Triumph des Brutalpopulisten:Wie Orbán Ungarns Demokratie zerlegt

Ungarns Regierungschef entfernt sich von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Europa. Viktor Orbán beschneidet in atemberaubenden Tempo Kontrollinstanzen, reguliert die Presse, prüft Zwangsarbeit und Arbeitslager - die krisenüberforderte EU schaut zu.

Alex Rühle

Ist Brüssel derart beschäftigt mit der Rettung des Euro, dass andere Themen mittlerweile gar nicht mehr verhandelt werden können? Ist das kleine, randständige Ungarn zu unwichtig für die Agenda? Oder ist die EU einfach nicht gewappnet für Brutalpopulisten wie den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán? Das Schweigen, mit dem Europa Orbáns Politik quittiert, ist jedenfalls besorgniserregend.

Orban plant Rache an linker Opposition

Ungarn: "Das stabilste politische System Europas"?

(Foto: dpa)

Orbán macht ja, seit seine Fidesz-Partei in Koalition mit den konservativ-nationalen Christdemokraten über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, keinen Hehl daraus, dass er entschlossen sei zum "Umbau des ganzen Landes". Er legte dabei vom ersten Tag an ein atemberaubendes Tempo vor: Der Haushaltsrat wurde abgeschafft, das Verfassungsgericht und die Nationalbank in ihren Kompetenzen beschnitten. Das Parlament verkam zu einem Abstimmungsapparat, das Gesetze wie am Fließband verabschiedet.

Von Januar bis Ende Juni hatte Ungarn dann die EU-Ratspräsidentschaft inne und stand unter besonderer Beobachtung der europäischen Öffentlichkeit. Alle Skeptiker, die warnten, danach werde Orbán nochmal einen Zahn zulegen, sollten Recht behalten: Ungarn hatte die Präsidentschaft keine Woche vom Hals, da wurden in Budapest 550 Journalisten der staatlichen Medien entlassen. Im Herbst werden wohl nochmal 400 gekündigt.

Bislang traf es, kaum überraschend, vor allem Orbán-kritische Journalisten. Außerdem werden die staatlichen Medien in einer zentralen Nachrichtenredaktion zusammengefasst, deren politischer Chefredakteur Daniel Papp ist, ein Mann, der früher der rechtsradikalen Jobbik-Partei angehörte und beim rechtsextremen TV-Sender Echo gearbeitet hat.

Die wenigen unabhängigen Medien, die es noch gibt, werden regelrecht stranguliert: Die letzten linksliberalen Zeitungen können teilweise ihre Leute nicht mehr bezahlen, weil wie von Geisterhand die Anzeigen ausbleiben. Dazu kommt eine gefährlich schwammige Vorgabe, die Ungarns Presse zu einer "ausgewogenen Berichterstattung" verpflichtet.

Über deren Einhaltung sitzt der sogenannte Medienrat zu Gericht, der ausnahmslos mit Fidesz-Leuten besetzt ist und dessen Vorsitzende schon vor zehn Jahren verkündete, oberstes Ziel müsse es sein, "das hundertprozentige Meinungsmonopol in den Medien zu erringen". All das ist verankert im neuen Mediengesetz, das die EU nach kosmetischen Änderungen abnickte.

Zwangsarbeit und Arbeitslager geplant

Auch Klubradio, der letzte Sender, der noch kritische und fundierte Berichterstattung wagt, kämpft ums Überleben: Erst wurden die Werbeaufträge sämtlicher staatlicher Institutionen entzogen, jetzt vergibt die Medienbehörde die Frequenz neu. Natürlich kann sich Klubradio um die Frequenz bewerben, Ungarn ist ja schließlich ein demokratisches Land. Nur kostet die Frequenz jetzt das Doppelte.

Ach ja, und es gibt noch eine Auflage: Die Behörde wünscht sich einen Unterhaltungssender. Das bedeutet, dass während 60 Prozent der Sendezeit Popmusik läuft und ein Viertel der Sendezeit lokaler Berichterstattung und heiteren Geschichten gewidmet werden muss. Im Klartext: Klubradio hätte noch 15 Prozent der Zeit, um das zu tun, wofür es in den letzten zehn Jahren immer größeren Zulauf erhielt: selbstrecherchierte, unabhängige Beiträge zu senden und politisch relevante Themen zu verhandeln.

An denen mangelt es weiß Gott nicht: Zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit plant die Regierung die Einführung von Zwangsarbeit und Arbeitslagern. Wer länger als 90 Tage arbeitslos gemeldet ist, darf unter Polizeibewachung zu Hilfsarbeiten auf Baustellen verschickt werden. Laut der Tageszeitung Népszabadság werden die Arbeiter vor Ort in Containern untergebracht, die Baustellen dürfen bis zu sechs Stunden vom Wohnort entfernt sein.

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