"Der Hobbit: Eine unerwartete Reise" im Kino:Kleiner Hobbit, großes Epos

13 Zwerge mit komplizierten Frisuren, 48 Bilder pro Sekunde und ein Mythomane: Der erste Teil von Peter Jacksons neuer Tolkien-Verfilmung "Der Hobbit" ist vielleicht nicht vollkommen - aber überwältigend.

Von Willi Winkler

Der "Hobbit" könnte ein gewöhnliches Kinderbuch sein mit lieben Katzen, putzigen Bären und weisen Raben, wie es heute jeder zweite Depp schreibt. Da der "Hobbit" aber von J. R. R. Tolkien stammt, dem grundgelehrten Oxforder Sprachwissenschaftler und Anglisten, der überdies Ketzer, nämlich römisch-katholisch war, handelt es sich beim "Hobbit" nicht um ein Kinderverdummungs-, sondern um ein Abenteuerbuch, das mindestens den Verstand aufs Spiel setzt.

Tolkien entwickelte die Saga von Bilbo Baggins (der im Deutschen Beutlin heißen muss), indem er sie erst seinen eigenen Kindern erzählte und sie immer weiter fortspann, ehe ein Buch daraus wurde, das 1937 zuerst erschien. In "Herr der Ringe" hat er diese Skizze zum gigantischen Epos von Mittelerde aufgefächert, seine Recken nach Art Homers auf eine endlose Kriegs- und Irrfahrt geschickt, sie wie in den germanischen Sagen in immer neue Fährnisse gestürzt, wie die Kreuzritter mit dem Teufel und dem Bösen in jeglicher Gestalt ringen lassen, in der Mitte einen Parsifal, keinen reinen Toren, aber einen jedermännischen Kleinwüchsling, der sich nur zögernd in die Aventiuren wagt, die ihn zum Helden machen werden.

Hobbits sind nämlich nicht bloß klein, sondern auch Gemütsmenschen. Sie sitzen gern auf der Bank, lesen ein bisschen, rauchen ein Pfeifchen, während sie mit Wohlgefallen über ihr Auenland schauen, bis sie dann doch wieder der Hunger packt und sie essen müssen, wovon eine Wampe zeugt, die sie aber, siehe oben, erst recht zu Gemütsmenschen macht.

Zum Jagen, zum Kampf, zum Ruhm müssen sie getragen werden, darin gleich und gar nicht gleich dem Recken Achilles, den seine Mutter in Frauenkleider steckte, damit er vom Krieg und Heldentod verschont bleibe.

Das klingt wie ein Märchen aus uralten Zeiten, oder wie Tolkien es in Anspielung auf den Minnesänger Bob Dylan formuliert, time out of mind. Nach dem langsamen Dahinscheiden der Religion ist wenigstens die Fantasy als Opium fürs Volk geblieben. Diese Droge ist keineswegs harmlos, sondern bringt junge, unschuldige Seelen auf den Gedanken, dass es ein Leben außerhalb des vorgeschriebenen geben könnte. Der "Hobbit" handelt vom Weltabenteuer des Erwachsenwerdens, und das heißt, dass die schlimmsten Träume wahr werden können.

Riesenhafte Wölfe kommen des Wegs

Der Zauberer Gandalf lädt den jungen, also erst fünfzigjährigen Bilbo (Martin Freeman) ein, mit auf ein Abenteuer zu kommen, in dessen Verlauf das Zauberreich Erebor von der Herrschaft des bösartigen Drachen Smaug befreit und dem rechtmäßigen Erben Thorin Eichenschild (Richard Armitage) zurückgegeben werden soll.

Dreizehn Zwerge mit komplizierten Frisuren und gewöhnungsbedürftigen Tischmanieren begleiten ihn. Die Geschichte nimmt ihren Lauf, das Unheil folgt sogleich. Orcs, Necromancer, Trolle, riesenhafte Wölfe kommen des Wegs, aber auch die neogotisch schöne Cate Blanchett, der unverwüstliche Christopher Lee und vor allem Andy Serkis als Gollum, die eine Erfindung Tolkiens, die ihm auf ewig den Platz in der Weltliteratur sichert.

Nur herzlose Immer-schon-Erwachsene werden darüber maulen, dass ein zipfelmütiger Wanderprediger mit doch recht vielen Falten im Gesicht, eben Gandalf (der grandiose Ian McKellen), die Sofakartoffel Bilbo mit dem vagen Versprechen auf Abenteuer in sein allzeit drohendes Verderben zu locken vermag, zu schweigen davon, dass er die Zwergenhorde mit seinen Zaubertricks und ohngeachtet seines biblisches Alters mehrfach in letzter Sekunde heraushauen kann.

Mit philologischer Leidenschaft

Der Regisseur Peter Jackson und seine Co-Autoren haben mit geradezu philologischer Leidenschaft jedes Fitzelchen Mittelerde zusammengetragen, um aus dem kleinen Hobbit ein großes Epos zu machen, das in ein und zwei Jahren, wenn der zweite und dritte Teil ins Kino kommt, als vorgeschaltete Trilogie vor das Hauptwerk seines "Herrn der Ringe" zu stellen wäre.

Nie gesehene Bilddichte

Die Texttreue geht so weit, dass sogar die Überführung des Mythos ins praktische Leben von Tolkien übernommen wird: Bandobras, der Ur-Großonkel des alten Took, der unter anderem, aber das führte jetzt zu weit, Bilbos Großvater war, schlug im Kampf mit den Orcs deren König Golfimbul mit einem Stock den Kopf ab, so dass dieser hundert Meter durch die Luft segelte und schließlich in einem Karnickelbau verschwand. Damit, so schließt Tolkien mit britischem Gleichmut, "damit wurde die Schlacht gewonnen und gleichzeitig eine neue Sportart erfunden: Golf."

Gandalf erzählt diese phantastische Mär seinem Schützling Bilbo, nicht ohne bei Peter Jackson hinzuzufügen, dass eine Geschichte, um richtig gut zu werden, der einen oder anderen Ausschmückung bedarf. An der Ausschmückung wird auch nicht gespart. Tolkien konnte zwar wissenschaftlich träumen und von seinen Träumen erzählen, doch wäre ihm nie eingefallen, wie viel sich im Zusammenspiel von Matte-Bildern und den wie fürs Kino erschaffenen Landschaften Neuseelands erzählen lässt. Und dann die Technik.

Die neue Technik liefert dem Auge statt der gewohnten 24 gleich 48 Bilder pro Sekunde, was für eine nie gesehene Bilddichte sorgt, aber leider auch dafür, dass die Wohnhöhle Bilbos, in der er sein bourgeoises Leben führt, in dem er durch die Zwergeninvasion aufgestört wird, an das Riesenfass auf dem Wurstmarkt von Bad Dürkheim erinnert.

Wolfgang Petersen müssen beim Anschauen Tränen in die Augen steigen, weil die Technik nicht wie in der "Unendlichen Geschichte" nur ein paar lumpige Steinfresser, sondern gleich den Kampf der Berggiganten miteinander erlaubt. Die Zwergengefolgschaft kämpft sich auf einem unbefestigten Pfad, unter dem beständig eine undenkbar tiefe Tiefe gähnt, diesen Berg hinan, der Berg zerbirst, die Felsen bröckeln über unsere Helden hinweg, die immer wieder in die Tiefe zu stürzen drohen. Es ist ein Alptraum, der sich wahrlich besser im Kino mit der 3-D-Brille auf der Nase als zu Hause im Bett träumt.

Nebenher und dank 3-D wird der "Hobbit" zu einem Tiefenrausch ohnegleichen. Für Hitchcocks Kameramann Irmin Roberts gab es in "Vertigo" nur einen schlichten Dolly-Zoom, hier wird der Schwindel Teil der großen Überwältigung, die Jackson gelingt. Die Goldsucher haben Mittelerde fast bist zum Glühkern ausgehöhlt, was die Psychoanalytiker vielleicht erklären können, Jackson aber vor allem die Inszenierung gruseliger Szenen erlaubt, in denen unsere zwergigen Freunde über Stege und gigantische Brücken balancieren, über dem unerforschlichen Abgrund.

Diese Welt gibt es nur in Büchern und im Kino

Natürlich ist der "Hobbit" nichts ohne die neueste Technik. Der Abspann mit all den Spezialeffekten und HD-Experten und Bühnenmalern dauert länger als der Beifall für Peer Steinbrück auf dem Nominierungs-Parteitag am vergangenen Sonntag. Wer mag, soll ruhig darauf schimpfen. Wir anderen lassen uns gern überwältigen. Wenn die Zeit schon aus den Fugen sein muss, dann so wie in Auenland, in Mittelerde und in Neuseeland, made in Hollywood.

Die Frage, ob und wenn ja, wie weit der "Hobbit" hinter den phantastischen Bilder-findungen des "Herrn der Ringe" zurück-bleibt, ist akademisch, also vollkommen berechtigt und ebenso gleichgültig. Obwohl er direkt aus dem synthetischen Mittelalter kommt, könnte Bilbo Beutlin der Phänotyp für unsre Zeit sein, ein bauchiger, gemütlichkeitsversessener Wohlständler, der von Abenteuern lieber liest, als dass er sie erleben wollte. Gandalf verspricht seinem Bilbo die wirkliche Welt, die Welt jenseits der Bücher und Karten, die der Hobbit so liebt, doch zum Glück gibt es diese Welt, von der Tolkien erzählt und die Jackson als moderner Mythomane nachstellt, nur in Büchern und im Kino.

Der "Hobbit" ist bloß geträumt, eine Kindergeschichte, also ein Film. Aber wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder, hat so oder so ähnlich ein großer Geschichtenerzähler gesagt, seid Ihr einer solchen Geschichte ohnehin nicht wert.

The Hobbit: An unexpected Journey, USA/NZ 2012 - Regie: Peter Jackson. Buch: Jackson, Fran Walsh, Philippa Boyens, Guillermo Del Toro. Mit: Ian McKellen, Martin Freeman. Warner, 169 Minuten.

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