Denkmalschutz:Von Toren und Türmen

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Die Freisinger haben einen Kloturm einem tollen Museumskonzept vorgezogen. Jetzt weiß keiner, wie das Spiel ausgeht

Von Sabine Reithmaier

Ambivalent, sagt Christoph Kürzeder, wenn man ihn nach seinen Gefühlen zu Freising fragt. Dass dort der Stadtrat im Oktober den Antrag der Erzdiözese München-Freising zum Umbau des Diözesanmuseums abgelehnt hat, brachte den Direktor des Hauses schon ziemlich ins Grübeln. Zumal er in den mittlerweile viereinhalb Jahren, die seit der Schließung des Museums am Domberg vergangen sind, mit anderen Ausstellungsprojekten große Erfolge feierte und sich jetzt dessen bewusst ist, dass es Orte gibt, die Besucher faszinierender finden als Freising.

Ein Beispiel ist die Krippenausstellung im Karmelitersaal am Promenadeplatz. Fast 13 000 Besucher zählte die Schau, die die Ergebnisse eines Wettbewerbs zeigt, bis vergangenen Donnerstag. "Eine wahnsinnige Zahl binnen von drei Wochen", findet Kürzeder. Von den zwei Sommerausstellungen im Kloster Beuerberg im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen gar nicht erst zu reden, sie entpuppten sich als wahre Publikumsmagnete. "Ich hätte nie gedacht, dass unsere Interventionen so großen Anklang finden", sagt der Museumschef. Und noch weniger hat er damit gerechnet, dass diese Erfahrungen Auswirkungen auf seine Empfindungen Freising gegenüber haben könnten. Kürzeder seufzt. "Das bewusste Festhalten am Domberg hat schon Konsequenzen, der Standort ist eine Herausforderung."

Seit Juli 2013 ist das Diözesanmuseum auf dem Freisinger Domberg geschlossen. Die Wiedereröffnung ist ungewiss, denn seit der Freisinger Stadtrat im Oktober 2017 die Umbaupläne abgelehnt hat, liegt alles auf Eis. Ende Januar wird sich das Gremium allerdings neuerlich mit dem Thema befassen. (Foto: Lukas Barth)

Die Rückkehr ist noch nicht sicher. Erst ist noch einmal der Stadtrat am Zug, dem die Regierung von Oberbayern als Aufsichtsbehörde eine neuerliche Prüfung des Bauantrags empfahl. Das Gremium hatte sich über eine Entscheidung des Landesamt für Denkmalpflege hinweggesetzt und wollte den vom Amt zum Abriss freigegebenen Kloturm - die elegantere Bezeichnung lautet Oktogon - erhalten. Der Erker, der 1876 an den spätklassizistischen Bau angefügt worden war, muss weichen, da die Feuerwehrzufahrt sowie die Anlieferung für Museum und Gastronomiebetrieb nur über diese Seite erfolgen kann. Die "gewichtigen Gründe", die die Stadt bräuchte, um sich eine andere Einschätzung als die Denkmalschützer erlauben zu dürfen, vermisst die Regierung aber, weshalb der Rat sich erneut mit dem Thema beschäftigen muss. Und vermutlich - wenn man die Zeichen der Zeit richtig deutet - anders entscheiden wird.

Hinter der Entscheidung für oder gegen das Oktogon steht eine viel grundsätzlichere Frage: Trägt die Stadt das zukunftsweisende Engagement der Kirche auf dem Domberg wirklich positiv mit? Immerhin plant das Erzbistum dort eine Investition von mehr als 100 Millionen Euro - Sanierung und Neubau des Döpfner-Hauses inbegriffen. So eine Summe ist nicht leicht zu rechtfertigen angesichts des Geldmangels in anderen Kirchengemeinden. Logisch, dass sich das Erzbistum kein laues Ja, sondern ein klares Signal wünscht.

"Spiel" lautet das Thema der diesjährigen Ausstellung im Kloster Beuerberg. Würfeln kann man um alles, sogar um die "Reise in die Ewigkeit". (Foto: Manfred Neubauer)

Kürzeder wird sich bis zum endgültigen Beschluss nicht langweilen. Für 2018 haben sich er und sein Team ein Mammutprogramm auferlegt. Zum Beispiel die dritte Auflage der Ausstellung im Kloster Beuerberg, die unter dem Motto "Spiel" steht. Die Salesianerinnen verstanden es meisterhaft, sich ihren harten Alltag durch spielerische Elemente zu erleichtern. Angefangen bei den Orakelgeschichten und der Tradition des Jahresloses, das jeder Schwester alle zwölf Monate eine neue Jahrestugend zuwies, aber auch eine neue Zelle sowie einen neuen Platz in Chor und Refektorium, bis hin zu dem riesigen, bislang noch nie gezeigten Kostümfundus. Die Nonnen spielten an den hohen Feiertagen leidenschaftlich Theater, wählten alljährlich eine "Bohnenkönigin". "Von da ist kein großer Schritt zu den wirklich wesentlichen Fragen: Wer sind wir in dieser Welt, was sind unsere Rollen", sagt Kürzeder.

Vor Beuerberg aber zieht es ihn nach Landshut ins ebenfalls verlassene Ursulinenkloster in der Neustadt; die letzten Schwestern sind 2016 ausgezogen. "Wir wollen dort die Objekte im Kontext und in historisch gewachsenem Zustand zeigen", sagt Kürzeder. An ein Zweigmuseum zum Diözesanmuseum sei nicht gedacht, wohl aber an eine Dauerausstellung zum Thema Wallfahrt. Schließlich besitzt die Klosterkirche das Gnadenbild "Mutter mit dem geneigten Haupt", das die Gläubigen Jahrzehnte lang in Scharen anzog. Erstmals werden die Räume der Schwestern für Besucher geöffnet, ihre Lebensweise und ihr Engagement für die Ausbildung von Mädchen und Frauen vorgestellt.

Direktor Christoph Kürzeder. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Noch ein drittes Projekt hält Kürzeder in Atem: Die Ausstellung "Bewegte Zeiten", die zum 500. Todestag des Bildhauers Erasmus Grasser (1450 - 1518) im Bayerischen Nationalmuseum stattfindet (Eröffnung: 19. April). Grasser ist, abgesehen von seinen berühmten Moriskentänzern, vielen kein Begriff mehr. Die meisten seiner Skulpturen sind in kirchlichem Besitz, daher bot sich eine Kooperation mit dem Diözesanmuseum an. Ein Highlight der Schau wird die überlebensgroße, sitzende Petrusfigur sein, normalerweise im Alten Peter anzutreffen. Er wirke aus der Nähe ganz anders, behauptet Kürzeder, schwärmt dann von einer Grasser-Figurengruppe, die erst kürzlich für das Diözesanmuseum erworben wurde. In ihr stützen zwei Engel den toten Christus, dessen Gesicht tief vom menschlichen Leid gezeichnet ist. "Dem Werk kann sich niemand entziehen."

Enden wird Kürzeders Ausstellungsjahr aber in Venedig. Dort wird im Museum Correr direkt am Markusplatz die Geschichte des berühmten Lukasbildes erzählt, eines hervorragend erforschten und meist untersuchten Prunkstücks im Diözesanmuseum. Der Ort passe gut, findet Kürzeder. Schließlich landete die byzantinische Marien-Ikone, der Legende nach vom Evangelisten Lukas gemalt, nach den Stationen Thessaloniki und Konstantinopel um 1400 vermutlich auch in Venedig, bevor sie über Mailand, England und Wien schließlich 1440 nach Freising kam.

Ach ja, Freising. Kürzeder seufzt wieder und zählt sich dann die vielen Pluspunkte des Standorts auf: Das Gebäude toll, die Sammlung außerordentlich, die geplanten baulichen Veränderungen super, gar nicht zu reden von der maßgeschneiderten Lichtinstallation, deretwegen der amerikanische Künstler James Turell schon eigens auf den Domberg kam. Um die täte es ihm schon sehr leid, sollte es mit der Rückkehr nicht klappen. Aber andrerseits will er seine neuen Erfahrungen nicht missen. "Beuerberg hat uns einfach verändert", sagt er. "Falls wir zurückkommen, werden wir auf jeden Fall anders arbeiten."

© SZ vom 13.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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