Der Fall "Adorno":Stefan Weber, Plagiatsprüfer

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Bogdan Roščić, Doktor der Philosophie und Musikmanager bei Sony, soll die Direktion der Wiener Staatsoper übernehmen. Delikat an der Personalie: Roščićs Dissertation wird als Plagiatsfall diskutiert.

Von Rudolf Neumaier

Adorno. Stefan Weber, 46, beschäftigt sich mit Adorno, seit er die Einleitung einer Doktorarbeit über ihn gelesen hat. Diese Dissertation, vorgelegt an der "Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät"

der Universität Wien im Jahr 1988, trägt einen Titel, der eher praktisch veranlagten Menschen Respekt, wenn nicht sogar Furcht einflößt: "Gesellschaftstheorie als Kritische Theorie des Subjekts. Zur Gesellschaftstheorie Th. W. Adornos". Nun versteht sich Stefan Weber als habilitierter Kommunikationswissenschaftler durchaus aufs Theoretische. Die Einleitung dieser Arbeit hat ihn dennoch stutzig gemacht. Denn sie ist in beachtlichen Teilen abgeschrieben - und seine Quelle hat der Verfasser nicht angegeben. Für Weber handelt es sich bei dieser Einleitung um ein klassisches Plagiat.

In Österreich hat der Fall Staub aufgewirbelt. Das wiederum liegt am Verfasser der Adorno-Studie: Es handelt sich um Bogdan Roščić, der mit dem Doktorgrad der Philosophie im ganzen Land als Intellektueller anerkannt ist. Roščić, Jahrgang 1964, arbeitet derzeit in leitender Funktion als Musikmanager bei der Plattenfirma Sony. In drei Jahren aber soll er eine Einrichtung übernehmen, die den Österreichern besonders lieb und ebenso teuer ist: die Wiener Staatsoper. Bei dieser unkonventionellen Personalentscheidung wurden im Nachbarland Stimmen des Erstaunens laut, die das Kulturministerium mit dem Hinweis übertönte, Bogdan Roščić solle "eine Staatsoper 4.0 kreieren".

Adorno hat viel über Musik geschrieben, doch in der Arbeit von Roščić geht es eher um "falsches Bewusstsein als notwendiges Implikat der Divergenz von Individuum und Gesellschaft" und um die "Suche nach der verlorenen Sittlichkeit". Diese Kapitel nimmt sich nun der Plagiatsprüfer Stefan Weber vor. Erst bat er Adorno-Kenner, die meisten von ihnen Emeriti, um Unterstützung beim Ermitteln von Sekundärliteratur, die Roščić inspiriert haben könnte. Zehn Briefe schrieb er, zehn Absagen bekam er. Die Gelehrten hätten "Zeitmangel" als Grund angegeben. In Ermangelung kollegialer Expertise in kritischer Theorie hat sich Weber per Fernleihe Adorno-Studien bestellt, um sie neben die Roščić -Arbeit zu legen. Wenn er abermals fündig wird, könnte alles noch peinlicher werden. Und wenn nicht? Dann, sagt man in Österreich, passt eh alles.

© SZ vom 25.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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