Der E-Book-Test:Tausendmal berührt

Umblättern war gestern, heute wird geklickt. Das E-Book steht vor der Tür: taschenbuchgroß, 300 Gramm leicht, 200 Buch stark. Ist dies das offizielle Ende des Buches?

A. Rühle

Als der Essayist Sven Birkerts in seinem Buch "The Gutenberg Elegies" 1994 prognostizierte, dass sich für Schriftsteller und Verlage durch das Internet alles ändern werde, "von der Art zu schreiben über das Lektorat bis hin zur Lagerung", wurde er verlacht, das Buch sei nun mal das Buch, unersetzbar seit 500 Jahren.

E-Book

Ungewohntes Sinneserlebnis für den Leser: Anstelle von .Papierseiten offenbart das E-Book beim Öffnen zwei Displays.

(Foto: Foto: dpa)

Die Schriftstellerin Annie Proulx empörte sich, niemand werde sich je "hinsetzen und einen Roman auf einem kleinen Leuchtschirm lesen. Niemals!" Ähnlich apodiktisch redeten auch Musiker und Fotografen, wenn es um digitale Trägermedien ging. Musik als Datei? Banausen! Fotos auf Chipkarten? Negativ. Dann kam der iPod. Und hat hier noch jemand eine analoge Kamera im Haus?

So ist das Buch eigentlich das letzte Überbleibsel aus der analogen Welt. Jeff Bezos, Chef des Onlineversandhauses Amazon, drückte es kriegerischer aus, als er bei der Vorstellung seines E-Books des "Kindle" das Buch als "letzte Bastion des Analogen" bezeichnete. Bezos gab zwar freundlicherweise zu, dass eine Erfindung "die seit 500 Jahren auf dem Markt ist, nur schwer zu verbessern" sei, zeigte sich dann aber doch überzeugt, dass ihm genau das gelungen sei.

Fangen wir also mit dem Kindle an. Es ist flach, 300 Gramm schwer und etwas größer als ein Taschenbuch. Auf dem amerikanischen Markt gibt es das Gerät seit einem Jahr. Amazon geht mit Verkaufszahlen immer schon extrem spartanisch um, der Branchendienst Publishers Lunch aber tippt für 2008 auf immerhin 500 000 verkaufte Geräte in den USA.

Klobigkeit aus der Intensivmedizin

Viele Benutzer verglichen das Ding anfangs mit dem iPod, kommen doch wie bei Apple Gerät und Inhalt aus einem Haus. Genau das aber ist der Haken daran. Kauft man das Gerät, bekommt man 200 Bücher als Datei mitgeliefert. Neue elektronische Bücher kann man dann aber nur bei Amazon bestellen.

Und leider kann man all die Bücher auch nur auf dem Kindle lesen. Sollte man sich eines Tages für ein anderes Gerät entscheiden, muss man also seine gesamte elektronische Bibliothek wegwerfen. Man stelle sich vor, man hat die Nase voll von seinen hässlichen Billy-Regalen, lässt sich endlich schöne Schränke fertigen und muss dafür alle Bücher aussortieren . . .

Apropos hässlich: Schön ist der Kindle nicht. Mit seinem weißen Gehäuse soll er wohl an den iPod erinnern, hat aber nicht im Entferntesten dessen samtig-eleganten Appeal, das Gerät erinnert in seiner Klobigkeit eher an Geräte aus der Intensivmedizin.

Und wenn wir schon am Schimpfen sind: Der Kindle kann nicht einmal die für längere Texte bewährten PDF-Dateien verarbeiten. Demgegenüber bietet der Sony-Reader eine offenere Systemarchitektur, neben PDF- und MP3-Dateien kann er auch RSS-Newsfeeds verarbeiten.

Lesen Sie auf Seite 2, warum es rumort im Betrieb.

Tausendmal berührt

Wie auch immer: Der Kindle steht vor den Toren Europas. Auf der Buchmesse wird er dem deutschen Markt vorgestellt. Und es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, es rumore kräftig im Betrieb.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels kündigte an, "der Durchbruch des E-Books im Markt steht unmittelbar bevor." Um dem Monopolisten Amazon schon jetzt etwas entgegenzusetzen, hat der Verein die Seite "Libreka" gestartet, auf der momentan 70 000, bis Ende des Jahres 100 000 Titel zur Volltextsuche frei verfügbar sein werden.

Helge Malchow, Verleger von Kiepenheuer und Witsch, raunte im Branchenmagazin Buchmarkt gar von einem Einschnitt, "so dramatisch wie die Erfindung der Buchdruckerkunst". Und wie das so ist mit Epochenbrüchen, man bemerkt sie erst, wenn es so weit ist. "Vor zwei Jahren haben wir alle noch abgewunken", sagt Stephan Wirges, Vertriebsleiter bei Kiepenheuer und Witsch, "wir dachten, E-Book, niemals, das ging doch schon mal in die Hose."

Stimmt. In den neunziger Jahren gab es verschiedene Versuche, vor allem das Rocket Book der Firma Nuvomedia wurde mit großem Pomp auf den Markt geworfen, wo es aber schnurstracks unterging. Das Hauptproblem der frühen Modelle war das Display. Funzelige Beleuchtung und krisslige Pixeltexte konnten es nicht aufnehmen mit der Qualität des Offsetdrucks.

Beeindruckende Lesequalität

Bis der Physiker Joe Jacobson vom MIT, eigentlich Experte für Lasertechnologie, mit Partikeln zu experimentieren begann, die unter elektrischer Spannung ihre Farbe von Schwarz nach Weiß ändern und ihren Zustand so lange beibehalten, bis sie einen neuen Befehl erhalten - sprich, bis man die Taste "Umblättern" drückt.

Momentan gibt es sechs E-Book-Modelle, und ob Kindle oder Sony Reader, Cy oder iLiad - die Lesequalität all dieser neuen Geräte ist beeindruckend, es gibt keine Hintergrundstrahlung, die die Augen ermüden würde, selbst bei direkter Sonneneinstrahlung kann man mühelos lesen.

Als Anfänger streicht man immer wieder vorsichtig über das Glasdisplay, als ob da was zu spüren sei, so plastisch, so erhaben und weich wirken die Buchstaben auf dem grauweißen Untergrund. Nichts piepst, die Dinger werden, anders als ein Laptop, auch nach mehreren Stunden nicht heiß, und alle strahlen in ihrem schwarzen, weißen oder grauen Design diskreten Ernst aus.

Alles daran soll an das gute alte Buch erinnern. Man "blättert" durch Tastendruck um, und es gibt sogar die eigentlich ja sinnlosen Seitenzahlen - wozu noch Seitenzahlen, wenn man jedes Zitat via Volltextsuche in Sekundenschnelle finden kann?

Lesen Sie auf Seite 3, wie es mit den E-Books weiter geht.

Tausendmal berührt

Da Strom nur verbraucht wird, wenn man "umblättert", reicht eine Akkuladung weit länger als bei einem Rechner, laut Sony kann man auf dem Reader 6800 Seiten lesen, bevor der Saft ausgeht. Biegen wie ein Taschenbuch kann man die Bildschirme noch nicht, aber längst arbeiten verschiedene Unternehmen an flexiblen Displays.

Die Firma Plastic Logic will elektronisches Papier auf den Markt bringen, das nur 0,1 Millimeter stark und somit aufrollbar ist. Das Modell Readius der Firma Polymere Visions, ein Handy mit zweifach ausklappbarem Display, soll Anfang 2009 kommen, der Prototyp sieht zunächst verdammt chic aus, die ausgeklappte "Seite" liegt dann aber recht labberig in der Hand.

Fragt sich, wer damit lesen wird und wie störend es auf Dauer ist, dass man zusätzlich zu Handy, Laptop, Blackberry oder iPhone ein weiteres Gerät mit sich herumträgt. Zumindest Vielleser aber dürften dankbare Abnehmer sein. Bei Kiepenheuer und Witsch lesen bereits alle Mitarbeiter Manuskripte nur noch auf dem Sony Reader und sind "ausnahmslos begeistert", wie Stephan Wirges sagt.

Natürlich, man könne bislang keine Notizen an den Rand machen, sondern nur lesen. Aber dass man permanent alle Manuskripte in einem Kästchen zur Verfügung habe, sei ein unschätzbarer Vorteil. Bertelsmann hat auch schon umgestellt, bei Fischer wartet man angeblich nur auf das nächste Modell des Sony Readers.

Schulranzentauglich?

Bei all dieser Begeisterung ist es fast schon erfrischend, wenn man mit Günter Berg, dem Leiter des Hoffmann und Campe Verlags telefoniert. Seines Erachtens ist das E-Book für Publikumsverlage "völlig uninteressant, weil die Komfortabilität des Basisprodukts durch nichts zu schlagen ist." Sprich: Ein Buch ist ein Buch, man braucht keine Batterie und kein Gerät, das nach drei Jahren wieder veraltet ist. "Erst wenn Apple die Maschine auf den Markt wirft, die wirklich alles auf einmal kann, wird es interessant."

Momentan haben die E-Books in den USA einen Marktanteil von einem Prozent. Ronald Schild vom Börsenverein schätzt, dass die elektronischen Bücher auf Dauer zehn Prozent des Marktes übernehmen können, die offensivsten Prognosen gehen von 25 Prozent aus.

Einer der wichtigsten Märkte für all die Geräte dürften Schulen und Universitäten sein. Lehrbücher veralten schnell und sind schwer, mit einem E-Book könnte man jedes Jahr die neueste Version aller benötigten Bücher in das federmäppchenleichte Kästchen überspielen. An irischen Colleges wird bereits mit E-Books experimentiert, angeblich ist bei Amazon ein eigenes Modell für den Schulbetrieb in Planung. Fragt sich nur, wie lange so ein filigranes Gerät im Schulranzen eines Elfjährigen überlebt.

Im Moment bietet nur das Kindle Zugang zum Internet. Für alle anderen Modelle braucht man, um neue Bücher runterzuladen, noch einen Rechner und einen USB-Stick. Aber auch das dürfte sich bald ändern.

Lesen Sie auf Seite 4, welche weiteren Innovationen den Buchmarkt revolutionieren könnten.

Tausendmal berührt

Bob Stein, Chef des Institute for the Future of the Book, glaubt, dass es bald schon das Buch 2.0 geben werde, dass also viele Leute gemeinsam an Büchern schreiben werden. Die Open-Book-Plattform des amerikanischen O'Reilly-Verlags bietet heute schon Rough Cuts, also unlektorierte Versionen von Sachbüchern an, die von den Lesern verbessert werden können.

Die Verlage werden sich also schnell überlegen müssen, wie sie ihre Bücher parallel analog und digital vermarkten. Günter Berg stöhnt, Kindle und Amazon stünden genauso ungeduldig vor der Tür wie Sony und Libri, die auf einem gemeinsamen Portal möglichst viele digitale Titel anbieten wollen. "Aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, was ich da überhaupt genau verkaufe."

Bislang sind alle Urheber- und Rechtefragen genauso ungeklärt wie die Frage der Buchpreisbindung für E-Books.

"Festungsmauern" gegen die digitale Welt

Ungefähr zur selben Zeit, als Jeff Bezos vom Buch enthusiastisch als letzter Bastion des Analogen sprach, benutzte John Updike ein ganz ähnliches Bild. In einem Pamphlet wider die allumfassende Virtualisierung schrieb er, für ihn glichen die steifen Umschläge der Bücher mittlerweile "Festungsmauern" gegen die digitale Welt, weshalb er alle Gleichgesinnten aufforderte, "das Fort zu verteidigen".

Als durchschnittliche Büromonade lebt man ja emotional irgendwo zwischen Jeff Bezos' aufgekokster Begeisterung und Updikes unversöhnlichem Grimm. Aber auch als solch neutrale Mittelexistenz kann man etwas anfangen mit dem Bild von der analogen Bastion: Was für eine Wohltat, nach einem Tag im Büro ein Buch zu lesen.

Es geht gar nicht ums Papier, den Duft, das Haptische, es geht um die Konzentration, die Ausschließlichkeit eines Textes, ohne den Weltzerstäuber und Allzerstreuer Google im Hintergrund. Liest man hingegen auf dem Kindle ein Buch, ist man immer nur einen Klick vom Netz entfernt. Und das dürfte auf die Qualität des eigenen Lesens abfärben.

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