Der junge Claes Oldenburg in Köln:Mit der Macht der Strahlenpistole

Seine Spitzhacke am Ufer der Fulda in Kassel sieht aus, als sei sie von einem außerirdischen Riesen dort in den Boden gerammt worden. Nun sind Arbeiten von Claes Oldenburg im Kölner Museum Ludwig zu sehen, die den jungen Pop-Art-Pionier zeigen, als er noch nicht unter der Last des XXL-Formats erstarrt war.

Georg Imdahl

11 Bilder

-

Quelle: AFP

1 / 11

Seine Spitzhacke am Ufer der Fulda in Kassel sieht aus, als sei sie von einem außerirdischen Riesen dort in den Boden gerammt worden. Nun sind Arbeiten von Claes Oldenburg im Kölner Museum Ludwig zu sehen, die einen jungen Künstler zeigen, der noch nicht unter der Last des XXL-Formats erstarrt ist.

Was ist "politisch-erotisch-mystische Kunst"? Alles, nur keine Pop Art, sollte man meinen, hätte nicht der Pop-Art-Pionier Claes Oldenburg 1961 in einem glühenden Manifest eben eine "political-erotical-mystical art" propagiert.

So "schwer und vulgär und stumpf und süß und dumm wie das Leben", sollte diese Kunst sein, die sich "auf den ganzen Mist des Alltags einlässt und doch gewinnt".

Vielleicht ist das Bild einer coolen Pop Art mit Campbell's-Suppendosen, Brillo-Boxen und Marylins doch etwas eng gefasst, zu eng jedenfalls, um den aktionistischen Furor des jungen Oldenburg damit greifen zu können - und das, was er schon 1959 über "popular culture" notierte.

Darunter verstand er die Stadt, den Lärm und den Dreck, Asphalt, Beton, Teer und Metall, die "Primitiven von heute", Kinder, Arme und Gescheiterte. Das war durchaus politisch gemeint.

Andy Warhol's "Small Torn Campbell's Soup Can", 1962

-

Quelle: Claes Oldenburg

2 / 11

Nur hat es mit der landläufigen Idee von Pop so viel zu tun wie ein Faustkeil mit einer Strahlenpistole. Letztere, die "Ray Gun", war damals Oldenburgs Metapher für die wünschenswerte Wirkung von Kunst.

Seinem berühmt gewordenen, bei der Documenta 5 gezeigten "Mouse Museum" (1972) mit Hunderten gefundener Alltagsdinge hatte er sogar einen "Ray-Gun-Flügel" angefügt, ein Arsenal mit Spielzeugpistolen und scheinbar archaischen Steinzeitwaffen, um die symbolische Schlagkraft der Kunst vorzuführen.

Diese, so die Vision des jungen Oldenburg, sollte dem wehrlosen Betrachter keinerlei Zeit lassen; sie setzt unter Strom.

Claes Oldenburg: Vitrine 3 des Ray Gun Wing, 1965-1977

-

Quelle: Claes Oldenburg

3 / 11

Lässt sich das auch von der Ausstellung "Claes Oldenburg: The Sixties" behaupten, die jetzt aus Wien nach Köln ins Museum Ludwig gekommen ist? Vielleicht wäre solche Vehemenz arg viel verlangt von einer Kunst, die einst in engen, kellerartigen Verliesen und in herzzerreißenden Happenings den Rumor der Straße nachahmte ("Snapshots of the City"), heute indessen dem Schicksal nicht entronnen ist, dass Oldenburg in besagtem Bekenntnis der frühen Sechziger selbst gegeißelt hatte - nämlich "im Museum auf dem Arsch zu sitzen".

Claes Oldenburg: "Floor Cone" vonr der Dwan Gallery, Los Angeles, 1963

-

Quelle: Claes Oldenburg

4 / 11

Und doch ist die Kölner Schau kurzweilig und aufschlussreich. Sie konzentriert sich auf die Anfänge der Soft Sculpture, die Zeit bevor...

Claes Oldenburg: Lipstick (Ascending) on Caterpillar Tracks, installiert auf der Beinecke Plaza, Universität Yale, New Haven, Connecticut, Mai 1969 bis März 1970.

Claes Oldenburgs Spitzhacke

Quelle: picture alliance / dpa

5 / 11

...sich dieses Werk mit Eistüten und Maurerkelle populär gab, mit Billardkugeln, Lippenstiften, Sicherheitsnadeln und Federbällen, die Oldenburg ins Gigantische aufblies, um sie in den öffentlichen Raum zu rammen.

Claes Oldenburgs Spitzhacke am Ufer der Fulda in Kassel. Das Werkzeug war Oldenburgs Beitrag zur documenta 7, 1982.

-

Quelle: Claes Oldenburg

6 / 11

Deutlich demonstriert die Ausstellung eingangs eine folgenreiche Weichenstellung des 1929 in Stockholm geborenen Künstlers: Erst widmet sich Oldenburg, der eigentlich Polizeireporter werden wollte, 1960 dem Trash und dem Mythos der Straße, imitiert Leben und Überleben in New York mit zeichenhaften Kulissen aus gerissenem Papier und Jute in Schwarz-Weiß, wobei er gekonnt die Art brut, namentlich Jean Dubuffet appropriiert. Dann wechselt er die Perspektive und wendet sich dem ökonomischen Kreislauf in den Läden und Boutiquen zu, die er in der Nachbarschaft der Lower East Side erlebt.

Oldenburg macht "Postkarten" und "Flaggen" aus Altholz. Kleidungsstücke und Konsumgüter in Form von klobigen Gipsreliefs bemalt, beschmiert, übergießt er im Stil des Abstrakten Expressionismus mit satten Farben, um die New York School à la Pollock und de Kooning nachhallen zu lassen.

Claes Oldenburg: "U.S.A. Flag", 1960

-

Quelle: Claes Oldenburg

7 / 11

All die Bikinis und Röcke, Tortenstücke, Zigaretten und eine Wechselgeldkasse versammelt Oldenburg in einem Ladenlokal an der Lower East Side und paraphrasiert damit nicht mehr die existenzialistischen "Texturen" draußen vor der Tür, wie er sie genannt hatte, sondern die Welt der Wirtschaftswerte. Fluxus, Happening, Aktionskunst verlieren folgerichtig an Bedeutung; die kurze, wilde Party der Anfangsjahre ist nach der Wendung von der "Street" zum "Store" bald vorbei.

Claes Oldenburg: The Store, Ausstellungsansicht im Museum Ludwig

-

Quelle: Claes Oldenburg

8 / 11

Nun dürfen die Archetypen des Alltags ermüden, erschlaffen, erstarren. Es ist, als ob sie von ihren Funktionen und Begriffen befreit wären. Die Skyline einer "Upside Down City" baumelt kopfüber von der Decke, ein hängender, brauner Jumbo-Stecker aus weichem Kunststoff nimmt massige, menschenähnliche Gestalt an. Eine Riesentüte Pommes, monumentale Kippenstummel im Aschenbecher oder die hingeklatschte Eiswaffel, die wie ein Wal daliegt, wirken wie späte Nachfahren von Picassos kleinem "Absinthglas" und Duchamps Readymade "Underwood".

Claes Oldenburg: Shoestring Potatoes, Spilling from a Bag, 1966

-

Quelle: Claes Oldenburg

9 / 11

Wobei Oldenburg die Skulptur der Sechzigerjahre um eine entscheidende Variante bereichert: Von einem Motiv schafft er mehrere Versionen, eine "Hard Version" zum Beispiel aus Karton, eine "Soft Version" aus Vinyl sowie eine "Ghost Version" aus verblichenem Stoff - und verewigt das Objekt in unterschiedlichen Gemütszuständen.

Oldenburg hat wiederholt die Bedeutung der Enstehungsorte für seine Kunst betont. Als er 1963 für einige Zeit von New York nach Los Angeles zog, entstanden dort fast aseptischen Objekte, die von der Sphäre der Standard-Homes der Westküste zeugen. Bei der "Soft Toilet" von 1966 stimulieren knautschiges Latex und eine fleischige Kloschüssel verquere libidinöse Assoziationen, schwer zu sagen, ob die dazugehörige "Soft Toilet - Ghost Version" aus weiß getünchtem Leinen wirklich geisterhafter wirkt als die Knautschlack-Fassung, die in ihrer psychologischen Vielschichtigkeit an die Subversion Richard Artschwagers denken lässt.

Claes Oldenburg: "Soft Toilet", 1966

-

Quelle: Claes Oldenburg

10 / 11

Die aus Pappe geschnittene, im Cy-Twombly-Stil mit weißem Lack bemalte "Toilet - Hard Model'' aus dem Frankfurter Museum für Moderne Kunst wirkt dagegen hart und konkret, scharfkantig und ganz und gar nackt. Ähnlich wie der "Washstand - Hard Model", der ebenfalls vom Museum für Moderne Kunst ausgeliehen wurde.

Claes Oldenburg: "Washstand - Hard Model", 1965 - 1966

-

Quelle: Claes Oldenburg

11 / 11

Die mit trockenem Humor inszenierte Kölner Ausstellung hat aus diesen Werkgruppe Arbeiten wie den schwarzen "Ventilator" zu bieten oder den wiederum sexuell konnotierten, weichen "Mixer"'.

Genialisch entrückt, mit leichten Anflügen ins Monströse, ist ein "Staubsauger" (1964/71) aus Aluminium, Gummi, und Kabel, den Oldenburg dezent vergrößert, bevor er dann in den Siebzigerjahren mit Skulpturen im XXL-Format für den Außenraum durchstartet, wie einem Riesenteddy im Central Park, von dem Projektskizzen gezeigt werden.

Zu sehen aus welch unterschiedlichen Kontexten Oldenburgs Frühwerk hervorgeht, differenziert das Bild der Pop Art - und am Ende lassen sich in den frühen Arbeiten sogar politisch-erotisch-mystische Spurenelemente ausmachen.

"Claes Oldenburg: The Sixites" bis zum 30. September im Kölner Museum Ludwig. Anschließend im Guggenheim Museum, Bilbao, im Museum of Modern Art in New York und im Walker Art Center, Minneapolis. Katalog (Schirmer/Mosel) 45 Euro. www.museum-ludwig.de

© SZ vom 12.07.2012/pak
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: