Debüt von Arno Frank:"Es steht jeden Tag ein Dummer auf"

Debüt von Arno Frank: Wer einen Zauberstift besitzt, dem öffnen sich die Türen jeder Villa. Aber was, wenn die Glückstinte zur Neige geht?

Wer einen Zauberstift besitzt, dem öffnen sich die Türen jeder Villa. Aber was, wenn die Glückstinte zur Neige geht?

(Foto: mauritius images/SFL Travel/Alamy)

In seinem autobiografischen Debütroman erzählt Arno Frank hinreißend vom Glanz und Elend eines Hochstaplers, der mit seiner Familie dem Abgrund entgegentaumelt.

Buchkritik von Alex Rühle

Das hier ist keine einfache Räuberpistole. Sondern eine Wumme des Wahnsinns. Und um gleich noch so einem Begriff die Harmlosigkeit auszutreiben: Hochstapler, das klingt oft nach Schnurre, Bluff und Abenteuer. Dem Lebemann Felix Krull gönnt man seinen Aufstieg von Herzen und freut sich mit ihm, wenn ihm wieder ein Stück Identitätsillusionismus gelungen ist. Krull hinterlässt aber auch keine eindeutigen Opfer, im Gegenteil, die Geschädigten ziehen aus der Begegnung mit ihm jeweils wundersamen Profit. Vor allem aber kleidet Krull all seine Taten in eine liebenswert-höfliche Eleganz, die es ihm erst möglich macht, mit seiltänzerischer Leichtigkeit dem Schicksal immer neue Schnippchen zu schlagen.

Bei Jürgen Frank, man ahnt es früh, wird das nicht ganz so glatt laufen. Der gelernte Verwaltungsfachmann glaubt, wie es sich für einen echten Hochstapler gehört, von Anfang an, ihm stehe mehr zu. Er wird erwachsen, als das Wirtschaftswunder gerade erstmals ins Stottern gerät. Über den Dörfern rund um Kaiserslautern hängt eine Glocke aus Nachkriegsmief und erster BRD-Behaglichkeit. Jürgen Frank arbeitet eine Zeit lang in einem Autohaus, dann macht er sich selbständig und versucht, Wohlstandskrempel gewinnbringend weiterzuverhökern, Expander, Wagenheber, Heimtrainer. "Es steht jeden Tag ein Dummer auf", erklärt er seinem Sohn, dem Erzähler dieses autobiografischen Romans. "Man muss sie nur finden. Oder, besser noch, sich von den Dummköpfen finden lassen." Wie er so großmäulig daherredet, ahnt man schon, dass das Schicksal bald zuschlagen wird. Und sicher nicht in harmloser Schnippchenform.

Wozu Tupperware in Kaiserslautern, wenn man auch in Nizza leben könnte?

Eigentlich ist die Familie auf Seite 39 schon am Ende. Der erste Betrug ist aufgeflogen, die Bank hat den Franks das Haus weggenommen, die Mutter muss Tupperware-Partys zu Hause veranstalten, "damit wir wieder auf einen grünen Zweig kommen", wie sie dem Sohn erklärt. Dem Vater aber ist ein einzelner grüner Zweig viel zu wenig, er will alles. Wozu Tupperware in Kaiserslautern, wenn man auch in Nizza leben könnte? Man muss ja nur mal das ganz große Ding drehen. Die Familie treibt in einer Art Glücksstausee, denn eines Tages, schon bald, wird das große Leben anbrechen.

Und tatsächlich, eines Nachts verfrachtet der Vater die Familie nach Südfrankreich. Das ganz große Ding sind 300 000 veruntreute D-Mark, die ab jetzt mit vereinten Kräften zum Panoramafenster rausgeworfen werden. Ehrensache, dass das Fenster Meerblick hat: "Es heißt schließlich nicht Hinterland d'Azur, sondern Côte d'Azur", also braucht man eine Villa in den Hügeln von Antibes, mit Pool und Garten. Der Sohn wird auf eine sündhaft teure Diplomatenschule geschickt und bekommt zum ersten Schultag eine Vespa geschenkt. Die sechsjährige Schwester Jeanny hält den goldenen Montblanc-Füller des Vaters für einen Zauberstift, wie auch nicht, schließlich wird in ihrem märchenhaft neuen Leben alles, was er damit in den Kleinanzeigen der Nice Matin ankringelt, kurze Zeit später zu einem wirklichen Ding.

Arno Frank, Jahrgang 1971, erzählt diese autobiografische Geschichte in einem hinreißenden Ton. Er ist der naive Sohn, der zum Vater aufschaut und möglichst lange dessen Geschichten zu glauben versucht. Der Titel seines Debütromans ist ein Zitat: Mit "So, und jetzt bist du dran", beendet der Vater all die Hochstaplermonologe, in denen er dem Sohn die Welt erklärt und ihn am Ende vermeintlich dazu auffordert, seine Meinung dazu zu sagen. In Wahrheit, so Frank, klang dieser Satz immer so, als würde sein Vater damit nur "einen Deckel auf die Diskussion setzen".

Beschreibungsstark und poetisch

Gezeigt wird das Ganze also aus der Untersicht des Heranwachsenden, erzählt wird es aber zugleich mit der Brennschärfe des erwachsenen Blicks, beschreibungsstark ("Mitteleuropa mit seiner wetterfesten Nüchternheit") und poetisch ("In den Vitrinen stellte Mama all den Tand aus, den die Zeit an den abendlichen Strand ihres Lebens geschwemmt hatte", heißt es auf der vorletzten Seite).

Ähnlich wie bei "Tschick", der anderen großen deutschen Road Novel unserer Tage, ahnt man beim Lesen, dass das bald verfilmt werden muss. Der situative Humor ist ähnlich genau wie bei Herrndorf, der rasante Plot lässt einen sowieso nicht los, man ist gerührt und bestürzt zugleich und will immer neue Passagen anstreichen. Großartig, wie Frank in Südfrankreich, in der Hitze des Sommers, als das letzte Geld davonschmilzt, die erzählte Zeit langsam in einen zähflüssigen Mief verwandelt, in dem die Familie versinkt. Keine Alltagsstruktur, nur erschlaffter Hedonismus, Nichtstun und die Hoffnung, der Vater möge schon wissen, welchen großen Plan er als Nächstes ausbrütet. Im Hintergrund aber, wie eine nachtdunkle Tapete, lauert das Wissen darum, dass all das nicht mehr lange gutgehen wird.

Irgendwann klopft die Polizei an und die Franks geben noch am selben Abend dem portugiesischen Maurer von der Nachbarbaustelle fast ihr gesamtes Resthabundgut, wenn er sie nur sofort nach Portugal kutschiert. War die letzte Nachtfahrt ein Aufbruch in einen gelebten Traum, so wachen sie nun in einem Albtraum auf, müssen in einem Rohbau schlafen, die Hunde kämpfen in ihrem Hunger um die vollen Windeln des kleinsten Bruders, die Schwester kratzt sich vor Verzweiflung stumm die Wangen auf. Und der junge Erzähler ahnt, dass es ab jetzt so etwas wie eine Ankunft nicht mehr geben wird, nur noch Zwischenhalte, Rastmomente, Versteckstationen.

Schließlich wird der Traum zum Trauma, die Flucht zur reinen Instinktbewegung

Die Generation Golf wird hier von einem beschrieben, der nie einen Golf fahren durfte, obwohl er eine Zeit lang täglich am Golfe-Juan baden war. Sein Vater hat ihm den Mercedes versprochen und vorübergehend ein Mofa geschenkt, den Rest seiner Jugend aber hat Arno Frank, er deutet es am Ende nur kurz an, in Sozialhilfearmut verbracht. Das Buch spielt ungefähr zwischen dem Deutschen Herbst 1977 und der Katastrophe von Tschernobyl, all das Zeug aus den Wohlstandspop-Romanen kommt also vor, Krieg der Sterne, Sony-Walkman, Diercke Weltatlas, nur dass diesen wenigen Dingen im Verlauf der Reise eine ganz andere Wertigkeit zuwächst. Schließlich ist es eine Reise in immer größere Armut und Frank im Glück muss an jeder Station, bei jeder überstürzten Flucht, mehr von den Dingen aufgeben, deretwegen sie diese Reise überhaupt angetreten haben. Der Diercke wird dem Jungen auf dieser elenden Odyssee zu einem Anker, der ihn wenigstens auf dem Papier verortet, der Walkman ist am Ende die einzige Möglichkeit, dem Familiengefängnis momentweise zu entfliehen.

Der Traum wird zum Trauma, die Flucht zur reinen Instinktbewegung, nur noch weg, ein planloser Automatismus. Und so erinnern die Franks am Ende ihrer Reise an ein Huhn, das noch weiterflattert, wenn der Kopf längst ab ist: Als der allerletzte Bekannte sie auch noch rauswirft, nehmen sie eine S-Bahn bis zur Endstation. Von dort dann einen Postbus, irgendwo wird der ja hinfahren. Und an dieser Endstation verkriechen sie sich wieder in einem Hotelzimmer. Die Schwester lässt ab und zu Zettel fallen, auf denen "Hilfe" steht, ähnlich wie Hänsel und Gretel mit den Körnern im Wald, nur dass es gar keine Hexe gibt, sondern stattdessen Eltern, die sich selbst längst im dunklen Wald ihrer Lügen und Ängste verlaufen haben. Selten war man so froh über das Auftauchen der Polizei am Ende eines Buches.

Als die Familie nach 300-seitiger Odyssee wieder in der Gegend von Kaiserslautern strandet und der Erzähler dort wieder auf ein Gymnasium und in ein normales Leben einfädeln soll, ist ihm das ganze wohlbehütete Setting völlig fremd. Wie er da einsam auf dem Pausenhof steht, mit Blick auf das Gefängnis, in dem sein Vater sitzt, erinnert er an den Kriegsheimkehrer aus Erich-Maria Remarques "Im Westen nichts Neues", der zu Hause auch nicht ansatzweise vermitteln kann, was er an Grauen an der Front erleben musste. "Ich gehöre nicht mehr dazu", schreibt Frank, "Ich sollte anderswo sein. Und weiß nicht, wo."

Arno Frank: So, und jetzt kommst du. Roman. Tropen Verlag, Stuttgart 2017. 352 Seiten, 22 Euro. E-Book 17,99 Euro.

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