"Der Medicus" in der ARD:Jäger der verlorenen Heilkunst

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Tom Payne als Rob Cole in "Der Medicus". (Foto: dpa)

Ein junger Medicus verlässt das finstere Europa, um im gelehrten Persien Patienten- und Frauenkörper zu erforschen. Den Deutschen lag Noah Gordons Mittelalter-Bestseller immer am Herzen. Nun läuft der Kinofilm im Fernsehen.

Von David Steinitz

Hämorriden? Werden mit einer glühenden Eisenstange ausgebrannt. Offene Wunden? Werden mit einer glühenden Eisenstange desinfiziert. Der faule Backenzahn? Auch hier wird die Eisenstange angesetzt, aber sie muss nicht glühen.

England, 11. Jahrhundert: Das ausgefeilte Wissen der antiken Heilkunst ist im mittelalterlichen Moloch flöten gegangen. Die medizinische Versorgung liegt in den vom Branntwein zittrigen Händen umherziehender Wunderheiler, die oft als Hexer auf dem Scheiterhaufen landen, weil die Kirche sich hysterisch gegen jede nichtgöttliche Form der Heilung zur Wehr setzt.

Mit seinem Abenteuer um den jungen Medicus Rob Cole, der dieses finstere Europa verlässt, um im gelehrten Persien Patienten- und Frauenkörper zu erforschen, landete der amerikanische Schriftsteller Noah Gordon Ende der Achtzigerjahre speziell in Deutschland einen irren Beststeller - sechs Millionen Exemplare wurden verkauft. Denn Geschichten aus einem idealisierten Mittelalter, gemixt aus History und Fantasy, so archaisch wie romantisch, sind in Deutschland besonders beliebt. Die Bestsellerlisten bezeugen das regelmäßig, von der "Päpstin" über die "Wanderhure" bis zum Gesamtwerk von Wolfgang Hohlbein. Und Gordon hat diese Sehnsüchte besonders gekonnt bedient, mit ein bisschen Mittelalter, ein bisschen Sex und ein bisschen Faktentreue - sehr homöopathisch auf 900 Seiten verteilt.

Verfilmen wollten diesen erprobten Mix natürlich schon viele. Doch erst die deutschen Produzenten Wolf Bauer und Nico Hofmann, sozusagen im Kernland des Erfolgs, konnten Gordon überreden, seinen Medicus auch fürs Kino noch einmal auf Reisen zu schicken. Von Vorteil dürfte dabei gewesen sein, dass die Hauptelemente des Buchs, knapp dreißig Jahre nach seinem Erscheinen, aktuell wieder perfekt zum Erfolgsrezept des Blockbuster-Kinos passen: Es sind die archaischen Fantasy-Geschichten vom "Hobbit" über "Twilight" bis zu den "Hunger Games", die uns Wohlstandsbürger mit ihrer Zurück-zu-den-Ursprüngen-Ideologie ins Kino locken und Einspielergebnisse einfahren, die alle anderen Genres ziemlich alt aussehen lassen. Also der ideale Zeitpunkt für einen aufwendigen "Medicus"-Film - auch, was die Kalkulation des Budgets von 26 Millionen Euro angeht, das für eine deutsche Produktion sehr üppig ist.

Die Spezialeffekte übernahm die Frankfurter Firma Pixomondo, die sonst hauptsächlich für Hollywood zauberhafte Trickwelten pixelt und hier für düsteres Mittelalter-Flair, Orient-Opulenz und tosende Sandstürme zuständig war. Die Besetzung wurde international zusammengestellt: Den Briten Tom Payne als Medicus kennt man kaum, den persischen Nachwuchs-Doktor mit dem angeklebten Schnurrbart schon eher - das ist Elyas M'Barek, wichtig für den deutschem Star-Proporz. Ben Kingsley spielt den naturgemäß weisen persischen Oberarzt Ibn Sina, außerdem ist Stellan Skarsgård als etwas weniger weiser Wunderheiler zu sehen, der mit dem Planwagen durchs kalte Britannien reist und den Medicus väterlich fördert.

Doch anstatt die Grundidee des Romans - wie die explosive Mixtur von adoleszentem Idealismus und aufklärerischem Gedankengut revolutionäre Veränderungen hervorbringen kann - mit eigener Vision neu zu erzählen, fungieren Drehbuchautor Jan Berger und Regisseur Philipp Stölzl vor allem als Gralshüter der Vorlage. Und versuchen, so ziemlich jede der 900 Seiten des Romans zu illustrieren. Das gleicht dann weniger einem eigenständigen Film als einem opulenten Bilderbuch, das hektisch durchblättert wird - mit ein bisschen Mittelalter, ein bisschen Sex und ein bisschen Faktentreue.

Der Medicus, D 2013 - Regie: Philipp Stölzl. Buch: Jan Berger. Kamera: Hagen Bogdanski. Mit: Tom Payne, Ben Kingsley, Stellan Skarsgård, Emma Rigby, Elyas M'Barek. Universal, 155 Minuten.

Kino-Starts in Kürze
:Ein bisschen Mittelalter, Sex und Faktentreue

Deutschland liebt Mittelalter-Epen, darum für viele eine gute Nachricht: Der "Medicus" kommt in die Kinos. Außerdem der Rachethriller "Les Salauds" und "Justin Biebers Believe" - eine Doku, die mehr ist als ein brüllfroschiges Eventmovie.

Kino-Neustarts in Kürze von den SZ-Kritikern.

Anmerkung der Redaktion: Diese Rezension wurde zum Kinostart 2013 veröffentlicht. Am 29. und 30. Dezember läuft der Film um 20.15 Uhr in der ARD.

© SZ vom 28.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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