Süddeutsche Zeitung

Der Fall Roman Polanski:Schuld und Bühne

Heilt die Vergebung des Opfers eine Untat? Nein - das Verbrechen des Regisseurs Roman Polanski kann nur mit einem ordentlichen Urteil gesühnt werden.

Cathrin Kahlweit

Roman Polanski ist Künstler. In seiner Welt - dem Kino - ist die Frage allgegenwärtig, wie menschliche Schwächen oder Fehltritte von der großen Politik instrumentalisiert werden. In der Moderne werden aus einem solchen Stoff Agententhriller gestrickt. Früher entstanden daraus Theaterstücke wie Shakespeares "Maß für Maß" - in dem die Frage behandelt wird, ob ein Mann für einen Beischlaf büßen muss, weil der Machthaber ein Exempel statuieren will.

Blockbuster-Potential

An der aktuellen Inszenierung der Burleske "Aufstieg und möglicher Fall des Roman Polanski" lässt sich daher exemplarisch vieles zeigen: Wie eine Vergewaltigung, die einst Hollywood gleichermaßen faszinierte wie erschütterte, noch nach 32 Jahren zum Blockbuster werden kann, wenn alle Ingredienzien eines anständigen Plots vorhanden sind - ein flüchtiger Täter, eine fragwürdige Rechtsprechung, eine politische Intrige, ein blutjunges Opfer.

Und weil das alles so süffig ist, entwickelt der Fall unter den Augen der gierigen Öffentlichkeit eine absurde Eigendynamik: Ein Happyending wird gefordert für den Superstar.

Schwierige Sachlage

Was bei einem britischen Autor wie Shakespeare die Vorlage für eine Moraldebatte sein konnte, kann aber nicht das Drehbuch für den Umgang mit dem polnisch-französischen Regisseur sein. Der ist für eine Straftat, die in den USA nicht verjährt, festgenommen worden. Es gibt ein Auslieferungsabkommen zwischen Bern und Washington. Was das Urteil angeht, muss die US-Justiz Augenmaß an den Tag legen. Was denn sonst?

In der aktuellen, auf internationaler Bühne inszenierten Aufführung des Schauspiels um eine Vergewaltigung und ihre Folgen wird die grundlegende Frage - muss Roman Polanski in die USA geflogen werden und sich dort einem Prozess stellen? - durch politische, moralische und psychologische Argumente überlagert.

Und natürlich macht es die Sachlage nicht einfacher, dass hinter der Festnahme mutmaßlich auch ein Kotau der Schweiz vor den USA steht, mit dem das zuletzt arg belastete Verhältnis ein wenig verbessert werden soll. Oder dass Polanski, hätte es irgendjemanden geschert, weit früher hätte festgesetzt werden können.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was trotz aller außergewöhnlichen Umstände bei der Betrachtung des Falls Polanski nicht vergessen werden sollte.

Es macht die Debatte über den Sinn einer späten Strafe auch nicht weniger kompliziert, dass der Umgang der US-Justiz mit dem geständigen Sexualstraftäter Polanski vor 32 Jahren von vielen Merkwürdigkeiten begleitet war. Im Kern aber muss der Grundsatz gelten: Vor dem Gesetz sind alle gleich.

Lautstark wird derzeit gefordert, Polanski zu verschonen - sei es wegen seines Alters oder seines Ruhms, wegen der politischen Begleitumstände oder wegen der juristischen Fallstricke, die Haftbefehl und Auslieferung enthalten. Dabei wird regelmäßig angeführt, dass doch das Opfer seinem Vergewaltiger schon verziehen habe. Warum also mit dem stumpfen Schwert einer späten juristischen Aufarbeitung nachkarten?

Psychologie und Gesetz

Es ist verständlich, dass die damals 13-Jährige nach all der Zeit ihre Ruhe haben und die Opferrolle los sein will. Wie aber wäre der Verzicht auf Sühne anderen Vergewaltigungsopfern zu erklären, die sich vor Gericht wagen, unter seelischen Qualen aussagen, um dann zu hören, dass ein Urteil nicht nötig sei, wo Vergebung die Untat heilt? Hier gilt: Psychologie kann nicht an die Stelle des Gesetzes treten.

Wenn auch nur die Hälfte der Einwände, die derzeit gegen den Umgang mit Roman Polanski ins Feld geführt werden, standhalten, dann wird, das darf man getrost annehmen, ein Gericht in den USA den Teufel tun, den 76-Jährigen für viele Monate hinter Gitter zu setzen. Dann werden Vorlauf und Begleitumstände das ihre dazu beitragen, dass der Künstler recht bald wieder in seinem Schweizer Chalet wohnen kann.

Und wenn nicht? Dann war der Glaube an Justitia einmal mehr naiv. Und doch wird es moralisch und politisch unumgänglich gewesen sein, auf die Gleichheit vor dem Gesetz zu pochen.

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Quelle:
SZ vom 2.10.2009/jobr
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