Süddeutsche Zeitung

Der Strand und der Klimawandel:Land unter

Noch ist der Strand der Lieblingsort der Reichen und Schönen. Wenn der Meeresspiegel ein paar Meter höher steigt, hat sich's ausgeträumt.

Ivo Goetz

Bevor alles in den steigenden Fluten versinkt, schauen wir noch mal zurück, was am Meer seit dem frühen Mittelalter so passiert ist. Bis auf ein paar Ausnahmen, das kann man so sagen, waren die Leute sehr lange gar nicht gern unten am Wasser.

Wer es sich leisten konnte, saß möglichst weit oben in den Bergen oder wenigstens auf einem Felsen, auf dem Berg Athos oder dem Mont-Saint-Michel, hinter sehr hohen Festungs- oder Klostermauern - und wenn die damals Reichen, Schönen und Mächtigen ihre Höhen einmal verlassen mussten, legten sie einen Metallpanzer an und ließen sich auf das höchstmögliche Pferd hieven.

Insgesamt galt im Mittelalter die geopsychologische Devise: Wer oben ist, soll oben bleiben, und besonders mit dem Meer, romantischen Sonnenuntergängen und langen Strandspaziergängen hatte man nichts am Hut, im Gegenteil: Noch im 17. Jahrhundert ging man davon aus, dass die salzige Luft krank und verwirrt macht.

Der Pariser Kulturhistoriker Alain Corbin hat ein sehr schönes Buch zur Angst vor dem Meer geschrieben, es heißt "Meereslust" und erzählt, dass die Meere, die Häfen und die Strände als Eingänge in die Hölle galten - "zwischen den feuchten Holzplanken", zitiert Corbin die ängstlichen Meereshasser von damals, fänden sich "alle Ursachen der Gärung und der Fäulnis, und die Krankheitskeime sammeln sich am stinkenden schwarzen Grund des Schiffsbauches." Dass die fäulniserregende Flut allerlei stinkende Kadaver, Geborstenes von unklarer Konsistenz ans Ufer warf, wurde als Bestätigung der These empfunden, dass man besser auf den Hügeln bleibt.

Heute ist das anders, daran sind die Engländer und die Russen schuld. Nachdem man in London und Moskau herausgefunden hatte, dass die ortsüblich kalkbleichen Adligen länger leben, wenn man sie immer mal wieder bei Nizza ein paar Wintermonate lang ans Mittelmeer stellt, setzte ein Reiseboom ein, der vor allem den Franzosen lange suspekt war.

Schon 1851 fluchte Alexandre Dumas, Nizza sei im Grunde eine englische Stadt, in der man hin und wieder auch einen Einheimischen treffen könne. Victoria von England kam und der russische Zar, und es ist eine alte Regel, dass das Bürgertum macht, was der Adel tat, und danach das Kleinbürgertum tut, was das Großbürgertum, und dann das sogenannte Proletariat den Kleinbürgern nacheifert - was irgendwann dazu führen musste, dass die Fischer auch mal Badeurlaub machen wollten.

Kurz, Ans-Meer-Fahren wurde zum Massensport. 1890 kamen 22 000 Gäste nach Nizza. 1910 schon 150 000, und so ging es munter weiter. Die kulturelle Entwicklung des modernen Europa war eine Entpanzerung in die Tiefebene hinein, runter vom Felsen ans Meer, raus aus der Rüstung ins Wasser: Wer wirklich wer ist in Paris, Hamburg, New York oder Rom treibt sich an den Stränden von Saint-Tropez, Sylt, in den Hamptons oder Ostia herum.

Damit könnte allerdings bald Schluss sein. Man kann als grimmiger Marxist sagen, es sei eben die Dialektik des Reichtums, dass das Porsche-Cayenne-Turbo-Fahren und das ewige Herumgefliege in Jets aller Art, dazu der reichliche Konsum von vielfältigen Rindfleischdarbietungen den Klimawandel derart beschleunigt, dass die Lieblingsziele der Reichen so tief unter dem ansteigenden Meeresspiegel liegen werden, dass einem nicht mal die hervorragende, zu Recht im Porsche-Cayenne-Katalog gepriesene "Wattiefe" von einem halben Meter ausreicht, um im abgesoffenen Saint-Tropez, im überspülten Sylt, in den verschluckten Hamptons an die Strandpromenade zu kommen.

Alle wissen, was kommt, aber es wird nichts getan

Zwei Drittel der Metropolen der Welt liegen in Regionen, die durch den Anstieg des Meeresspiegels gefährdet werden, dort wird der Klimawandel vor allem die treffen, die nah am Meer wohnen - und das heißt: einerseits die ganz Armen in Bangladesch, Indien oder Sri Lanka, die ohnehin schon jedes Jahr durch Regenfälle aus ihren Behausungen gespült werden, andererseits die ganz Reichen, die Mächtigen, die Entscheider, denen man hier noch einmal besonders ins Gewissen reden muss: Denn - außer dem Papst, der, alten, meeresskeptischen Haltungen des Rittertums folgend, seine Sommerresidenz hoch oben in den Bergen hat, und George W. Bush, dem Wasser eine zu komplexe Sache ist und der lieber in der texanischen Wüste Urlaub macht - lieben sie es doch alle, am Meer zu sein.

Also, Reiche, Mächtige, herhören:

Es trifft auch euch! Kein Hummer mehr im "Sansibar".

Keine Barfuß-Partys mit Puff Daddy im Sand von Easthampton!

Berlusconi: Nie wieder das verdichtete Haupthaar im Abendwind von Sabaudia flattern lassen!

Sarkozy, nie mehr mit Carla trällernd durch den weichen Sand von Biarritz bummeln - wollt ihr das?

Alle wissen, was kommt, aber es wird immer noch fast nichts getan, um es zu verhindern. Bisher haben Al Gore, die Weltklimaberichte 2007 des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, www.ipcc.ch) und die daraus abgeleiteten apokalyptischen Prognosen bestenfalls kurzfristige Irritationen ausgelöst. Dabei kann man, wenn man weiß, wo man hinschauen muss, schon jetzt sehen, dass wir alle absaufen: Das Carteret-Atoll im Südwesten des Pazifischen Ozeans ist bereits unbewohnbar, überflutet und schlammig.

Nur: Wer weiß schon, wo das liegt? Auch die nur wenige Meter aus dem Meer ragenden künstlichen Inselgruppen "The Palm" und "The World" vor der Küste der CO2-freudigen Vereinigten Arabischen Emirate werden vielleicht bald weggewaschen.

Doch allein die Nachricht, dass bei ansteigendem Meeresspiegel nicht nur die Stelzenhotels auf den Malediven oder die Privatinselverstecke mit Butler auf den Seychellen, sondern auch gleich Saint-Tropez, Easthampton, die Karibik und Malibu Beach verschwinden könnten, löst jetzt, wo die Sommerurlauber-welle der Reichen und Armen rollt, angemessene Panik aus: Wozu noch ein Cabrio kaufen, wenn alle Küstenstraßen verschwinden? In den Bergen ist es sinnlos. Wozu ein Waschbrettbauch, wenn die breiten Strände wegfallen? Beim Bergwandern tut es auch eine Plauze.

Schon jetzt sieht der Strand ja nicht gut aus. Da sind die schleimigen Wolken aus Quallen, die jedes Jahr die Strände heimsuchen. Der Plastikmüll, der wie ein Echo der Zivilisation vom Meer an die Küste zurückgeworfen wird. An den Quallen, die einem in den Kniekehlen kleben, sind die Fischer schuld, denn es gibt einfach nicht mehr genügend Fische, die die Quallen fressen.

Die Uferzone wird zum Ort der Gefahr

In nahezu jeder Mittelmeerbucht finden sich daher Fischfarmen, die wie Fettaugen auf dem Meer schwimmen und nach unten die Exkremente der Zuchtfilets abgeben; das tut dem Meeresboden nicht gut - er wird zur Unterwasserwüste.

Wie geht es also weiter mit Sylt und Saint-Tropez? Die Modelle der Klimaexperten sind unterschiedlich, aber in der Tendenz übereinstimmend. Im IPCC-Report von 2007 kann man lesen, dass die Erderwärmung voranschreitet und bis zum Jahr 2100 im Durchschnitt bei einer Temperaturerhöhung um vier Grad Celsius liegt.

Der Meeresspiegel steigt dabei wahrscheinlich um ungefähr einen halben Meter - wenn alles gut geht. Aber meistens, das wussten schon die Ritter, geht nicht alles gut. Andere Klimasimulationen haben ergeben, dass das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes einen Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter zur Folge haben könnte.

Tsunamis im Mittelmeer, ausgelöst durch unterseeische Beben, wären ebenfalls möglich. Eine Linie, an der zwei Erdplatten unter großer Spannung stehen, verläuft parallel zur afrikanischen Nordküste und schneidet durch die Gegend bei Istanbul.

An den Traumstränden sieht es demnächst so oder so finster aus. Zwischen den Badelaken der gutgefütterten europäischen Touristenleiber an den Stränden der Kanarischen Inseln lagen vor kurzem plötzlich ein paar dehydrierte, halbtote Körper aus Afrika; ein Flüchtlingsboot war gekentert.

Der Strand, in der Spätmoderne Ziel und Projektionsfläche der schönsten antizivilisatorischen Abenteuerphantasien, wird eine Umcodierung erleben, denn die Millionen, die sich aufgrund des Klimawandels, der Überflutung und Versteppung ihrer Heimat auf den Weg machen werden, dürften wohl kaum im Flugzeug, sondern in Massen mit abgewrackten Booten kommen. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres (UNHCR), rechnet bis zum Jahr 2050 sogar mit einer Milliarde Klimaflüchtlingen aus Asien und Afrika.

Die Besitzer der Segel- und Motoryachten werden sich damit abfinden müssen, durch eine neue Zone der Armut zu ihren Schiffen zu fahren, denn die Küstenstreifen werden in Zukunft von denen bewohnt werden, die es sich nicht leisten können, sich in sichere Häuser auf den Bergen in Meeresnähe zurückzuziehen.

Die Lösung: Schwimmende, sturmsichere Paradiese

Auch das Hinterland wird sich als Pufferzone für die Gefahren der Küste verändern. Finden sich hier heute noch die Villen der menschenscheuen Reichen, die nicht in der exponierten ersten Reihe des Jetsets am Meer gesehen werden wollen, werden in Zukunft die unteren Mittelschichten, die sich gerade noch den Abstand zum Meer leisten können, hier in ihren Wohnblocks residieren.

Die Uferzone wird, im antiken oder gar biblischen Sinne, wieder der Ort der Gefahr, der Ursprung der Sintflut, das Strafgericht, ein vom Ölschlamm der Zivilisation gespeistes Fegefeuer für hundert turbogetriebene Jahre "Sea, Sex and Sun".

Wie kann das Wohnen am und auf dem Wasser dennoch gelingen? Die unbelehrbaren Reichen, die weiter ihre Superyachten durch die Wellen jagen wollen, werden sich den Zugang zum Meer bestimmt nicht vermiesen lassen. Die Händler von Gebrauchtaußenbordern oder runderneuerten Badelatschen wollen ebenfalls überleben und von der Sehnsucht der Menschen nach dem Meer profitieren.

Die Lösung heißt: schwimmende, sturmsichere Paradiese. Die Idee gibt es schon lange: Jules Verne beschrieb seine "Propellerinsel" als Insel der Milliardäre; der Schriftsteller Arno Schmidt verfrachtete seine Gelehrtenrepublik auf eine schwimmende Insel. Können aber diese Utopien von den Architekten und Stadtplanern in realisierbare Projekte für alle Küstenliebhaber gewandelt werden?

Oder fahren die Reichen und Schönen in der nahen Zukunft auf ihren individuellen Inselkonstruktionen über die Meere? Und die weniger Gutgestellten treiben für einige Wochen im Jahr auf gigantischen Kreuzfahrtkolossen zwischen den prekären neuen Uferzonen hin und her?

Der Klimawandel wird das nachgespielte Nacktbadeparadies beenden

Immerhin gibt es einige Ansätze, das Wohnen am Wasser dennoch attraktiv und bezahlbar zu gestalten. Hier sind zum Beispiel Architekten wie MVRDV aus Rotterdam mit verschiedenen realisierten Projekten zur Rettung der bereits jetzt unter dem Meeresspiegel liegenden Niederlande, aber auch mit Ideen für die Zukunft beschäftigt.

Die Architekten Sir Norman Foster, Frank Gehry und Rem Koolhaas haben gerade Arbeiten für einen vom Fürstentum Monaco ausgeschriebenen Wettbewerb eingereicht. Es geht um eine Erweiterung der Hafenstadt, um einen Stadtteil, der auf Stelzen ins Meer gebaut werden und nur reiche Steuervermeider anlocken soll.

Eine Lösung für Normalverdiener sind die Floating Homes, die heute schon massenhaft in den Niederlanden vor Anker liegen und auch bei uns immer mehr als klimakorrekte Lifestyle-Schwimmwohnmobilie den Menschen an noch so kleinen Flüssen verkauft werden. An den Meeresküsten gibt es auch Versuche, durch künstliche Riffe die Wellen zu brechen und so den Küstenfraß zu verhindern. Ob so aber die Villen gerettet werden können, oder nur ein paar neue surfspots entstehen, ist nicht klar.

Vielleicht werden sich die Reichen bald doch in die Berge und an die großen Seen verziehen, wo sie vor dem Anstieg des Meeresspiegels sicher sind, wo es kühl ist, und die Armen, die unten auf Meereshöhe die überfüllten, ausgefransten, von Piraten kontrollierten Küsten behausen, fern sind.

Der Klimawandel wird dann wohl die Kultur der Offenheit, das unbeschwerte Badehosendasein, das nachgespielte Nacktbade-Paradies beenden. Er wird die mittelalterliche Lust an der Höhe und am Panzer zurückbringen. Der watfähige Panzerwagen namens Porsche Cayenne, der schon jetzt über die Strandpromenaden gurgelt, ist nur ein erster Vorbote dessen, was in Zukunft auf uns zukommt.

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Quelle:
SZW vom 16./17.8.2008/sst
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