig marschierenden Stiefel und implodierenden Städte. Die Knopp'schen Interviewcrescendi und die omnipräsenten Dokudramas versuchen, abstrakte Geschichte auf den Gesichtern der Beteiligten spürbar zu machen - das zerfurchte Gesicht der Zeitzeugen dient dabei als Leinwand zweiter Ordnung. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn sich nun auch das Videospiel, dem ja immer wieder vorgeworfen wird, dass es seinen Rezipienten stärker und schonungsloser in seinen Sinnzusammenhang integriere, dieser reizintensiven und verkaufsfördernden Thematik widmet. Auch die Kriegspiele wollen etwas vermitteln, nämlich "wie es damals wirklich war" - so die Produktwerbung für "Brothers in Arms". "Saving Private Ryan" war gestern. "Being Private Ryan" ist heute.

Die Softwarefirmen betreiben dafür einen Rechercheaufwand, dem man mancher öffentlich-rechtlichen Dokumentation wünschen möchte - sie arbeiten mit Militärberatern, Museen und dem Pentagon zusammen. Denn Authentizität ist ihr zentraler Werbeslogan. "Brothers in Arms" etwa brüstet sich mit "authentischen Missionen und Taktiken", mit der digitalisierten Topografie der Normandie und dem simulierten Wetter des Juni 1944. Die Firma "Electronic Arts" wirbt für ihr Spiel "Medal of Honour" mit "wahren Schauplätzen" und "35 authentischen Waffentypen".

Der tatsächliche Wert der Rekonstruktionswut aber bleibt fraglich. Die exakte Darstellung der Ausrüstung eines US-Fallschirmjägers - etwa: Splitterhandgranate, Morphiumampullen, Reservemagazine, Messer, Gasmaske - kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Spieler ihr Gewicht nicht auf seinen Schultern spürt. Wie überhaupt alles Schwere in der Kriegssoftware unsichtbar und unspürbar bleibt. Es ist ein Realismus der Oberfläche, nicht der Geschichten oder gar der Geschichte. "Die Spiele bereiten nichts vor und bereiten auch nichts nach", schreibt der Medienpädagoge Jürgen Fritz, "sie liefern nur ein historisches Stichwort" - welches dem Spieler einen Vorwand für das Kämpfen und ein exotisches Spielbrett bietet, den Herstellern hingegen die Legitimation für ein weiteres Ballerspiel. Doch wer wollte einen konservativen Kulturwächter benennen, in den USA zumal, welcher das Verbot eines Spiels fordert, das "Medal of Honour" heißt.

Der Zweite Weltkrieg heißt in den USA auch "der gute Krieg". Es gibt also auch "gute Gewalt". Diese suggerierte Analogie macht es den Bildmedien einfach, wie der Historiker Gerhard Paul schreibt, "dem katastrophischen, antizivilisatorischen Ereignis des Krieges eine Ordnungsstruktur zu verpassen, die dieser per se nicht besitzt". Die Kriegsspiele orientieren sich dabei an tradierten Mustern, welche "soldatische Tugenden" wie Mut, Treue und Ehre in den Vordergrund rücken oder den Soldaten als "Facharbeiter des Krieges" (Ernst Jünger) zeigen. Auf dem Holodeck der Weltkriegs-Spiele kommt der Holocaust nicht vor. Denn im aseptischen Diskursraum des Videospiels ist der Blick auf eine Mission und ihre Erfüllung konzentriert. Egal ob Wehrmacht, Marines, Ghurkas, Rote Armee - alles nur Soldaten, welche "tapfer und ehrenvoll" ihren Job erfüllen, wie etwa die Erzählerstimme in "Soldiers - Heroes of WWII" immer wieder betont.

Als nicht bildwürdig hingegen gelten laut Paul "Szenen, die das Leiden der eigenen Soldaten, das Elend, die Erschöpfung, die Angst und den Hunger abbilden" - um den Krieg als Option und die Gewalt als Mittel eben nicht vollkommen zu diskreditieren. Ausgerechnet hier mangelt es den Kriegsspielen an Realismus. Zwar spritzt ein wenig Blut, und Granaten schleudern Soldaten durch die Luft, aber es wird nicht gelitten. Die Gegner kippen weg wie die Indianer in den Western der Hollywood-Frühzeit.

"Die Kriegsspiele verweigern sich der klassischen Aufgabe des historischen Diskurses", schreibt deshalb der Videospieltheoretiker Patrick Crogan, "eben zu verhindern, dass die Geschichte sich wiederholt." Eine ethische Positionierung des Rezipienten werde im Videospiel zugunsten des "Trainings und zum Zweck der Kontrolle" abgewertet.

"Die Wirklichkeit des Krieges wird niemals in die Bücher finden", hat Walt Whitman während des amerikanischen Bürgerkriegs geschrieben. Auch wenn Computerspiele mit Realismus rasseln, machen sie niemals erfahrbar, was Kriege sind, warum sie geführt werden und welche Folgen sie haben. "Brothers in Arms" etwa versucht den Shell-Shock, das Betäubt-Sein nach einer Explosion, durch ein verzerrtes Bild, lautes Pfeifen und Taumeln zu simulieren. Doch das ist nicht der Krieg. Auch für das Videospiel gilt der Satz, den der Regisseur Sam Fuller mal für das Kino formulierte: "Um dem Zuschauer zu zeigen, wie der Krieg wirklich ist, müsste man ein MG neben der Leinwand aufbauen, und ein paar Salven ins Publikum feuern."

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