Denzel Washington:"Am Ende hält Gott dir den Spiegel vor"

Der Schauspieler Denzel Washington spricht über Religion, privaten Waffenbesitz und den Erfolgsfaktor gutes Aussehen.

Antje Wewer

Im Berliner Ritz-Carlton Hotel sind die Damen sehr aufgeregt, Denzel Washington ist da und er sieht viel besser aus, als in seinem aktuellen Film. Washington kommt, nein, er federt in seinen Adidas-Turnschuhen in das Zimmer. Sportlich wirkt er, groß und respekteinflößend. Sein Lächeln gibt eine Reihe extra weißer Zähne preis. Kräftiger Handdruck, dann: Smalltalk. Er plaudert über das schöne Wetter, erzählt, dass immer mehr Männer grünen Tee trinken, lobt den Blick auf den Potsdamer Platz. Er will sein Gegenüber ablenken, ein Vollprofi, der schon seit 30 Jahren im Filmgeschäft ist.

SZ: Mister Washington, schon gehört, in Berlin gibt es seit kurzem eine Kanzler-U-Bahn. Die wäre doch einen Besuch wert, wo Sie ohnehin gerade in der Stadt sind, um über Ihren U-Bahn-Thriller zu sprechen.

Denzel Washington: Dafür ist keine Zeit, young lady. Davon mal abgesehen weiß ich nicht, wann ich das letzte Mal öffentliche Verkehrsmittel benutzt habe. Als ich noch in Mount Vernon, New York, lebte, war ich ständig mit der U-Bahn unterwegs.

SZ: Wie sind Sie dort aufgewachsen?

Washington: Bei meiner Mutter, sie hatte in dem Vorort ein Kosmetikstudio, mein Vater war Prediger. Kleine Verhältnisse, wenig Annehmlichkeiten. Meine Eltern trennten sich, als ich 14 Jahre alt war. Die ersten zwei Jahre bin ich in der Bronx zur Schule gegangen, später dann in der Nähe des Lincoln Centers in Midtown. Also musste ich jeden Tag den Zug von White Plains runter zur 59th Street nehmen. Für die Dreharbeiten bin ich nach 30 Jahren Pause wieder U-Bahn gefahren. Ein Flashback in meine Jugend. Seit ich in Los Angeles lebe, fahre ich nur Auto.

SZ: Ende der Siebziger sind Sie aus Karrieregründen nach Los Angeles gezogen. Ein Kollege von Ihnen, Larry David, auch ein Ex-New Yorker, hat aus seinem Ortswechsel und Westküsten-Frust gleich eine erfolgreiche Serie kreiert.

Washington: Von dem Kerl habe ich noch nie was gehört. Aber ich schaue auch keine Serien. Das Einzige, was mich im Fernsehen interessiert, sind Sport und Nachrichten. Exakt in dieser Reihenfolge. Und was Los Angeles angeht: In New York hatte ich viel Theater gespielt, ein bisschen Fernsehen gemacht; ich wusste, wenn ich ins Kino will, muss ich an die Westküste. Als ich in L.A. ankam, war keine Zeit für Heimweh, das Timing stimmte, es gab Angebote für farbige Schauspieler wie mich.

SZ: Sie bekamen gleich die Rollen, von denen Sie geträumt hatten?

Washington: Nicht sofort, die lustigen Rollen bekam Eddy Murphy angeboten, die Drogendealer spielten auch andere, in mir sah man schnell den "Good Guy". Ich hielt mich an den Rat meines großen Vorbilds Sidney Poitier, der mir den Satz mit auf den Weg gab: "Junge, deine ersten drei oder vier Filme definieren dich und prägen das Bild, das die Leute von dir für den Rest deiner Karriere haben werden." Also entschied ich mich für den Anti-Apartheid-Kämpfer Steve Biko in Richard Attenboroughs "Schrei nach Freiheit" und den Sklaven Trip in dem Bürgerkriegsdrama "Glory".

SZ: Damit hatten Sie sich als Mann für die anspruchsvollen Charakterrollen empfohlen. Als Sie 1989 für Ihre Nebenrolle in "Glory" einen Oscar erhielten, konnte nichts mehr schiefgehen, oder?

Washington: Sagen wir es so: Das Fundament war solide gelegt. Man traute mir schwierige Parts mit emotionaler Tiefe zu. Und ich war damals schon mit meiner Frau Pauletta verheiratet, ich war also nicht mehr auf dem Markt und musste mir nicht auf Hollywood-Partys die Beine in den Bauch stehen.

SZ: Dafür mussten Sie auf Ihren nächsten Oscar für eine Hauptrolle 12 Jahre warten. Es gab keinen für "Malcolm X" und keinen für den homophoben Anwalt in "Philadelphia". Woran lag das?

Washington: Hinter den Academy Awards steckt mehr politisches Kalkül als in jedem Wahlkampf. Vielleicht war ein Oscar für einen schwarzen Bürgerrechtler vielen zu offensichtlich? Ich weiß es nicht. Dass ich dann ausgerechnet für "Training Day" den Oscar bekam, war tatsächlich eine Überraschung. Eigentlich wollte ich diesen Alonzo, diesen durch und durch korrupten Cop, der andere Schwarze als Nigger bezeichnet, gar nicht spielen. Mein ältester Sohn hat mich überredet. Er liest fast alle meiner Drehbücher und sagte damals: "Daddy, so ein subtiles Arschloch hast du noch nie gespielt. Das musst du machen."

SZ: Sie lassen sich also von Ihren Kindern beraten?

Washington: Manchmal schon, sie haben oft einen überraschenden Blick auf ihren Vater. Zum Beispiel bemängeln meine Töchter, dass ich zu selten in romantischen Komödien mitspiele. Meine Kinder sind viel größere Filmfans als ich, abgesehen von meiner Arbeit interessiere ich mich nicht besonders fürs Kino. Das war schon immer so. In letzter Zeit habe ich mich für zwei Ausnahmen vom Sofa ins Kino bewegt. Das war für "Burn After Reading" von den Coen-Brüdern und Kathryn Bigelows "The Hurt Locker" - oh boy, ein großartiger Film über den Irak-Krieg.

SZ: Würden Sie denn für die "Entführung der U-Bahn Pelham 123" ins Kino gehen?

Washington: Knifflige Frage. Meine eigene Premiere konnte ich natürlich nicht schwänzen, obwohl ich solche Veranstaltungen in der Regel meide. Aber würde ich gehen, wenn ich nicht selber mitspielen würde? Ich vermute mal nein.

SZ: Weil Sie, der selber in einem Dutzend Thrillern gespielt hat, keine Actionfilme mögen?

Washington: Ach, Sie denken viel zu sehr in Formaten. Für mich ist "Pelham" kein Actionfilm, im Gegenteil, ich empfinde ihn als sehr spirituell. Schließlich geht es um Vergeltung. Ein Mann hat einen Fehler begangen, dann bekommt er die Chance etwas richtig zu machen, und er packt sie. Damit er sich wieder ganz fühlen kann. Er steht wieder auf. Darauf kommt es im Leben an. Auf das Aufstehen. Die Botschaft gefällt mir. Dieser Walter Garber ist ein Durchschnittstyp, der früher mal sexy und ambitioniert war und sich dann hat gehen lassen.

SZ: Sie spielen ihn mit Brille, graumelierten Haaren und einem Wohlstandsbauch. Haben Sie sich den extra angefuttert?

Washington: Den hatte ich schon, weil ich mich einer Knie-Operation unterziehen musste und eine Weile keinen Sport machen durfte. Die Hölle! Seit ich den Boxer Rubin Carter gespielt habe, trainiere ich mehrmals die Woche. Ohne Sport bin ich ungenießbar, er hält mich, neben dem Beten, mental stabil. Dennoch: Meine Performance hat von den Extra-Kilos profitiert. Ich wirke anders, schwerfälliger, gemütlicher, und deshalb nimmt man mir den Walter, diesen unter Druck geratenen Fahrdienstleiter, besser ab. Nach den Dreharbeiten habe ich 30 Kilo abgenommen. In meinem Alter auch kein leichtes Unterfangen.

SZ: Es heißt, Sie hätten Ihre erfolgreiche Hollywood-Karriere auch Ihren symmetrischen Gesichtszügen zu verdanken?

Washington: Tatsächlich? Ist das ein als Kompliment getarnter Vorwurf? Attraktivität ist in vielen Berufen von Vorteil, nicht nur beim Film. Dann wieder spielen gerade in meiner Branche die Typen mit dem "Charaktergesicht" die interessantesten Rollen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Erleuchtung zu Denzel Washington kommt.

"Mir geht es um Spiritualität"

SZ: Auf vielen Ihrer Filmposter sind Sie in imposanter Pose mit einer Waffe zu sehen. Gefällt Ihnen das?

Washington: Das nennt man Marketing und soll Action, Spannung, großes Kino suggerieren, sagt aber in Wahrheit nicht viel über den Film aus. Ich bin überrascht, dass ich auf dem Pelham-Poster nicht mit einer Waffe zu sehen bin, obwohl ich erst ganz zum Schluss eine benutze. Aber lassen Sie mich mal nachdenken, in "American Gangster" hatte ich als Heroin-Dealer Frank Lucas sehr oft eine Beretta in der Hand, in "Inside Man" spiele ich einen Polizisten und tatsächlich in "Deja-Vu" waren auch Waffen im Spiel, ha, aber davor habe ich den Brutus in "Julius Cäsar" am Broadway gespielt. Ohne Waffe!

SZ: Nun ja, in den letzten Jahren spielen Sie öfter den "Bad Guy" als Gutmenschen. Bringt das die großen Gagen von 20 Millionen Dollar pro Film?

Washington: So denke ich nicht. Es gibt verschiedene Kriterien, nach denen ich entscheide, die Rolle und der Regisseur stehen im Vordergrund. Mit Tony Scott habe ich schon mehrere Male erfolgreich zusammengearbeitet. Im Original-Script sollte ich ein Cop sein, dass wollte ich nicht, ich wollte einen Normalo spielen, der zufällig das Telefon abhebt, plötzlich einen durchgeknallten Entführer in der Leitung hat und in dieses hochexplosive Katz-und-Maus-Spiel reinschlittert.

SZ: Sie machen eine Ansage und das Drehbuch wird umgeschrieben?

Washington: In diesem Fall war es so. Nach "Inside Man" hatte ich einfach keine Lust, schon wieder einen Polizisten in einer Entführungssituation zu spielen. Mein Charakter basiert nun auf einer wahren Geschichte, was mir generell sehr gut gefällt, denn ich recherchiere meine Rollen im Vorfeld akribisch. In der Vorbereitung bin ich mehr Journalist als Schauspieler. Am liebsten begleite ich Menschen mit echten Berufen bei ihrem Alltag und beobachte, wie sie arbeiten. Da gab es Reporter, Militäroffiziere, Boxtrainer, CIA-Agenten oder eben Typen, die ihr Leben lang für die New Yorker U-Bahn gearbeitet haben. Alles zehn Mal spannender, als blutleere Drehbuchbesprechungen mit einem Coach.

SZ: Apropos echtes Leben, haben Sie denn in Ihrer Villa in Beverly Hills eine echte Waffe?

Washington: Was ich in meinem Haus habe, ist meine Privatsache. Aber dann frage ich mal genauso neugierig zurück: Wie beschützen Sie ihr Haus, ihre Kinder, die geliebte Familie?

SZ: Nun, ich habe weder Haus noch Kinder.

Washington: Sehen Sie, das macht es gleich sehr viel einfacher für Sie. In Amerika gibt es das "Second Amendment", ein Gesetz, das den Bürgern erlaubt, Waffen zu besitzen. Generell finde ich, dass es in unserem Land viel zu viele Waffen gibt. Aber ich kann auch verstehen, dass jemand, der in seinem Leben schon mal bedroht worden ist, sich mit einer Waffe sicherer fühlt.

SZ: Das hat aber schon oft zu großen Katastrophen wie Amokläufen, Überfällen oder Familiendramen geführt.

Washington: Klar, die Gefahr ist da. Aber beim Anschlag auf das World-Trade-Center wurden keine Waffen benutzt, dennoch verloren Tausende Menschen ihr Leben. Der Wahnsinn hat mehr mit der Natur des Menschen zu tun als mit Schusswaffen. Menschen bringen einander mit Hämmern, Bierflaschen oder Kissen um. Eine Waffe ist zunächst einmal nur eine Waffe und kann nur töten, wenn jemand sie hochnimmt, entsichert und schießt.

SZ: Ein Pazifist sind Sie also nicht, aber ein sehr religiöser Mensch, oder?

Washington: Ich würde mich nicht als religiös, sondern als spirituell bezeichnen.

SZ: Worin liegt der Unterschied?

Washington: Religion wird von Menschen benutzt, um ihre Interessen oder Einstellungen zu unterfüttern. Das finde ich bedenklich. Gerade weil es dann schnell darum geht, meine Religion ist richtig und deine ist falsch. Ich halte nichts von Bevormundung, jede Religion hat ihre eigenen Rituale und keines ist besser als die der anderen. , das Hinterfragen der eigenen Existenz und die Verbindung zu Gott.

SZ: Es heißt, Sie können ganze Passagen aus der Bibel zitieren?

Washington: Durchaus. Und ich bete auch mehrmals am Tag. Aber ich kann es auch ganz schlicht mit einem Songtitel sagen: "The Man in the Mirror", zitiert nach dem kürzlich verstorbenen Michael Jackson. Mag ich den Mann, der mir am Abend aus dem Spiegel entgegenblickt? Ist das ein guter Typ, der an sich arbeitet und für andere Mitgefühl hat? Der sich in Toleranz übt, sich nicht nur um sein Ego dreht? Denn darum wird es auch am Ende des Lebens gehen, dann wird Gott dir nämlich diesen Spiegel vorhalten. Ich möchte mich nicht wegducken müssen, sondern ihm in die Augen schauen können, wohl wissend, dass ich dabei geholfen habe, die Erde zu einem besseren Platz zu machen.

SZ: Anstatt jetzt Amen zu sagen, noch eine Frage: Wie machen Sie das konkret?

Washington: Darüber möchte ich nicht sprechen, ich spende eine Menge Geld an verschiedene Kirchen und Institutionen, aber ich mache das sehr diskret. Weil ich sonst auch nichts davon halte, wenn Prominente mit solchen Aktionen versuchen ihr Image aufzupolieren. Meine Maxime ist: Wenn ich Geld verschenke, spreche ich auf keinen Fall darüber und schon gar nicht über die Summen. Andere Aktionen mache ich durchaus publik. Ich coache ein junges Basketballteam, spreche zu Jugendlichen vom "Boys und Girls Club of America" und versuche mich zu engagieren, ein respektabler Bürger zu sein.

SZ: Mit Ihrer skandalfreien Ehe und den vier gemeinsamen Kindern sind Sie in Hollywood eine Ausnahme. Was raten Sie jungen Kollegen?

Washington: Eins vorweg: Ich tauge weder zum Heiligen noch zum Vorbild, ich bin auch nur good old Denzel mit einem Haufen Fehlern. Der allerdings früh die Frau seines Lebens getroffen hat. Was ich noch weiß, ist das: Das Leben kann simpel sein, und zwar dann, wenn du deine spirituelle Basis gefunden hast. Glaube, woran du willst, aber glaube an was. Und bedank dich ab und zu mal beim Lord, das hat noch keinem geschadet.

SZ: Wie bleibt man am besten bei Trost?

Washington: Mit Gebeten und Meditation. Sie beruhigen dich, führen dich zu deiner Mitte zurück. Anfangs ist es mühsam, aber dann gibt es diesen Moment, wenn es ganz ruhig in einem wird. Viele Menschen verstehen noch nicht, dass jeder Tag ein Geschenk, ein neuer Anfang ist, an dem man es besser machen kann als am Tag zuvor. Diese einfache Erkenntnis, war eine große Erleichterung für mich.

SZ: Wann kam Sie Ihnen denn, diese Erleuchtung?

Washington: Vielleicht im Schlaf? Solche Prozesse passieren unterbewusst, man legt nicht aktiv einen Schalter um, man lässt sie zu.

Denzel Washington, 54, aufgewachsen in New York, studierte erst Journalismus, bevor er ins Schauspielfach wechselte. Der Sohn eines Predigers startete am Broadway und wurde durch seine Serien-Rolle als Dr. Chandler bekannt. Washington spielte große historische Figuren wie Steve Biko, Malcom X oder den Boxer Rubin Carter. In den letzten Jahren hatte er mit Blockbustern wie "Inside Man" oder "American Gangster" großen Erfolg beim Publikum, aber auch bei den Kritikern. Nach Sidney Poitier gewann Washington als zweiter Afro-Amerikaner 2001 für "Training Day" einen Oscar. Der überzeugte Christ unterstützte gerade das Audio-Projekt "The Bible Experience". Washington ist seit 1983 mit seiner Frau Pauletta verheiratet. Das Paar lebt mit seinen vier Kindern in Los Angeles. Der Actionthriller "Die Entführung der Pelham 123" startet am 24. September.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: