Süddeutsche Zeitung

Der Tod als Kunstwerk:Da geht noch was

Bislang hat der Künstler Gregor Schneider die Grenze vom ästhetischen Schein zum wirklichen Tod nie überschritten. Jetzt will er einen Menschen im Museum sterben lassen.

Holger Liebs

"Mein Ziel ist es, die Schönheit des Todes zu zeigen": Noch ist nicht gewiss, ob es ein Toter oder ein Sterbender sein wird, den der Künstler Gregor Schneider als Kunstwerk ausstellen will; auch der Ort der Zurschaustellung des - vollendeten oder fortschreitenden - Siechtums steht noch nicht fest. Schneider hält das Haus Lange in Krefeld für ideal, würde aber, falls das Museum sich weigert, auch sein eigenes Haus, das "tote haus u r" in Mönchengladbach-Rheydt, für die Aktion auswählen, wie er jetzt The Art Newspaper offenbarte.

Jenes "tote haus u r", sein Eigenheim, ist vom Künstler selbst in jahrzehntelanger Arbeit zu einem unheimlichen Labyrinth voller Fallen, Höhlen und schalldichten Verliesen umgebaut worden - als er das Interieur im Jahr 2001 nach Venedig verfrachtete und dort im Deutschen Pavillon wiederaufbaute, gewann er den Goldenen Löwen der Kunstbiennale. Schneider hat sich mit den Zellen in Guantanamo beschäftigt, mit der Kaaba und mit sensorischer Deprivation - er ist ein anerkannter Meister der doppelbödigen Raumerfahrung.

Bei klarem Verstand

Auch der Tod spielt schon lange eine tragende Rolle in seiner Kunst, nicht nur in "toten" Räumen - als sein Alter Ego Hannelore Reuen etwa posierte Schneider schon wie tot in Ausstellungen. Derzeit ist eins seiner Labyrinthe im Pariser Maison Rouge aufgebaut. Nun sagt er, er wolle eine Person im Rahmen einer künstlerischen Arbeit zeigen, die gerade eines natürlichen Todes stirbt oder soeben gestorben ist. Die Düsseldorfer Pathologin Roswitha Franziska Vandieken will Schneider bei der Suche nach geeigneten Personen helfen.

Darf Schneider das? Wie findet er einen geeigneten Todgeweihten? Wird jemand dem Sterbenden zuschauen dürfen? Wie weit geht die künstlerische Freiheit? Was heißt überhaupt "natürlicher Tod"? Reicht es, wenn der Sterbende sein Einverständnis gibt? Was geschieht anschließend mit dem Leichnam? Und was sagen eigentlich die Beteiligten dazu?

Martin Hentschel, Direktor der Krefelder Kunstmuseen, weiß noch nichts von seinem Glück; er ist verblüfft, dass "ein Künstler über Medien ein Projekt ankündigt, ohne mit dem Museum zu reden". Vandieken indes weiß mehr: "Das Projekt beschäftigt Schneider schon lange Jahre. Aber wir entwickeln das erst." Man suche "jemanden, der gerade gestorben ist oder der eventuell sogar bereit ist, zu sterben. Es gibt Menschen, die sich der Anatomie zur Verfügung stellen. Aber es muss selbstverständlich jemand sein, der eine freiwillige Entscheidung bei klarem Verstand trifft." Die rechtlichen Aspekte der Aktion werfen alleine schon genug Fragen auf. Doch entscheidend ist: Schneiders geplante Aktion scheint an ein Tabu, an das letzte Tabu zu rühren; er wagt, kalkuliert oder nicht, die ultimative Grenzüberschreitung.

Kein Tabu mehr

Nun ist er nicht der erste Künstler, der das Sterben dokumentiert - und ästhetisiert, also zu Kunst erklärt. Darstellungen des Todes und des Sterbens begleiten die abendländische Kunstgeschichte seit Jahrhunderten; so verschiedene Ausstellungen wie "Le dernier portrait" in Paris (2002) mit zahlreichen Bildern von Toten oder Gunther von Hagens' Plastinationen finden enormen Zulauf; seit 2004 tourt in Deutschland die Wanderausstellung "Noch mal leben vor dem Tod. Wenn Menschen sterben", die Fotografien von Schwerstkranken vor und nach ihrem Exitus zeigt.

Im vergangenen Jahr erschien ein taz-Journal mit dem Titel: "Endlich. Tod - kein Tabu mehr". Die Beiträge selbst gerieten differenzierter als die provokante Schlagzeile. Doch die Bilder eines Verwesenden in einer forensischen Anstalt in Knoxville, Tennessee waren kaum zu ertragen. Kein Tabu mehr - wirklich?

Diese letzte Grenze, die wir gerne verdrängen, ist gleichzeitig eine unausgesetzte Obsession der Menschheit, vom einstigen Kult der Totenmasken bis zu den quotenträchtigen TV-Forensikern à la "CSI" - das ist das Paradox. Als Ferdinand Hodler seiner Frau malend beim Sterben zusah, tat er das noch im Namen einer höheren symbolischen Ordnung - diese eindringlichen Bilder sind jetzt gerade ausgestellt, im Kunstmuseum Bern. Damals galten die Werke als skandalös - trotz der ihnen zugrunde liegenden Vision, dass dem Tod im harmonischen Zyklus des Werdens und Vergehens ein tiefer Sinn innewohne.

Das wirkliche Sterben

Doch im 20. Jahrhundert tauchten Bilder sinnlosen Sterbens schließlich überall auf - und die Künstler gingen ihrerseits daran, zum Zweck einer unmittelbareren, radikaleren ästhetischen Erfahrung den eigenen Körper zu bearbeiten, ja sich dem Risiko des eigenen Ablebens auszusetzen, wie Chris Burden oder Marina Abramovic. Der Tabubruch wurde zum künstlerischen Stilmittel. Als Oliviero Toscani für Kleideranzeigen einen Aids-Toten fotografierte, war die Aufregung groß - aber da ging es um Werbung mittels eines kalkulierten Schocks, um "Radical Advertising", wie das heute heißt; die Empörung war verständlich. Wenn der Künstler Anri Sala ein sterbendes Pferd auf der Straße abfilmt, regt sich dagegen kaum noch jemand auf, allenfalls herrscht Mitleid mit der bedauernswerten Kreatur.

Schneider jedoch will anscheinend noch weiter gehen. Der Tod tritt bei ihm in Echtzeit ins Leben. Das mag in seinem verstörenden Œuvre eine gewisse Konsequenz haben; doch die Umstände seiner Ankündigung lassen es fraglich erscheinen, ob dem Sterbewilligen, so sich denn jemand findet, am Ende genügend Pietät widerfahren wird, ob er in Würde sterben kann.

Und: Bislang hatte Schneider, selbst in seiner unheimlichsten Erlebniskunst, die Grenze vom ästhetischen Schein zum wirklichen Sterben nie überschritten. Diese Gratwanderung - dass man nie weiß, was echt und was inszeniert ist - machte nicht zuletzt den Reiz seiner Arbeit aus. Mit dem Tod als Live-Erfahrung überschreitet er diese Grenze.

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Quelle:
SZ vom 19.04.2008/ehr
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