Der Satire-Karikaturist F. W. Bernstein wird 70:"Scheißegal, wir feiern heut!"

"Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche." Nein, diese Wahrheit stammt nicht von Robert Gernhardt, sondern von Deutschlands einzigem Karikatur-Professor, der heute Geburtstag feiert.

Von Volker Breidecker

Was Benn und Brecht misslungen war - Verse zu schmieden, die wie manche Gedichte von Heine oder Eichendorff noch einmal tief ins Volksgut eingehen könnten - dem Lyriker F. W. Bernstein, der im bürgerlichen Lebens Fritz Weigle heißt, gelang solches auf Anhieb mit dem Zweizeiler: "Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche." Der Überlieferung zufolge war ihm der Vers spontan in den Sinn gekommen, bei einer nächtlichen Autofahrt des Jahres 1963, auf der ihn der inzwischen verstorbene Dichterfreund Robert Gernhardt begleitete.

F.W.Bernstein 70. Geburtstag, dpa

Einziger Karikatur-Professor Deutschlands.

(Foto: Foto: dpa)

Mit diesem Einfall war nicht nur das Programm verschärfter Tierkritik, sondern auch das Gründungsmotto einer ganzen Schule geboren: Jener "Neuen Frankfurter Schule", die ihr Sprachohr (und ihre Bildröhre!) zunächst in dem Satiremagazin Pardon fand und die in Wahrheit eine heimliche Göttinger Schule war: Gernhardt lebte dort, und Bernstein, der Einzige im Fachkollegium, der es auch tatsächlich zu professoralen Würden brachte, lehrte dort die Malerei und die Zeichenkunst. Und über das auch von den Kollegen Poth, Traxler, Henscheid, Waechter, Knorr, Pfarr und Eilert genutzte harzige Rückzugsgebiet, wo man den Elchen ohnehin näher war als am Main, wachte Göttingens schärfster Hausgeist Georg Christoph Lichtenberg mit einem reichen Vorrat an spitzen Messern und Gabeln.

Sternstunden eines Füllfederhalters

1938 in Göppingen geboren, studierte Bernstein gemeinsam mit Gernhardt, mit dem er auch das Multitalent des Dichters, Malers und Zeichners teilte, zunächst an der Stuttgarter Kunstakademie, danach an der Berliner Hochschule der Künste. Später, von 1984 bis zu seiner Emeritierung 1999, bekleidete Bernstein dort den einzigen deutschen Lehrstuhl für Karikatur und lehrte obendrein noch Bildgeschichte. Oder war dies vielleicht nur ein Druckfehler in seiner Personalakte, und in Wahrheit lehrte Bernstein "Bildgedichte"? Denn sie gehören zu seiner besonders liebevoll ausgefeilten satirischen Spezialität.

Einem breiteren Publikum wurde Bernstein - neben F.K. Waechter - als Mitherausgeber der legendären Pardon-Beilage "WimS / Welt im Spiegel" bekannt sowie durch solche unvergesslichen lyrischen, satirischen, zeichnerischen und historisch-kritischen Werke wie "Reimwärts" (1981), "Sternstunden eines Füllfederhalters" (1986), "Lockruf der Liebe" (1988), "Die Stunde der Männertränen" (1995), "Die drei Frisöre" (mit Gernhardt und Waechter) "Der Untergang Göttingens" (2000) und "Richard Wagners Fahrt ins Glück" (2002).

Der stets gut gekleidete ältere Herr mit den feinen Manieren und dem liebenswürdigen, beinahe habsburgischen Charme begeht am Dienstag seinen 70. Geburtstag. Dazu wünschen wir ihm viel "TRARI-TRARA" und, sei's drum - so wie er sein Gedicht "Geburtstagsvorbereitung" selbst einmal beschloss: "Gibt es später auch Beschwerden - / Scheißegal, wir feiern heut!" Alle mit ihm. Ad multos annos.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: