"Der fliegende Holländer" in Bayreuth:Hoffen auf Erlösung

102. Bayreuther Festspiele - Der fliegende Holländer

"Der fliegende Holländer" in Bayreuth 2013 - hier ein Probenfoto aus dem 3. Aufzug, Probenfoto von 2013, 3. Aufzug.+

(Foto: Enrico Nawrath/dpa)

Zum glamourösen Auftakt der Wagner-Festspiele erlebt Bayreuth die gewohnte Promi-Polonaise. Beim "Fliegenden Holländer" gelingt Dirigent Christian Thielemann eine wunderbar effektvolle Balance aus Laut und Leise. Doch es bleiben die Unwägbarkeiten einer Opernbesetzung: Würde sich das Bühnenweib Senta wirklich von solch einem Satansknirps führen lassen?

Von Helmut Maurò, Bayreuth

Es ist nicht immer die spektakulärste Aufführung, die zur Eröffnung der Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele geboten wird - diesmal der "Fliegende Holländer" in der Regie des 34-jährigen Jan Philipp Gloger -, aber es ist auf jeden Fall das glamouröseste Ereignis mit viel Prominenz aus Wirtschaft und Politik. Parkplätze gab es schon mehr als eine Stunde vor Vorstellungsbeginn nicht mehr. Und ein Teil der einheimischen Hügel-Zaungäste betrachtete amüsiert die Verzweiflung Auswärtiger, ein anderer Teil schimpfte ungeniert und gerne auch ein bisschen derber auf die offenbar nicht sehr willkommenen Gäste ein.

Auch die zahlreich erschienenen Politiker erhielten Zurufe, die nicht alle freundlich klangen. Das große Promi-Defilee fand trotzdem statt, der zugehörige Ansturm von Medien und Zaungästen ebenfalls. Viele der stummen Fans entpuppten sich allerdings als fränkische Zivilpolizisten, deren Nerven bloß lagen angesichts der vielen Politiker. Vielleicht lag es auch an der enormen Hitze, die das Festpielhaus auf dem Grünen Hügel an diesem Nachmittag umflirrte.

Jedenfalls war noch lange nicht in Sicherheit, wer die Polizeiabsperrungen überwunden hatte. Man musste auch danach mit stichpunktartigen, vielleicht etwas übertriebenen Personenkontrollen rechnen. Sind nun schon Bayreuther Festspielbesucher des Terrorismus' verdächtig, und muss man die Leute so vorführen, dass man lauthals deren Namen ins Funkgerät ruft, um eine Personenabfrage einzuholen? Ein unwürdiges Schauspiel und für die fränkische Polizei noch peinlicher als für die Betroffenen.

Aber hat man es dann endlich ins Festspielhaus geschafft, gilt das Motto: Wer reinkommt, ist drin. Und wer da reinkommt, das sind neben prominenten Personen vor allem eingefleischte Wagnerianer. Eine besondere Spezies von Musikliebhabern, deren Augen schon vor Beginn der Aufführung glänzen, als schwebe in den nächsten Minuten der Weltenerlöser vom Himmel. Was durchaus mit Wagner zu tun haben könnte, denn auch auf der Bühne ging es um Erlösung - das Kernthema in allen Wagner-Opern. Der Fliegende Holländer war - einer nicht näher zu ergründenden Sage nach - ein niederländischer Kapitän aus dem 17. Jahrhundert, dem es nicht gelang, das Kap der Guten Hoffnung zu umfahren. Er verfluchte Gott und Natur und war von nun an verdammt, auf den Meeren der Welt umherzuirren und keine Ruhe zu finden. Und schlimmer noch. Jedem, der diesem Geisterschiff mit schwarzem Mast und roten Segeln begegnete, widerfuhr ebenfalls Unglück.

In Bayreuth starrt man da zunächst auf ein dunkles Labyrinth, eine aufgestellte Phantasiekonstruktion, die vieles bedeuten und auslösen kann, in der riesige Neonröhren wie Nordlichter flackern. Für Wagner wäre das alles noch keine Oper, käme nicht Liebe, Leidenschaft, Verzweiflung und Erlösung hinzu. Man hört das schon alles in der ausgedehnten Ouvertüre; da schlummern Sehnsucht und Transzendenz, heimisches Glück und kosmische Weite.

Da würde man gerne widersprechen

Dirigent Christian Thielemann spornt das Bayreuther Festspielorchester, das derzeit zu großen Teilen aus seiner Dresdner Staatskapelle besteht, immer wieder zu spannungsgeladenen Steigerungen an, scheut aber auch das leiseste Pianissimo nicht. Nur die lauten Stellen sind gefährlich, denn so verhalten der Klang bisweilen unter der Orchesterabdeckung sich zurücknimmt, so gedämpft er tatsächlich auch klingen kann, so schnell knallt und verzerrt auch mal eine Pauke, wenn sie nur ein wenig zu hart geschlagen wird.

Leise Stellen mit größter Wirkung

Es ist ein bisschen wie bei einer Tonaufnahme. Man muss sich innerhalb eines scharf begrenzten Bereichs aufhalten, um noch gehört zu werden, und man darf nicht durch zu große Lautstärke übersteuern. Thielemann hat da ausreichend Erfahrung, und in aller Regel gelingt ihm diese Balance wunderbar effektvoll. Gerade die leisen Stellen, wenn sie zudem noch ein klein wenig langsamer genommen werden als gewohnt, entfalten größte Wirkung. Und nebenbei spielt dieser Ansatz auch den Sängern in die Karten.

Nicht alle hätten das nötig gehabt an diesem Eröffnungsabend: die umwerfende, stimmgewaltige Ricarda Merbeth als Senta, erlösende Geliebte des Holländers, sicherlich nicht. Auch Franz-Joseph Selig als Daland nicht, der joviale Vater von Senta, ständig auf der Suche nach einem begüterten Ehemann für die Tochter. Jedes Jahr schleppt er einen neuen Kandidaten an, doch diesmal taucht er mit dem geheimnisvollen Fremden auf, von dem Senta sofort magisch angezogen ist, auch in Verleugnung ihres bisherigen Verlobten, des mittellosen und unsicheren Erik.

Wenn die Musik die Sprache der Liebe wäre, dann müsste Ricarda Merbeth den Holländer fortschicken und Tomislav Muzek verfallen, der den Erik singt, und dessen starker und gleichzeitig wunderbar lyrischer Tenor jedes Herz erweicht. Der Holländer des Abends, Samuel Youn, kämpft dagegen erst einmal mit Unsicherheiten, findet erst im Verlauf des Abends und wirklich überzeugend erst ganz am Ende in die Rolle.

Manches kleinbürgerlich Aktualisierende eliminiert

Das eigentliche Problem aber: Die Rolle verlangt über den Gesang hinaus vor allem eine schier magische Bühnenpräsenz. Denn meistens agiert der Holländer stumm. Die meiste Zeit steht er auf einem Hügel aus Pappkartons, den Kopf schräg geneigt wie Jesus am Kreuz, die Blutmale allerdings am Schädel. Youn verfügt nicht ganz über diese Bühnenpräsenz, auch wenn ihm der Regisseur viel Raum gibt und ihn gleichsam größer macht, als er ist. Im Übrigen hat man in der Überarbeitung der Premierenversion manches kleinbürgerlich Aktualisierende eliminiert und dem mythischen Flair mehr Gewicht gegeben.

Und so bleibt auch die Kernfrage etwas unbestimmt vage, nicht gewollt unbeantwortet: Wird der Holländer am Ende wirklich erlöst durch die Liebe und vor allem die lebenslange Treue der Senta? Als die ihm, allen Warnungen vor diesem mysteriösen Teufel zum Trotz, auf dessen Schiff folgt und dabei ausruft "mit ihm muss ich zugrunde gehen", da zweifelt man aber doch und würde gerne widersprechen, nicht nur wegen des Regie-Versuchs, die Erlösungsfrage offen zu halten.

Denn dass sich dieses Bühnenweib von solch einem Satansknirps wirklich führen und nicht nur ein bisschen verführen ließe, das mag man nicht glauben. Aber das sind nun mal die Unwägbarkeiten einer Opernbesetzung, da braucht es die Stoffkenntnis und den Wirklichkeits-Glauben des Betrachters. Unterstützt wird letzterer durch die einschmeichelnde Musik, die in diesem Stück auf ganz eigentümliche Weise zwischen fast biedermeierlichem Klassizismus und Wagnerscher Klang-Vision changiert.

Die lieblichen Frauenchöre, die saufliedartigen Männerchöre (beide hervorragend vorbereitet von Eberhard Friedrich) und selbst die an italienischen Belcanto gemahnende Partie des Erik, kontrastieren einen harmonischen Orchesterklang, der jeden Rahmen zu sprengen sucht. Also ganz Wagner, wie man ihm vom "Ring des Nibelungen" her kennt. Seinerzeit wurde die Oper nach nur vier Aufführungen abgesetzt. War sie den Dresdnern 1841 zu modern? Wagner hat sie dann überarbeitet, im Kern aber doch nicht wesentlich geändert, sondern vor allem an Ouvertüre und Schluss herumoperiert. Dem Orchester kam es zugute, es erntete in der Person von Thielemann zusammen mit Ricarda Merbeth auch am meisten Applaus. Etwas abgeschlagen dagegen Benjamin Bruns als Steuermann und Christa Mayer als Mary; aber auch sie wurden, anders als das Regieteam, noch mit der freundlichen Gunst des Publikums bedacht.

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