Der Countdown (XVI):"May, May, we want to stay"

Der Countdown (XVI): Die wichtigste Frage für einen Marsch à la May: Welchen Schuh trägt man dazu?

Die wichtigste Frage für einen Marsch à la May: Welchen Schuh trägt man dazu?

(Foto: Illustration Jessy Asmus)

Der Name der britischen Premierministerin reimt sich auf so einiges. Und so marschieren die Brexit-Gegner mit allerlei Sprüchen und einer ganzen Menge Wut im Bauch für Europa.

Brexit-Kolumne von Alexander Menden, London

Einen Vorteil hat es, dass Theresa May Premierministerin ist: Ihr Nachname reimt sich auf so einiges. "May, May, go away!" "May, May, we want to stay!" "May, May, you've sold the UK!"", skandiert ein Megafonträger, der mit Zehntausenden Anti-Brexit-Demonstranten vom Trafalgar Square zum Parliament Square marschiert. Das heißt, "marschieren" trifft es nicht. Es ist ein aufgekratzter Spaziergang mit Europafahnen. Einen sonnigeren Tag hätten sie sich für ihren "Marsch für Europa" jedenfalls nicht aussuchen können.

Das finden auch die kahlgeschorenen, hemdlosen Gentlemen, die mit Pintgläsern und Zigaretten vor dem Red Lion Pub an der Parliament Street stehen und sich rot brutzeln lassen. Als der Mann mit dem Megafon vorbeikommt, entfaltet einer von ihnen eine Sankt-Georgs-Fahne, auf der in Fraktur-Großbuchstaben "Extremisten runter von unseren Straßen!" steht, und darüber: "Marsch für England." Anstalten, tatsächlich zu marschieren, machen die brutzelnden Herren keine; Gegendemonstration und Bierverzehr haben einträchtig zueinandergefunden.

Der Spruch zur Zeitumstellung: am Sonntag eine Stunde vor, ab Mittwoch 40 Jahre zurück

Nirgends zu sehen: der berühmte Mottowagen vom Düsseldorfer Rosenmontagszug, der den Europa-Demonstranten voranfahren sollte. Es hatte darüber anscheinend Streit im Organisationskomitee gegeben. Vielleicht war es einigen nach dem Anschlag vom Mittwoch zu heikel, eine überdimensionale Theresa May mit einer Brexit-Pistole im Mund nach Westminster zu fahren. Die Gruppe "European Movement UK" hatte ihre Teilnahme gleich ganz abgesagt, um die Polizei nicht zusätzlich zu belasten. Nicht nur wegen des Anschlags ist die Stimmung schwer einzuordnen an diesem Samstagnachmittag. Beginnt hier der Aufstand der "48 Prozent", die gegen den Brexit stimmten? Oder ist es doch nichts weiter als der mit trügerischer Entschlossenheit vorgetragene Schwanengesang einer letztlich aussichtslosen Sache?

Der Londoner Marsch unterscheidet sich fundamental von anderen, die an diesem Tag in europäischen Städten veranstaltet werden. Die Demonstranten von Polen bis Spanien dürfen hoffen, die Union weiterhin von innen gestalten zu können. Die Briten eher nicht. Ein Demonstrant hat es geschafft, die Umstellung auf die Sommerzeit mit dem Beginn der Brexit-Verhandlungen am 29. März in einen Plakatslogan zu bringen: "Morgen stellen wir die Uhren um eine Stunde vor. Am Mittwoch werden sie 40 Jahre zurückgedreht."

Auf dem Parliament Square gruppieren sich die Demonstranten um das Blumenmeer, das sich vor dem Tor zum New Palace Yard angesammelt hat. Sie halten eine Schweigeminute und legen Osterglocken auf die Kühlerhaube eines Polizeiautos an der Auffahrt zur Westminster Bridge. Dann beginnen die Reden. Alastair Campbell, Tony Blairs früherer Spin Doctor, vergleicht Großbritannien mit einem Auto, das auf eine Klippe zusteuert. "Da fährt man nicht einfach weiter!" Tim Farron, Vorsitzender der Liberal Democrats, sagt: "Wir sind hier, um zu zeigen, dass wir niemals verzweifeln werden." Sein Amtsvorgänger Nick Clegg, dessen Mutter aus Holland stammt, bekommt viel Applaus, als er ruft, dass er seit dem EU-Referendum "mit einem Dauergefühl der Wut" herumlaufe. Und noch mehr, als er Theresa May "erniedrigende transatlantische Unterwürfigkeit" gegenüber Donald Trump bescheinigt.

Als die Demonstration sich aufzulösen beginnt, schlendert man hinüber auf die Westminster Bridge. An einem Laternenpfahl hängen noch mehr Blumen und Union Flacs und Europaflaggen. Hier wurde Aysha überfahren, die auf dem Weg war, ihre Kinder von der Schule abzuholen. Vor zwei Wochen erst war sie in unserer Gemeinde in Kensal Rise bei einer Taufe. Big Ben schlägt fünf. Der Megafonmann ruft unverdrossen: "May, May!" Ein Straßenmusiker singt Leonard Cohens "Hallelujah". Zeit, sich auf den Heimweg zu machen.

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