Der Fall "Saliera":Salzfass und Räuberpistole

Die berühmte "Saliera" von Benvenuto Cellini ist nach drei Jahren fast unversehrt aufgetaucht - skandalöser Leichtsinn hat ihren Raub ermöglicht.

Michael Frank

Beinahe hätten die Damen das kostbare Salzfass vor Verzückung geküsst. Gestern Morgen hat Österreichs Innenministerin Liese Prokop im großen Saal der Bundespolizeidirektion "symbolisch" die "Saliera" an die Kultusministerin Elisabeth Gehrer zurückgegeben.

Der Fall "Saliera": Die "Saliera" nimmt unter Kleinskulpturen ungefähr den Rang ein wie etwa Leonardos "Gioconda" unter den Gemälden. Der materielle Wert ist versicherungstechnisch auf 50 Millionen Euro festgesetzt.

Die "Saliera" nimmt unter Kleinskulpturen ungefähr den Rang ein wie etwa Leonardos "Gioconda" unter den Gemälden. Der materielle Wert ist versicherungstechnisch auf 50 Millionen Euro festgesetzt.

(Foto: Foto: dpa)

Die Polizei hat mit Glück und nach blitzsauberer Arbeit am vergangenen Samstag dieses selbst im an erlesener Kunst übervollen Wien einzigartige Stück wiedergefunden; im Mai 2003 war es dem Kunsthistorischen Museum gestohlen worden.

Dieses "Salzfassl", wie die Wiener sagen, ist die einzige überlieferte Goldschmiedearbeit des Florentiner Bildhauers Benvenuto Cellini, um 1540 gearbeitet und in ihrem ideellen Wert nicht zu taxieren. Der materielle Wert ist versicherungstechnisch auf 50 Millionen Euro festgesetzt.

Mit dieser Übergabe ist die aberwitzige Affäre um das singuläre Stück jedoch noch nicht erledigt. Denn nun, da die Kostbarkeit gesichert und der Täter gefasst ist, bestätigt sich, was schon immer vermutet wurde: Skandalöser Leichtsinn hat diesen Kunstraub ermöglicht.

Neben dem Poltern des Felsgerölls, das den Ministerinnen eigenen Beteuerungen nach vom Herzen fiel, wurde denn auch eine gewisse Beklommenheit zumindest bei Ministerin Gehrer spürbar.

Zudem schimmerte hinter dem Triumph auf seltsame Weise eine gewisse Enttäuschung durch: Nichts Großes, kein wahnhaftes Begehren eines superreichen Sammlers, kein Ding von internationalem Zuschnitt, keine mysteriöse Weltverschwörung standen hinter der Sache - sondern eklatante Mängel im Museum selbst.

Ein offenbar nicht ganz ungebildeter, in gesicherten Verhältnissen lebender Österreicher hat die "Saliera" geklaut, die unter Kleinskulpturen einen Rang einnimmt wie etwa Leonardos "Gioconda" unter den Gemälden. Der Diebstahl selbst war offenbar die Eingebung eines Augenblicks.

Der heute 50-jährige Täter, der von Berufs wegen Sicherheitsanlagen installiert, hatte im Schlepptau einer italienischen Reisegruppe das Kunsthistorische Museum am Wiener Ring besucht.

Zu seiner Verblüffung sagte ihm sein geschultes Auge, dass in diesem von Kunstgegenständen von Weltrang nur so überquellen Haus die Sicherheitsvorkehrungen allenfalls historischen Wert hätten - Vorkehrungen also, die die Ministerin heute noch als "von Experten" als auf internationalem Stand bewertet auszugeben sucht.

Dann kommt die lange Nacht der Musik 2003 in Wien. Massen fröhlicher Leute paradieren auf der Straße. Folgt man den Ermittlungen und dem Geständnis des Täters, ist er leicht angetrunken, als er beschließt, ein Gerüst zu erklimmen, das eine Seitenfront des Museums umhüllt.

Er kommt bequem hinauf - was damals der Direktor und andere als fast unmöglich und als das Werk eines Superakrobaten ausgeben wollten. Er hebelt das ungesicherte Fenster auf, scheitert an der dahinter hängenden Jalousie. Er klettert wieder herunter, holt ein Messer aus dem Auto, klettert ein zweites Mal hinauf, zerschneidet die Jalousie.

Eine Scheibe zerbricht. Er durcheilt Gänge und Säle zur "Saliera", zerschlägt die ungepanzerte Glasvitrine, steckt die kostbare Goldschmiedearbeit in einen Jutesack, verschwindet und deponiert seine Fracht in einem Koffer unter dem Bett seiner Wohnung im Siebten Gemeindebezirk, um sie später in einem Wäldchen im Waldviertel gut verpackt zu verbuddeln.

Salzfass und Räuberpistole

Natürlich hat der Alarm angeschlagen. Heute heißt es, der Sicherheits-Profi habe genau seinen Spielraum berechnen können. Tatsächlich ist immer noch unklar, wie intensiv man damals überhaupt reagiert hat.

Der Fall "Saliera": Der Direktor des Kunsthistorischen Museums Wien, Wilfried Seipel, und Kultusministerin Elisabeth Gehrer betrachten das Kunstwerk, das 2003 geraubt wurde.

Der Direktor des Kunsthistorischen Museums Wien, Wilfried Seipel, und Kultusministerin Elisabeth Gehrer betrachten das Kunstwerk, das 2003 geraubt wurde.

(Foto: Foto: Reuters)

Denn das Aufsichtspersonal war angewiesen, wegen häufigen Fehlalarms derlei möglichst zu ignorieren, um nicht jedesmal sinnlose Kosten zu verursachen. Wilfried Seipel, der Direktor des Museums, bot damals pro forma seinen Rücktritt an, den Ministerin Gehrer als Mitverantwortliche erwartungsgemäß nicht annahm.

Zwar sammelt der Täter in bescheidenem Rahmen Skulpturen. Doch der wahre Wert der "Saliera" wird ihm erst - fast wie im Schreck - am tosenden Medienecho bewusst. Er habe auch keinen Plan gehabt, was er mit dem kostbaren Stück machen solle, wie er heute sagt. Die Idee, dafür viel Geld zu verlangen, sei erst später gereift.

Die Polizei wenigstens handelt professionell. Als noch im Jahr 2003 ein Brief eingeht mit Splittern des Objektes, begreift man, dass es sich noch im Land befindet. Im vergangenen November kommt dann das Angebot, das Salzfassl für zehn Millionen Euro zurückzukaufen.

Der Täter führt die Polizisten einen ganzen Tag lang "wie auf einer Schnitzeljagd" durch Wien an der Nase herum, verabschiedet sich dann mit Dank "für die gute Zusammenarbeit", alles immer per SMS - ohne freilich die Beute auszuliefern. Als Unterpfand der Echtheit hatte er den Behörden den Dreizack des Gottes Neptun zukommen lassen, welcher auf dem Gewürzfass thront.

Gewisse Milde statt zehn Jahre Haft

Der Polizei gelingt es, ein Überwachungsvideo aus einem Handy-Shop aufzutreiben, das den mutmaßlichen Täter zeigt. Am vergangenen Freitag entschließen sich die Ermittler gegen den Einspruch des Museumsdirektors, das Foto zu veröffentlichen.

Nachdem ihn erschrocken diverse Bekannte angerufen hatten, meldet sich der Täter selbst, er wolle diese falsche Bildfahndung aufklären. Danach dauert es nur noch Stunden, bis er die Polizei ins Wäldchen nahe dem Waldviertler Klosterstädtchen Zwettl führt. Zuvor hatte man ihm eine gewisse Milde statt der sonst mindestens zehn Jahre Haft in Aussicht gestellt. Erste Untersuchungen ergeben, dass das Gefäß nur geringfügig gelitten hat.

Wortreich erklärt die Ministerin nun, die Sicherheitsvorkehrungen - man kennt das von irgendwo her - entsprächen heute absolut internationalen Standards und würden unausgesetzt fortentwickelt. Gehrer hat diesen Erfolg bitter nötig, nachdem sie soeben den Totalverlust von fünf weltberühmten Gemälden des Malers Gustav Klimt mitverschuldet hat.

Kaum vorstellbar, dass woanders in Europa bei ähnlicher Sachlage Ministerin und Museumsdirektor noch im Amt wären - auch angesichts früherer stummer Absprachen mit den Versicherungen, auf keinen Fall wegen des Verlustes vor Gericht zu gehen. Denn vor der Justiz, so bewerten das Wiens Kunstkommentatoren, wäre die Frage nach dem damaligen Sicherheits-Standard unweigerlich zum Mittelpunkt des Verfahrens geworden. Das galt es offenbar um jeden Preis zu verhindern.

Die Polizei übrigens hatte immer ein klares Konzept: Wichtiger sei es, das Kleinod unversehrt zurückzubekommen, als den Täter zu fassen, sagt Hofrat Ernst Geiger. Doch ohne ihn zu fassen, räumt der Hofrat freimütig ein, hätte man die "Saliera" nie gefunden - es sei denn, das Lösegeld sei gezahlt worden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: