Kinderbuch:Auf dem Rücken eines Eisbären

Kinderbuch: Die Freundschaft mit einem Wildtier ist ein klassischer Topos in der Kinderliteratur. Aber Hannah Gold macht daraus etwas Aufregendes und Zeitgemäßes.

Die Freundschaft mit einem Wildtier ist ein klassischer Topos in der Kinderliteratur. Aber Hannah Gold macht daraus etwas Aufregendes und Zeitgemäßes.

(Foto: Imago/Nature Picture Library)

Der Abenteuerroman "Der letzte Bär" von Hannah Gold erzählt von der Freundschaft eines Mädchens mit dem Erhabenen schlechthin.

Von Kathleen Hildebrand

Als April dem Eisbären zum ersten Mal begegnet, erlebt das Mädchen etwas, das Aristoteles, Kant und die Konsorten der Ästhetik-Theorie als das Erhabene bezeichnen würden: "Langsam hob sie den Blick. Und da am Strand, etwa fünfzig Meter von ihr entfernt, war das prächtigste Wesen, das sie je gesehen hatte." Ein männlicher Eisbär, etwas abgemagert, aber dennoch riesig, steht vor ihr. Er ist beeindruckend, gefährlich. Und er ist ganz allein. ",Du bist unglaublich', flüsterte sie, und unwillkürlich lief ihr eine Träne über das Gesicht."

Die Freundschaft mit einem Tier, zumal einem wilden, ist ein klassischer Topos in der Kinderliteratur. Aber die britische Autorin Hannah Gold macht daraus etwas Neues in ihrem Roman "Der letzte Bär". Etwas Aufregendes und Zeitgemäßes. Ihr Buch handelt vom Klimawandel, von der Bedrohung der Tiere durch den Menschen und von einer Kinderfantasie, die Gold so ernst nimmt, dass ihre eigentlich realistische Erzählung immer wieder ins Fantastische kippt. April reitet auf dem Bären über eine Polarinsel, er zeigt ihr seine kalte, prächtige Welt. Er bringt ihr bei, wie man so brüllt wie er.

April lernt, mit ihm zu kommunizieren. Sie schafft das, weil sie ein besonders empathisches Kind ist. Fürs Reden mit Tieren ist das ein Vorteil. Ein Nachteil ist es, wenn man einen Vater wie Aprils hat. Er ist Meteorologe, ohnehin introvertiert und seit dem Tod von Aprils Mutter so in sich gekehrt, dass er seine Tochter kaum wahrnimmt. April versteht das und deshalb rebelliert sie nicht, sondern ergibt sich ihrer Einsamkeit, um den Vater zu schonen. Es ist das Drama des begabten Kindes.

"Der letzte Bär" ist eine wunderbare Abenteuergeschichte, voller Gefühl und Spannung

Zusammen ziehen die zwei für ein Sommerhalbjahr auf die "Bäreninsel". Die gibt es wirklich, sie liegt auf halbem Weg nach Spitzbergen, von Nordnorwegen aus gesehen. Trotz ihres Namens: Bären gibt es dort nicht. Das verschwundene Packeis hat sie vom Rest der Arktis abgeschnitten. Die Tiere kommen nicht mehr hin. Aber in "Der letzte Bär" ist ein einziger übrig geblieben, bevor das Eis geschmolzen ist. Er wird Aprils Freund in den einsamen Monaten auf der Insel. Am Ende muss sie allen Mut aufbringen, um ihn zu retten.

"Der letzte Bär" ist eine wunderbare Abenteuergeschichte, voller Gefühl und Spannung. Illustriert hat sie der vielfach ausgezeichnete Grafiker Levi Pinfold mit beeindruckenden Bleistiftzeichnungen, die den Bären so zeigen, wie Hannah Gold ihn beschreibt: nicht als niedliches Knuddeltier, sondern als das Wilde, Majestätische schlechthin. Als etwas, das eigentlich völlig eigenständig, ja, bedrohlich sein müsste - und das der Mensch doch zum Bedrohten gemacht hat. Die Geschichte von April und dem Bären endet optimistisch, zum Glück für die jungen Leser. Wer es als Erwachsener liest, wird traurig sein. Denn dieses Ende erscheint angesichts der Wirklichkeit als ebenso fantastisch wie die Vorstellung eines Mädchens, das auf dem Rücken eines Eisbären reitet.

Hannah Gold: Der letzte Bär. Mit Illustrationen von Levi Pinfold. Aus dem Englischen von Sylke Hachmeister. Von Hacht Verlag, Hamburg 2022. 300 Seiten, 18 Euro. Ab 10 Jahren.

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