"Der Spiegel" sucht die Jugend:Goldig, die Kleinen

Einst spottete der Spiegel über Neon. Nun schreibt man in Hamburg selbst über Intimfrisuren. Ein "Spiegel Special" für Krisenkinder.

Tobias Moorstedt

Jede Ära hat ihre Signalfarben. Der Spiegel etwa wirbt seit den 50er Jahren im dringlichen Look der Feuerwehr . Auf dem Titel des neuen Spiegel Special aber wurde das traditionelle Rot durch Gold ersetzt. Der glamouröse Gemälde-Rahmen muss der Alterskohorte, die sich unter der Schlagzeile "Wir Krisenkinder" vorgeblich selbst beschreibt, wie Hohn vorkommen: der Traum vom ewigen Wachstum? Geplatzt! Die eigene Karriere? Gestoppt! Das Weltklima? Umgekippt! Der Glanz der Welt, er besteht aus Blatt- und Katzengold.

"Der Spiegel" sucht die Jugend: Das traditionelle Spiegel-Rot musste einem glamourösen Gold-Rahmen weichen.

Das traditionelle Spiegel-Rot musste einem glamourösen Gold-Rahmen weichen.

(Foto: Screenshot: sueddeutsche.de/Foto: ddp)

Mathieu von Rohr, 31, ist wie Cordt Schnibben, 57, redaktionell verantwortlich für das Generationen-Special. Im zentralen Essay schreibt er: "Von den Älteren kriegen wir oft vorgehalten, wir seien zu weinerlich, zu verwöhnt, zu angepasst." Vermutlich meint er mit den Älteren auch die eigene Redaktion, denn mit der Zielgruppe der 20- bis 35-Jährigen gehen die Spiegel-Altvorderen, zu denen Schnibben, Leiter des Gesellschafts-Ressorts, statistisch auch zählt, nicht sanft um.

Kürzlich attestierte ein Autor der Kultur-Redaktion den Jungen eine "mürrisch-murkelige Verlängerung der Pubertät". Lieblingsgegner der Spiegel-Soziologen ist das Magazin Neon von "Gruner+Jahr", das als "Zentralorgan des deutschen Gefühlsprekariats" gescholten wird. Mit ihrem Jugend-Special hat die Spiegel-Gruppe nun allerdings einen engen Verwandten von Neon produziert, der unter der Rubrik "Wie wir sind, wenn wir ehrlich sind" vor allem über Google, Intimfrisuren und Bindungshormone schreibt.

Neon löst erfolgreich ein Problem, vor dem auch der Spiegel steht: Wie die junge Zielgruppe zum Lesen von bedrucktem Papier bringen? In diesem Fall bleibt es nicht bei optischen Anleihen wie dem Farbrahmen oder dem verdruckst schönen Covermodel. Wie Neon (aktuell: "Wie viel ist die Liebe wert?") beschäftigt sich auch Spiegel Special("Was wird aus mir?") mit den großen Fragen nach dem guten Leben.

Auch einige Rubriken (Leser-Porträts, Bilder-Quiz) oder Texte über Burnout und Fernbeziehungen weisen eine sehr verwandte Sensibilität auf. Eine Neonisierung des Spiegels stehe aber nicht bevor, sagt Schnibben. Er wünscht sich trotzdem, dass auch im Hauptheft mehr mit "subjektiven Formen experimentiert" werde. Die Anzeige auf der letzten Seite des Special-Hefts, "my generation - Musik, die uns bewegte", richtete sich mit Bob Dylan und den Beach Boys wieder an die älteren Leser und an die eigene Kulturredaktion.

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