Der Problembär JJ1, alias Bruno, ist tot:Sein Werk wird bleiben

Er war der zwölfte Mann. Darum der Nachruf auf einen Helden: Zum Tode Brunos, des Bären.

Christopher Schmidt

Eher als die Jäger, die ihn am Montag in den frühen Morgenstunden erlegten, hatte ein Cartoonist ins Schwarze getroffen: Seine Zeichnung zeigt den Bären, wie er selbstverliebt mit einem Fußball zaubert, Unterzeile: das Foto des Jahres. Treffend war das nicht nur, weil Bruno, der Bär, zur WM ins Sommerloch getapst war, bevor Ottfried Fischer sich breit auf den Abfluss setzte, sondern auch, weil es vielleicht nur das Fehlen eines Gummigeschosses war, was seine Integration verhindert hat. Weil er den Jäger in sich nie sozialverträglich domestizieren konnte, musste er eine Außenseiter-Karriere als Problembär einschlagen.

Der Problembär JJ1, alias Bruno, ist tot: Bruno-Fan aus Schliersee, der die nationale Bedeutung des Problembären erkannt hat.

Bruno-Fan aus Schliersee, der die nationale Bedeutung des Problembären erkannt hat.

(Foto: Foto: dpa)

Als solcher erinnerte er an die dunklen, atavistischen Urgründe der Männlichkeit und jene "protoartilleristischen Jagderfolgsgefühle", wie das der Philosoph Peter Sloterdijk kürzlich genannt hat, die im Fußball stellvertretend ausgelebt würden. Dass Bruno zu dieser kulturellen Anpassungsleistung nicht imstande war, dafür wurde er von einer Gesellschaft bestraft, die keine Helden mehr duldet, sondern nur noch Stars. Beide unterscheide ja, so Sloterdijk weiter, dass ein Held (wie Bruno, Anm. der Red.) früh stirbt, während sich der Star überlebt. Auf den symbolischen Tod des Stars in den Medien folge die freiwillige Hermaphroditisierung zur Werbe-Ikone, durch die der abgetanzte Fußballer seine Bereitschaft zur Wiedereingliederung ins zivile Leben signalisiere.

Bruno jedoch konnte nicht nur mit seiner Popularität sehr gut leben, er setzte sein passives Aufmerksamkeitsprivileg strategisch ein; vielleicht wollte er einfach sehen, was Sloterdijk bei der WM sehen will: wie (auch sozialhistorisch) am Boden liegende Männer "wieder aufstehen" und die gesellschaftliche Gravitation Lügen strafen. Als geborener Medienkünstler, manche sagen: Berufsprovokateur, verletzte der Bär den Konsens durch seinen oszillierenden Status zwischen Täter und Opfer. Bruno polarisierte: Die einen verwiesen auf seinen Migrationshintergrund und die problematischen Sozialisationsbedingungen im Auswilderungsprogramm, die anderen sahen in seiner Gewaltbereitschaft ein besonders eklatantes Beispiel für das Scheitern von Parallelgesellschaften. Dieser Bär, hieß es, sei gar kein Bär mehr, sondern ein urbaner Nomade mit Patchwork-Biographie. Er verhalte sich wie die tribalistischen Ghetto-Kids von Paris, da er wie diese nicht davor Halt machte, private Pkws zu demolieren. Der petz maudit arbeitete grenzüberschreitend, interventionistisch und seriell, Schafsblut und Honig waren die wichtigsten Arbeitsmaterialien seines Orgien-Mysterientheaters, und sein größter PR-Stunt war es, als er in der Nacht zum 17. Juni nach Kochel hinabstieg und vor der Polizeiwache ein Sleep-in veranstaltete.

Mittlerweile wissen wir, dass wie bei allen großen Künstlern eine starke Mutterbindung schuld war an allem. Bruno hatte nie die Chance, sich richtig abzunabeln, und seine Vorliebe fürs Urbane hatte er ebenfalls von der Mutter, die lieber shoppen ging, als für ihre Kinder Honigbrote zu schmieren. So wurde aus ihm das, was Jan Philipp Reemtsma mit Bezug auf Muhammed Ali als "dissoziiertes Individuum" bezeichnet hat, einer, der die Grenzen sichtbar macht, indem er sie verletzt. Er war ein Pop-Rebell ("live fast, die young") und ein Frühvollendeter. Die Männer, die ihn töteten, ziehen es verständlicherweise vor, anonym zu bleiben. Wäre Bruno rechtzeitig von einem Talent-Scout des Fußballs entdeckt worden, hätte er irgendwann für Schuppen-Shampoo Werbung machen müssen. So aber ist er im Alter von zweieinhalb Jahren gestorben, als Mann und ungewaschen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: