"Der Club" von Takis Würger:Whisky im verschwiegen-männerbündlerischen Studentenklub

Verkommenheit aus Tradition und die Bosheit der höheren Stände zeigte Lone Scherfig 2014 in ihrem Film "The Riot Club".

(Filmszene aus "The Riot Club" von Lone Scherfig, 2014)

(Foto: imago stock&people)

Hier fehlt kein Thema des urbanen Zeitgeistes, und doch geht der Faden der Geschichte nie verloren: Takis Würger erzählt in "Der Club" charmant vom Eintritt in die Elite.

Von Jens-Christian Rabe

Es gibt eine Art von Literatur, die von Menschen, die zum Vergnügen lesen, sehr geschätzt wird. Menschen, die dagegen das schwere Los ereilt hat, professionell zu lesen, macht diese Literatur sehr schnell sehr misstrauisch. Das Misstrauen kann sogar, wie nun einmal wieder beim Debüt-Roman "Der Club" des Spiegel-Reporters Takis Würger, so weit gehen, dass einem Buch leicht bis mittelschwer gönnerhaft vorgeworfen wird, es sei etwas zu charmant erzählt.

Das ist zwar nicht völlig falsch, aber so schlimm doch eigentlich auch wieder nicht. Angesichts der Tatsache, dass echte literarische Meisterwerke ja ohnehin selten erscheinen und einem bei den laufenden Neuerscheinungen doch eher deren meist völlig uncharmante Mittelmäßigkeit die letzten Nerven raubt.

Tatsächlich ist Takis Würger etwas gelungen, das in der deutschen Literatur nicht allzu selbstverständlich ist: Er hat einen Roman geschrieben, in dem er fast kein Thema des aktuellen urbanen Zeitgeistes ausgelassen hat - und dabei doch nie den Faden der Geschichte verloren, die er erzählen wollte.

Die handwerkliche Könnerschaft strahlt einen von Anfang an unüberlesbar an. Es besteht nie ein Zweifel daran, dass der Autor in jeder Zeile exakt wusste, was er tat.

Schon im ersten Absatz wird das Ende eines Lebens angekündigt, die Geschichte kann also mit einer gewissen existenziellen Fallhöhe beginnen: "Im südlichen Niedersachsen liegt ein Wald, der Deister, darin stand ein Haus aus Sandstein, in dem früher der Förster gewohnt hatte und das durch eine Reihe von Zufällen und den Kredit einer Bank in den Besitz eines Ehepaars kam, das dort einzog, damit die Frau in Ruhe sterben konnte."

Der Leser wird in dieses Buch hinein- und schließlich auch hindurchgesogen

Man hat bei der Lektüre nicht den Eindruck, eine kunstvolle Erzählung vor sich zu haben, auch nicht etwas famos Fabuliertes. Man denkt eher bald an etwas, das im Englischen "Storytelling" genannt wird und im Grunde nicht wörtlich übersetzbar ist. Beim Erzählen ist nämlich Oberflächlichkeit ein unverzeihliches Vergehen, der Storyteller weiß dagegen, dass die richtige Oberfläche für's Erste schon Abgrund genug sein kann.

Kostenlos gibt es die Perfektion natürlich nicht. Aber darum soll es jetzt noch nicht gehen, weil die eilige Eleganz, mit der man in dieses Buch hinein- und schließlich auch hindurchgesogen wird, ein paar Worte mehr wert ist.

Karl Marx, Extremtrekking und Whisky

In einer Art Zeitraffer erfährt man zunächst die Lebensgeschichte des Protagonisten Hans, der nach einer glücklichen Kindheit innerhalb weniger Monate zuerst seinen Vater und dann seine Mutter verliert.

Auch dabei wird die Sache ohne Umschweife eilig berichtet, aber doch auch zu zart lakonisch aufgeladen, als das einen die Konstruiertheit aus der Kurve trägt: "Mein Vater war gestorben, weil ich in Brandenburg boxen wollte. Meine Mutter war gestorben, weil ich Schnittlauch auf meinem Rührei essen wollte." Sie stirbt nach einem Bienenstich an einem allergischen Schock. Hans ist da fünfzehn Jahre alt: "Ich wartete ein paar Tage darauf, dass ich aufwachen würde aus diesem Albtraum, und als das nicht geschah, füllte mich eine Dunkelheit, die so stark war, dass ich mich wundere, wie ich sie überlebte."

Die Verantwortung für den Teenager übernimmt die in England lebende Tante Alex, die ihn aber zunächst nicht zu sich holt, sondern auf das Internat einer Jesuitenschule im Bayerischen Wald schickt. Hier findet der einsame Außenseiter Hans einen Mönch als Mentor und über das Boxen zu sich selbst.

Keine 25 Seiten braucht Würger für diese Exposition, die man kaum zusammenfassen kann, ohne sie zu karikieren. Das ist in diesem Fall aber eher ein Problem der noch kürzeren Form der Rezension als das des Buches oder des Autors, der es auch noch fertigbringt, zu erwähnen, dass das Internat "Geld brauchte, weil ein paar Mönche in isländische Hightech-Unternehmen investiert und große Summen des Stiftungsvermögens verloren hatten".

Alex, eine an der Elite-Universität Cambridge lehrende Kunsthistorikerin, holt Hans schließlich nach dem Abitur doch noch nach England, allerdings nicht ohne Hintergedanken. Mit einem Stipendium und unter falschen Namen eingeschleust, soll er ihr helfen, ein Verbrechen in einem der extrem exklusiven, moralisch verkommenen und notorisch verschwiegen-männerbündlerischen Studentenklubs aufzuklären.

Schöne kleine Miniaturen über avancierte Rinderfilet-Garmethoden

Aus dem Internatsbuch wird so flugs ein Elite-Campus-Krimi und dann auch gleich noch ein Liebesroman. Denn der Weg in die fremde Welt führt für den deutschen Stipendiaten nicht nur über das Boxen, diese "Sprache, die ohne Worte auskommt", sondern auch über die Doktorandin Charlotte, deren Vater Investmentbanker ist, der "mit dem Geld anderer Leute ganze Firmen" erwirbt, sie "auf Profitabilität trimmt" und sie dann "an den nächsten verkauft".

Außerdem gibt es unterwegs manch Miniatur über avancierte Rinderfilet-Garmethoden, Karl Marx, den Kriegsstrategen Carl von Clausewitz, Extrem-Trekking und Whisky.

Aber ist das nicht eigentlich alles zu viel für ein einziges, kaum 240 Seiten langes Buch? Absolut. Hört man deswegen auf zu lesen? Absolut nicht. Und wie, bitte, ist das möglich? Tja, erst einmal natürlich, weil der Krimiplot so clever durchgespielt wird, dass man irgendwann unbedingt wissen möchte, wie es ausgeht. Vor allem aber, weil die große Reporterkunst, auf sprechende Details zu setzen, zwar leicht durchschaubar ist, richtig angewendet aber doch auch ziemlich unwiderstehlich.

Wenn man es wie Takis Würger versteht, sich dabei nicht zu verzetteln.

Takis Würger: Der Club. Kein & Aber. Zürich 2017. 238 Seiten. 22 Euro, E-Book 17,99 Euro.

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