"Der letzte Mentsch" im Kino:Suche nach den jüdischen Wurzeln

Der letzte Mentsch

Hannelore Elsner und Mario Adorf in einer Szene aus "Der letzte Mentsch".

(Foto: Farbfilm)

Als Menahem Teitelbaum begibt sich Mario Adorf in "Der letzte Mentsch" auf die Suche nach einem längst verdrängten Leben - und glänzt mit einer eindrucksvollen Darbietung. Ein klassisches Roadmovie ist der Film jedoch nicht.

Von Christine Dössel

"Die letzten Zeugen" heißt ein Projekt von Doron Rabinovici und Matthias Hartmann am Burgtheater Wien, das in dieser Woche beim Berliner Theatertreffen als eine der bemerkenswertesten Inszenierungen des zurückliegenden Jahres gezeigt wird. Es versammelt sechs Holocaust-Überlebende auf der Bühne, Menschen, die zwischen 80 und 100 Jahre alt sind und als Zeitzeugen des unfassbaren NS-Massenmordes auftreten. Unterstützt von Schauspielern als Erzählern bringen sie ihre Erinnerungen zu Gehör. Sie sind die letzten Überlebenden. Wie lange werden sie noch von den Ereignissen berichten können?

"Wir sind die Letzten. Fragt uns aus!", fordert, mit Berufung auf den Schriftsteller Hans Sahl, die Auschwitz-Überlebende Renate Lasker-Harpprecht in dem berührenden Interview, das sie Giovanni di Lorenzo jüngst in der Zeit gab. Und auch in Pierre-Henry Salfatis Film "Der letzte Mentsch" kommt der Protagonist, ein alter Jude auf der Suche nach seinen Wurzeln, gespielt von dem recht eindrucksvollen Mario Adorf, schlussendlich an den Punkt, wo er den Gespenstern in seinem Kopf nicht mehr davonlaufen will. Wo er tatsächlich Platz nimmt vor der Kamera eines jungen Mitarbeiters von Steven Spielbergs Shoah Foundation und stockend anfängt, seine Erinnerungen zu erzählen - auf dass sie festgehalten werden für die Nachwelt in einem Holocaust-Schreckens-Archiv. Auch er: einer der Letzten. Menahem Teitelbaum sein Name, nach dem Krieg nannte er sich Marcus Schwartz.

Meister im Verdrängen

Die Szenen, in denen Mario Adorf seine Figur vor der Kamera zum Reden zwingt, ihr die dunklen Erinnerungen - etwa an die Ermordung des Vaters - förmlich abringt, sie schmerzvoll aus dem Kopf wringt, gehören zu den stärksten in diesem Film über die Aufarbeitung eines (jüdischen) Lebens. "Ich bin kein Spielberg-Selbstdarsteller", hatte der störrische Alte sich vorher raunzend geweigert, an dem Projekt teilzunehmen. So wie er sich nach seiner Befreiung aus dem KZ geweigert hatte, mit seiner Vergangenheit noch irgendetwas zu tun zu haben. Ein Meister im Verdrängen wurde dieser Marcus Schwartz.

Nun aber, gegen Ende seines Lebens, wird der Mann gezwungen, sich seiner Geschichte zu stellen. Um auf einem jüdischen Friedhof begraben zu werden, wie es sein Wunsch ist, muss Marcus Schwartz nachweisen, dass er Jude ist. Die auf seinem Arm eintätowierte KZ-Häftlingsnummer aus Theresienstadt ist für den Rabbiner der jüdischen Gemeinde kein Beweis. Auch Schwule und Kommunisten waren im Lager, und etliche Nazi-Täter haben sich, um davonzukommen, KZ-Nummern tätowiert. Nein, um sein Jüdischsein zu belegen, muss Marcus Urkunden, Zeugenaussagen, Dokumente beibringen.

Beweisaufnahme in eigener Sache

Also begibt sich der alte Herr, der sich in Köln als Deutscher unter Deutschen eingerichtet und seine jüdische Identität verleugnet hat, in seine Heimat Ungarn: zur Beweisaufnahme in eigener Sache. Als seine Chauffeurin verdingt sich die junge Gül (Katharina Derr), eine betont rotzige Göre mit türkischem Migrationshintergrund, für die die Fahrt ins alte Europa auch eine Charakter-Bildungsreise wird. Am Ende wird sie in Marcus/Menahem einen Ersatzvater gefunden haben und sich seine Häftlingsnummer als Tattoo auf den Arm stechen lassen.

Der alte Jude und die junge Deutschtürkin - das ist ein Drehbuch-Konstrukt, das einem schon mal auf die Nerven gehen kann und nur dadurch entschuldigt wird, dass Pierre-Henry Salfati nicht jedes antagonistische Klischee, das darin steckt, hemmungslos ausreizt. Wirkliche Funken schlägt der französische Regisseur, selber Jude, aus der Konstellation aber auch nicht - wie ihm sein Selbstfindungs-Roadmovie überhaupt allzu konventionell und behäbig gerät.

Erlebnisse ohne Action

Die beiden ungleichen Reisepartner machen in einem Grandhotel in Budapest Station, haben bei einem Unfall in der Provinz buchstäblich Schwein (aber mit den Reifen Pech) und kommen schließlich nach Vác, in Marcus' Geburtsstadt, wo sich zumindest der Schrotthändler Nikos an den Jugendfreund erinnert. Nikos ist aber kein Jude, daher gilt sein Zeugnis nicht. Das sind so die Erlebnisse. Nicht, dass man im Kino immer Action-Abenteuer bräuchte, aber hier, wo der Plot sich auf Seitenwegen gemächlich dahinzieht, entsteht doch eine gewisse Ungeduld, ja, eine fast kriminalistische Erwartungshaltung: dass jetzt bald mal was passiert - dass sich etwa herausstellen könnte, dass Marcus, der in der Synagoge immer die Kippa vergisst und sich auch sonst an keine Glaubensregel hält, gar kein Jude ist.

Salfati kommt vom Dokumentarfilm, er erzählt in veranschaulichenden Bildern, unterlegt von elegischer Klezmer- und Klaviermusik. Schlimm sind die sentimentalen Kitschszenen mit der outrierenden Hannelore Elsner. Sie spielt eine blinde Jüdin namens Ethel, die in ihrer eigenen Traumwelt lebt. Bleibt als Motor dieser Reise - und schauspielerischer Garant - der 83-jährige Mario Adorf. Die Kamera vertraut seinem schönen, würdig verwitterten Männergesicht und tut gut daran. Denn darin ist: Leben.

Der letzte Mentsch, D 2014 - Regie: Pierre-Henry Salfati. Buch: Salfati, Almut Getto. Kamera: Felix von Muralt. Musik: Dürbeck & Dohmen. Schnitt: Regina Bärtschi, Hansjörg Weissbrich. Mit: Mario Adorf, Katharina Derr, Hannelore Elsner, Herbert Leiser, Roland Bonjour. Farbfilm, 93 Minuten.

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