Süddeutsche Zeitung

Der Fall Bertrand Cantat:Stiller Häftling Nr. 8274

Lesezeit: 3 min

Sänger Bertrand Cantat prügelte vor vier Jahren seine Freundin Marie zu Tode, nun kommt er vielleicht nach der Hälfte der veranschlagten Gefängnisstrafe frei.

Gerd Kröncke

Anfang des Sommers hat Bertrand Delanoë, der Pariser Bürgermeister, ein Straßenschild enthüllt - ein kleiner schöner Platz im Vierten Arrondissement nahe der Seine trägt seither den Namen "Jardin Marie Trintignant". In der vergangenen Woche ist der Fernsehfilm "Colette" noch einmal gezeigt worden, in dem Marie Trintignant unter der Regie ihrer Mutter Nadine die Titelrolle spielte.

Es war ihr letzter Auftritt: Während der Dreharbeiten im fernen Litauen war die junge Frau von ihrem Geliebten Bertrand Cantat in einer Julinacht 2003 so furchtbar geschlagen worden, dass sie in ein Koma fiel, aus dem sie nicht mehr erwachte. Cantat, der Sänger der Rockgruppe "Noir Désir", wurde von einem Gericht in Vilnius zu einer Gefängnisstrafe von acht Jahren verurteilt. Nun, da er die Hälfte abgesessen hat, wird darüber entschieden, ob Bertrand Cantat vorzeitig entlassen wird. Es ist alles möglich.

Die Beziehung zwischen den beiden war eine dieser Tragödien, wie sie sich mitunter zwischen Liebenden abspielt. Der Sänger galt als sanft, niemand hätte ihm je diese Brutalität zugetraut. Maries Mutter Nadine Trintignant konnte ihre Tochter nur noch zum Sterben heim nach Paris fliegen lassen.

Vater Jean-Louis Trintignant, der große Schauspieler, hat seine Trauer für sich behalten, aber die ihn kennen, wissen, dass er zeitweise in verzweifelte Depressionen gefallen ist. Mutter Trintignant hingegen hat ihre ganze Wut in einem Buch ("Meine Tochter Marie") hinausgeschrieen. Juristische Feinheiten und der Unterschied zwischen Mord oder Totschlag interessieren sie nicht. Man kann das verstehen.

Ein nachdenklicher Typ

Der Sänger hingegen rief ein Gericht an. Er wollte der Mutter verbieten, ihn einen "Mörder" zu nennen. Die Mutter wiederum schrieb jetzt an den zuständigen Richter, sie habe nur deshalb gegen die Höhe der Strafe für Cantat nicht protestiert, weil sie davon ausgegangen sei, dass acht Jahre auch acht Jahre bedeuten würden.

Selbst mit dem Abstand von vier Jahren, die seit dem gewaltsamen Tod der Tochter vergangen sind, ist ihre Trauer ungebrochen - ebenso wie die Wut gegen den Mann, für den sie, wie sie einmal sagte, selbst den Begriff "Mensch" als unpassend empfindet.

Freunde von Bertrand Cantat hingegen betonen, dass der Sänger jenseits der Mikrophone eher ein stiller, nachdenklicher Typ gewesen sei. Seine öffentlichen Proteste hätten sich doch auch gegen die Gewalt gegen Frauen gerichtet. Für Marie Trintignant hatte er seine eigene Frau und seine Kinder verlassen. Auch die Schauspielerin war Mutter von vier Kindern und noch mit dem Vater ihres jüngsten Sohns verheiratet.

Cantats Anwalt, Olivier Metzger, hofft jetzt auf die baldige Freilassung seines Mandanten. Nach 14 Monaten in der Anstalt von Likiskiu, einem Knast aus sowjetischer Zeit, unter Leuten, deren Sprache er nicht verstand, sei Cantat ja nur noch "ein Schatten seiner selbst" gewesen.

Der Advokat schaffte es, seinen Mandanten nach Frankreich transferieren zu lassen. In der Strafanstalt von Muret, nicht weit von Toulouse, vergrub sich der Rock-Sänger über Monate in ein Philosophie-Studium. Inzwischen habe er sich als Essenausteiler anstellen lassen. Seine Zelle sei nur neun Quadratmeter groß.

Cantat, darauf pochen seine Freunde, habe nie versucht, im Knast Vorteile aus seiner Popularität zu ziehen. Er sei nur bedacht gewesen, nicht aufzufallen. Selbst das Angebot zum "Tag der Musik" ein Konzert im Gefängnis zu geben, habe er dankend zurückgewiesen, um nur keine Schlagzeilen zu produzieren. Maries Mutter und ihren Vater dürften solche Details kaum beeindrucken.

Im Knast habe sich Cantat wieder seiner Frau angenähert, die ihn auch regelmäßig besucht, heißt es. Zu den Besuchstagen bringe sie die beiden Kinder mit. Bei der Beurteilung, die der Bewährungsrichter vorzunehmen hat, könnte ihm dies Punkte einbringen. Die drei Kumpels aus seiner alten Band haben versprochen, ihm den Platz freizuhalten.

Weil "Noir Désir" eine erfolgreiche Gruppe ist, die sich über viele Jahre gehalten hat, ist der Häftling Cantat kein armer Mann. Er konnte alle finanziellen Auflagen erfüllen, hat fast eine halbe Million Euro an Nebenkläger gezahlt - also an die Angehörigen der Toten - und noch einmal 140000 Euro an die Versicherung der Produktionsfirma, die ihre Hauptdarstellerin verloren hatte.

Schon längst hat Cantat einen Vertrag mit einer Plattenfirma unterschrieben, der ihm einen Job als Autor-Komponist-Interpret sichert. Seine Gruppe "Noir Désir" hat sich für den 5. und 6.Oktober für ein Festival in Bègles in der Nähe von Bordeaux angemeldet. Wenn Cantat Glück hat, darf er da schon wieder auf der Bühne stehen.

Der Haftrichter Philippe Laflaquière, der seit Cantats Rückkehr nach Frankreich für den Häftling Nr. 8274 zuständig ist, hat ihn am gestrigen Donnerstag angehört. Seine Entscheidung wird von Maries Eltern, aber auch von den vielen Kindern der Familien Cantat und Trintignant, nun mit Spannung erwartet.

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SZ v. 21.9.2007
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