Dennis Hopper:"Jeder Tag ein Nahtoderlebnis"

28 Bier am Tag, Rum und Kokain: Dennis Hopper spricht über das Leben an der Schwelle und über die Rolle als Tod im neuen Film von Wim Wenders.

Tobias Kniebe

Ein Abend im Glas-und-Betonpalast der Cinémathèque française im Pariser Vorort Bercy, seit drei Jahren ihr aktuelles Quartier. Premierenabend, die Gäste drängen sich schon. Dennis Hopper wird gefeiert, mit einer Retrospektive des ganzen New Hollywood, von "Easy Rider" bis "Apokalypse Now", einer Ausstellung seines photographischen und malerischen Werks. Auch Wim Wenders ist da, ihn zu ehren. Aus der Nähe betrachtet, erscheint der 72-jährige Hopper, der auf der Leinwand inzwischen fast unzerstörbar wirkt, dann doch erstaunlich fragil.

Dennis Hopper

Schauspieler, Regisseur, Maler und Photograph: Dennis Hopper.

(Foto: Foto: afp)

SZ: Wim Wenders erzählt inzwischen überall, dass Sie mit Sicherheit hundert Jahre alt werden. Wie sehen Sie das?

Hopper: Ich hoffe sehr, dass er recht hat.

SZ: Ursprünglich gab er Ihnen ungefähr bis Ende der siebziger Jahre, jetzt schwärmt er von ihre Weisheit und Güte.

Hopper: Nun ja, wenn man weise und gütig erscheinen will, hilft es sehr, nicht mehr zu trinken und keine harten Drogen zu nehmen. Das schaffe ich nun seit 24 Jahren, da stellt sich dann schon irgendwann eine gewisse Beschaulichkeit ein. Wissen Sie, alles begann ja mit meiner Schüchternheit. Ich hatte mich für ein öffentliches Leben entschieden, aber es war immer schwierig für mich, aus mir herauszugehen und in der Öffentlichkeit zu bestehen. Das Trinken und die Drogen halfen dabei. Sie befreiten mich auf eine Weise und zerstörten mich auf eine andere, und irgendwann musste das enden, so oder so. Wim kennt mich in beiden Zuständen - und ich werde den Verdacht nicht los, dass er den jetzigen SEHR viel lieber mag!

SZ: Fühlen Sie noch Spuren der Wut in sich, die Sie so lange angetrieben hat?

Hopper: Ich bin gar nicht sicher, dass es wirklich Wut war. Es gab keine großen Familienprobleme oder derartiges, die mir keine Ruhe gelassen hätten, ich mochte einfach die Person, die ich war, wenn ich betrunken oder high war - auch wenn's nicht wirklich ich selbst war. Schizophren, schon klar. Funktioniert auch nur für ungefähr eine Minute, dann folgt die Tragödie auf dem Fuß. Zur Zeit von "Easy Rider" machte ich Witze darüber und erzählte allen, mein Drogenkonsum diene eigentlich nur dazu, meine Alkoholsucht zu verschleiern. Kam super an. Aber die Wahrheit war nun mal, dass ich mit 28 Bier am Tag und einer halben Gallone Rum dazu tatsächlich Kokain brauchte, um das durchzustehen. Ein Alptraum, aber wie gesagt: Alles vorbei.

SZ: Was war denn nun die Triebfeder ihrer Arbeit?

Hopper: Ich hatte eine wirkliche Leidenschaft dafür, neue Dinge zu erschaffen. Und irgendwie konnte ich das nur auf meine Art tun, weshalb ich ständig mit einem System im Konflikt lag, das alles immer anders haben wollte. Ganz egal, ob es um meine Schauspielerei ging, meine Gemälde oder meine Assemblagen. Ich glaube einfach an meine Überzeugungen und ließ da nicht locker - auch wenn ich oft teuer dafür bezahlt habe, was meine Karriere und mein Privatleben betraf. Zugegeben, ich bin im Laufe der Jahre auch in grauenhaften Filmen aufgetreten, bessere waren eben oft nicht zu haben - aber ich habe immer versucht, den bestmöglichen Job zu machen. Ich liebe nun mal das Schauspielern, das Regieführen, das Malen, das Photographieren, ich habe da auch nie wirkliche Grenzen gesehen, die ein vollständiger Künstler akzeptieren sollte.

SZ: Wer aber als achtzehnjähriger Hollywood-Novize einem der mächtigsten Studiobosse ein "Fuck you" entgegenschleudert, den muss doch irgendwie auch der Teufel reiten, oder nicht?

Hopper: Nun ja, ich war eben wirklich nervös, ich hatte noch nie ein Studio von innen gesehen. Am Abend zuvor war eine Fernsehfolge mit mir gelaufen, "Boy in the Storm", ich spielte einen Epilektiker. Am nächsten Tag wollten sieben Studios mit mir reden, und der erste war Columbia-Boss Harry Cohn. Da saß er nun also, hinter sich eine ganze Wand voller Oscars, Zigarre im Mund, genau wie ich jetzt, hmm, seltsam. Jedenfalls nennt er mich den "natürlichsten Schauspieler seit Montgomery Clift" und fragt, was ich bisher so gemacht habe, und ich sage wahrheitsgemäß, Shakespeare gespielt, im Old Globe Theatre in San Diego. "Oh mein Gott, Shakespeare", sagt er. Und erklärt seinem Castingdirektor, er solle mich zurück zur Schule schicken, damit mir der ganze Shakespeare erstmal ausgetrieben wird. Und ich sagte: "Go fuck yourself." Mein Agent und ich wurden aus dem Studio verbannt, das hatte es lang nicht gegeben. Aber dann nahm mich Warner unter Vertrag, und ich lernte meinen großen Mentor James Dean kennen. Das ist schon richtig so gelaufen.

Lesen Sie auf Seite 2 über Hoppers Nahtoderfahrungen.

"Jeder Tag ein Nahtoderlebnis"

SZ: Jetzt haben Sie für Wim Wenders den Tod persönlich gespielt - bringt einen sowas zum Nachdenken über die Sterblichkeit?

Hopper: Leider ja. Den Gedanken an den Tod hätte ich, um ehrlich zu sein, gern noch ein wenig verdrängt. Und dann kommt Wim und setzt dir das Thema direkt vor die Nase. Aber Wim hat einen wundervollen Tod geschaffen, sehr liebevoll und fürsorglich. Er kann gar nicht verstehen, warum die Menschen so Angst vor ihm haben. Es ist doch nur ein weiterer Übergang in ein, nun ja, ein anderes Ding eben. Warum nur kriegt er so schlechte Publicity? Ich liebe es, mit Wenders zu arbeiten. Er ist so sicher in dem, was er will. Das letzte Mal, beim "Amerikanischen Freund", Mitte der siebziger Jahre - da hat er mich noch ganz anders kennengelernt.

SZ: Stimmt es, dass er Ihnen damals die dringliche Anweisung gab, nicht auf seinem Set zu sterben?

Hopper: Hoho! Allerdings!

SZ: Und? Hat Sie das beeindruckt?

Hopper: Nein. Ich dachte nur: Was hat der denn für ein Problem? Aber natürlich war es meine schlimmste Suchtphase, und wenig später drehte ich dann tatsächlich durch. In Mexiko.

SZ: Davor lieferten Sie aber noch eine große Performance als "Amerikanischer Freund" ab.

Hopper: Das war irgendwie nie das Problem. Wenn die Kamera lief, war ich da. Die Frage war nur, wer morgens aus der Garderobe kam: Jekyll oder Hyde? Bruno Ganz, mein Partner vor der Kamera, war fassungslos. Es war seine erste Filmrolle, aber er war schon groß im Theater. Eines Tages beim Drehen haben wir uns einen richtigen Faustkampf geliefert - alle dachten, jetzt ist es aus. Dann sind wir zusammen abgehauen, haben uns umarmt und geweint und sind Freunde geworden, nachts auf der Reeperbahn in Hamburg. Großer Schauspieler übrigens. Wird immer noch besser mit den Jahren.

SZ: Das ging noch glimpflich ab, aber mehr als einmal sind Sie dem Tod wirklich nur knapp entkommen. Irgendwelche Nahtod-Erinnerungen?

Hopper: In der Hauptphase meines Alkohol-Drogen-Wahnsinns war praktisch jeder Tag ein Nahtod-Erlebnis. Da hat nicht nur ein Schutzengel über mich gewacht, sondern eine ganze Sippe.

SZ: Erinnern Sie sich zum Beispiel an den Moment in Mexiko, wo Sie im Delirium eine Armee versammeln wollten?

Hopper: Leider ja. In meinem Kopf hatte der Dritte Weltkrieg begonnen, die Russen hatten die USA erobert, ich musste Truppen rekrutieren, um sie zurückzuerobern. Zu diesem Zweck lief ich splitternackt auf dem Highway in Mexiko entlang, bis die Polizei mich festnahm. In der Zelle gingen die Halluzinationen weiter, in den Nachbarzellen wurden meine Freunde umgebracht, und so fort. Es dauerte leider viel zu lange.

SZ: So wie Sie den Tod nun auf der Leinwand spielen, suggeriert er ein sehr sanftes Sterben. Kommt Ihnen das realistisch vor?

Hopper: Nein. Ich erinnere mich nur an höllische Schmerzen. (lacht) Aber wer weiß, ich hab ja noch mindestens einen Versuch. Ich würde sehr gerne sanft gehen!

SZ: Glauben Sie, dass Sie den Tod bereits ein wenig ausgetrickst haben? Jeder Künstler denkt doch an die Unsterblichkeit...

Hopper: Hmm. Ich denke, "Easy Rider" wird uns eine Weile erhalten bleiben, vielleicht auch "Out of the Blue", jetzt wo die Cinémathèque eine Kopie hat. Auch das ein oder andere meiner Photos, Martin Luther King, Warhol, Rauschenberg, diese ganzen Kunstpioniere, bevor sie berühmt wurden. Aber natürlich denkt man immer, man hätte mehr schaffen können. Und also macht man weiter...

SZ: Schöpferisch arbeiten - oder sterben. Das haben Sie einmal als Ihr Motto genannt.

Hopper: Das ist natürlich Rainer Maria Rilke, "Briefe an einen jungen Dichter". Darin heißt es: "Fragen Sie sich in der stillsten Stunde Ihrer Nacht: muß ich schreiben? Graben Sie in sich nach einer tiefen Antwort. Und wenn diese zustimmend lauten sollte, wenn Sie mit einem starken und einfachen ich muß dieser ernsten Frage begegnen dürfen, dann bauen Sie Ihr Leben nach dieser Notwendigkeit (...) Vielleicht aber müssen Sie auch nach diesem Abstieg in sich und Ihr Einsames darauf verzichten, ein Dichter zu werden (es genügt, wie gesagt, zu fühlen, dass man, ohne zu schreiben, leben könnte, um es überhaupt nicht zu dürfen). Aber auch dann ist diese Einkehr, um die ich Sie bitte, nicht vergebens gewesen. Ihr Leben wird auf jeden Fall von da ab eigene Wege finden, und daß es gute, reiche und weite sein mögen, das wünsche ich Ihnen mehr, als ich sagen kann." Nun ich denke einfach, Rilke hat Recht.

SZ: Und also müssen Sie schöpferisch bleiben, bis zum letzten Augenblick?

Hopper: Ich hoffe es!

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