Süddeutsche Zeitung

Debüt-Album von Sänger Dagobert:Schlager für das Hipstervolk

Er ist anders als Guildo Horn und Alexander Marcus: Sänger Dagobert macht Schlager mit altmodischer Ernsthaftigkeit, aber auch irgendwie Pop. Mit seinem Debüt-Album erfindet er ein neues Genre: Indie-Schlager. Und trifft mit seinen Schnulzen den Nerv schunkelnder Hipster.

Von Annett Scheffel

Würde er im nächsten Moment an Schwiegermutters Kaffeetisch Platz nehmen, sie wäre hingerissen: maßgeschneiderter Frack, den weißen Hemdkragen darunter akkurat zurechtgerückt, Pomadenfrisur. Auf der Bühne einer kleinen Bar in Berlin Mitte aber, dessen Publikum weniger Wert auf brave Etikette legt, wirkt er zunächst wie ein Fremdkörper.

Denn Dagobert macht Schlagermusik - und zwar nicht als Klamaukspektakel, sondern mit der gleichen altmodischen Ernsthaftigkeit, mit der auch Max Raabe seine Chansons aus den Zwanzigerjahren singt. Aber das coole Berliner Publikum applaudiert. Sein Song "Morgens um halb vier" und das dazugehörige Musikvideo haben sich auf Youtube und in Blogs zu einem kleinen Internet-Hit entwickelt.

Bei Dagoberts Konzerten klatschen Mittzwanziger zu braver Schunkelmusik, die stilecht vom Band kommt, im Takt in die Hände und lauschen andächtig dem Liebeskitsch seiner Texte: "Ich nehm' dich bei der Hand und flüster' dir ins Ohr / Bleib doch ein Leben lang / Ich hab mit dir viel vor". Irritierend ist dieses Aufeinandertreffen von Hipstervolk und Schlagerschnulze - irritierend auch, weil Dagobert damit einen Nerv zu treffen scheint.

Das liegt zunächst wohl daran, dass der Schlager des gebürtigen Schweizers nicht in gängige Schablonen passt. Die Musik auf seinem selbstbetitelten Debüt-Album, das an diesem Freitag erscheint, ist nämlich kein Schlager im klassischen Sinne. Zu verschroben, zu sperrig ist sie für die gut gelaunt Pathos-Show einer durchschnittlichen Schlagerparade.

Zwar handeln die Lieder von Sehnsucht, Liebespfeilen und dem Wunsch nach ewiger Zweisamkeit. Die Kauzigkeit aber, mit der er Zeilen singt wie "Ich war noch nie ein Genie / Im dem Gebiet menschlicher Harmonie / Du sendest merkwürdige Strahlung aus" ("Ich bin verstrahlt"), hat nichts mit der Musik von Schlager-Stars wie Helene Fischer oder Andrea Berg zu tun. Auch der Umstand, dass das Album bei Buback erscheint, dem Label der Hamburger Punkband Die Goldenen Zitronen, ist alles andere als genretypisch. Dagoberts musikalisches Programm hat, so scheint es, auch irgendetwas mit Punk, Pop und Indie-Rock zu tun. Zugleich jedoch flüchtet er sich nicht in Ironie und Trashkult, wie es Alexander Marcus oder Guildo Horn vorgeführt haben.

Der 30-Jährige meint die Sache mit dem Schlager vielmehr durchaus ernst. Genau da drängt sich natürlich die Frage auf, was genau diese Musik ist, die weder wirklich Schlager noch richtig Pop sein will, sondern irgendwie beides gleichzeitig?

Der Künstler selbst sagt: "Ich will Musik machen, die einfach ist und die jeder versteht: Schlager mit Anspruch." Heraus kommt dabei ein Sound zwischen Schlager und Kuschel-Pop: Mal klingen die Songs nach Hump-ta-Hump-ta-Schunkelmusik ("Ich bin zu jung"), dann wieder nach Retro-Synthie-Pop ("Die ganz normale Liebe"). Mal leiern jaulende Orgelsounds ("Ich bin verstrahlt"), mal säuseln Hintergrundchöre La-la-la-Melodien ("Für immer blau").

Musik, bei der man an Samtsofas und rosafarbenes Briefpapier denkt, an Tortenspitze und Cocktailschirmchen. Und dazu singt Dagobert in seinem watteweichen, leicht vernuschelten Schweizer Akzent über denkbar altmodische Phantasien vom Hausbau bis zum Kinderwunsch: "Du bist viel zu schön um auszusterben/ Lass unsere Kinder deine Schönheit erben" ("Hochzeit").

Musikalisch sozialisiert wurde der Wahlberliner mit den Scorpions, Chris Isaak und den Flippers - so jedenfalls erzählt er selbst die Geschichte. Angeblich habe "Wind of Change" den damals Achtjährigen "dermaßen geflasht", dass er anfing selbst Musik zu machen: "Das war vielleicht das Beste, was ich bis dahin erlebt hatte. Vorher gab es nur Mickey Maus." Sein Hang zur weichgespülter Musik der Neunzigerjahre, das Groteske, das Eigenbrötlerische - all das gehört zur Figur Dagobert.

Es ist Teil der Legende, die ihn nach depressiver Schulzeit, Vagabunden-Dasein in Proberäumen und Bahnhofstoiletten und fünf Jahren völliger Abgeschiedenheit in einer Schweizer Berghütte, nach Berlin getrieben hat, wo er anfangs "wie immer völlig pleite" im Hinterzimmer eines Cafés gehaust haben soll. Der brotlose Musiker, der Lebenskünstler, der Anarchist - ob die Biografie nun authentisch ist oder nicht, ist aber letztlich gleichgültig. Denn das Bild, das sich daraus ergibt, ist vollkommen stimmig - und innovativ. Dagobert hat ein neues Pop-Genre erfunden: den Indie-Schlager.

Das macht Dagoberts Musik zu einer Art optischer Täuschung für das Publikum: Im Videoclip sieht man einen seltsam apathischen Dandy, in der Biografie einen Punk im Geiste. Hören allerdings tut man tatsächlich Schlager. Für Liebesfolklore braucht es im Patch-Work-Zeitalter Brüche. Und Dagobert erreicht offenbar moderne Großstadtbewohner, die sich lieber einen Finger abhacken würden, als im Musikantenstadl mit zu schunkeln, weil er die Liebesfolklore in deren Zeichensysteme übersetzt. In der Überblendung der vielen einzelnen, popkulturellen Signale - Schmusesänger, Sonderling, Synthie-Nostalgiker - hat Dagobert einen Weg gefunden, der Gefühlsduseligkeit für eine junge urbane Generation wieder zeitgemäß macht. Sie muss eingängig sein, aber vielschichtig. Was für ein Manöver.

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SZ vom 12.04.2013/kath
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