Debattenkultur:Die Rechtspopulisten haben die Linken rhetorisch überholt

Debattenkultur: Sie wissen, wie man die Massen erreicht: Donald Trump, Marine Le Pen und Norbert Hofer.

Sie wissen, wie man die Massen erreicht: Donald Trump, Marine Le Pen und Norbert Hofer.

(Foto: dpa/AFP)

Wer die Massen erreichen will, muss deren Sprache sprechen - rechte Wortführer wie Hofer oder Trump haben das verstanden. Auch wenn es schaurig klingt: Die Linke muss von ihnen lernen.

Von Julian Dörr

Verständlich sein für alle. Populisten wissen, wie das geht. Die Massen begeistern. Auch noch die letzten zersoffenen Gehirnzellen im Bierzelt abholen. Zur Not mit falschen Tatsachen, gedehnten Wahrheiten und unlogischen Gedankenschlüssen. In den vergangenen Monaten haben sich die Rechtspopulisten einen Platz in der Debattenlandschaft erobert, mit ihren Äußerungen spielen sie am Thermostat des gesellschaftlichen Klimas. Schön viel Pathos und Appelle ans Gefühl.

Und was machen die anderen? Die Zukunftsoptimisten, Progressiven, Linken? Menschen, die für die Gleichstellung von Männern und Frauen kämpfen, von Homo- und Heterosexuellen, für die Einwanderung und die Zukunft der EU? Sie führen vielversprechende Debatten - an der Gesellschaft vorbei.

Nehmen wir den Feminismus. Schon der Begriff schließt die männliche Hälfte der Gesellschaft aus. Dabei geht es nicht allein um Frauenrechte, sondern um Menschenrechte, um soziale Gerechtigkeit. Um diese zu erreichen, muss sich die ganze Gesellschaft hinter diesem Ziel versammeln. Das schließt eigentlich auch die Männer mit ein.

Wer gesellschaftlichen Wandel will, muss auch die Sprache der Gesellschaft sprechen

Donald Trump hat es schon lange kapiert. Marine Le Pen auch. Norbert Hofer sowieso. Es geht um die Sache mit dem Volk und dem Maul. Trump, Le Pen und Hofer, sie alle halten Reden, die eine mal breitere, mal schmalere Masse der Bevölkerung ansprechen. Die behaupteten Tatsachen mögen fragwürdig sein, ihre Wirkung ist es nicht. Denn Trump, Le Pen, Hofer und die anderen im Club der Populisten erreichen einen beachtlichen Teil der Gesellschaft. Wie kann es sein, dass die Leute einem Hire-and-fire-Kapitalisten wie Trump zutrauen, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen? Das liegt auch an der Sprache der Populisten.

Wer will, dass sich die Gesellschaft verändert, muss auch die Sprache der Gesellschaft sprechen. Dringlicher formuliert: Schließt die Leute nicht aus! Reißt die soziokulturellen Mauern nieder! Ja, man kann über Geschlechterrollen sprechen, ohne Judith Butler gelesen zu haben. Und ja, man kann auch die Auswüchse des Neoliberalismus kritisieren, ohne "Das Kapital" von Karl Marx durchgeackert zu haben. Aber halt, ein kurzer Einwurf, bevor die Verschwörungstheoretiker-Falle zuschnappt: Ganz sicher ist die Welt zu komplex für einfache Erklärungsmodelle und eindimensionale Argumentationen. Das darf aber keine Ausrede sein, um einen Großteil der Gesellschaft von vornherein auszugrenzen.

Was wir brauchen, ist eine tolerante, offene Debattenkultur: ein Sprechen über den gesellschaftlichen Wandel, das sich nicht darin verliert, die eigene Gruppe abzugrenzen - weder von rechts noch von links.

Die Rechtspopulisten haben die Linken rhetorisch überholt. Sie haben ihre Sicht auf die Welt weit in die gesellschaftliche Mitte getragen. Wenn in der Tagesschau die Rede vom "Flüchtlingsstrom" ist, dann ist das ein Triumph der Rechtspopulisten, die ihr Vokabular erfolgreich in den Diskurs eingespeist haben. Die Neue Rechte bedient sich für ihre Debattenstrategie bei dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci, der Anfang des vergangenen Jahrhunderts festhielt, dass sich Machtwechsel in westlichen Gesellschaften nicht mehr durch Revolutionen, sondern durch ideologische Überzeugungsarbeit in der Gesellschaft vollziehen. Gramsci prägte dafür den Begriff der Kulturellen Hegemonie. Die herrschende Gruppe stimmt sich mit den Interessen der untergeordneten Gruppe ab. Dieser Austausch bildet ein Gleichgewicht, das sich immer wieder verändert und neu zusammensetzt. Er bleibt den Reaktionären überlassen, wenn sich die progressiven Kräfte immer nur innerhalb ihrer eigenen Lebensblase reproduzieren, weil sie eine Debatte führen, der nur sie folgen können.

Sprache grenzt ab - Sprache schließt aus

Sprache als Unterscheidungsmerkmal ist ein wichtiges Instrument. Eine Gruppe grenzt sich ab, indem sie ein spezifisches Vokabular verwendet. Die Gender Studies sprechen von trans- und cissexuellen Menschen. Während der erste Begriff Menschen bezeichnet, deren soziales Geschlecht nicht mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmt, beschreibt der zweite Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Cissexuell sind also die meisten Menschen in der Gesellschaft. Den Begriff kennen jedoch die wenigsten.

Wer echte gesellschaftliche Veränderung will, muss die Kammer der Abgrenzung verlassen. Denn Sprache ist ja nicht nur Abgrenzung, Sprache ist Macht. Sprache regelt, wer an einer Debatte teilnehmen darf - und wer nicht. Der französische Philosoph Michel Foucault schreibt in seiner "Ordnung des Diskurses" über die Zulassungsbeschränkungen, die einem Diskurs auferlegt sind. Diskursberechtigte werden verknappt, das heißt: Sie dürfen nur teilnehmen, wenn sie bestimmte Abschirmmechanismen umgehen können. Dazu gehören soziale Rituale, die Sprache und ihr Vokabular.

Wer vor "Genderwahn" warnt, der ist immer noch ganz schön gaga

Ein Beispiel: Die LGBT-Gemeinschaft verwendet den Begriff "deadnaming", wenn eine Transgender-Person mit ihrem Geburtsnamen angesprochen wird - und nicht mit dem von ihr gewählten Namen. Wer die Whistleblowerin Chelsea Manning als Bradley Manning bezeichnet oder den Reality-TV-Star Caitlyn Jenner als Bruce Jenner, begeht "deadnaming". Das Problem: Ein gesellschaftlich relevantes Thema, der Umgang mit Transgender-Personen, wird hinter einem Begriff versteckt, der den allergrößten Teil der Gesellschaft ausschließt - einfach, weil ihm das Wort dafür nicht geläufig ist.

Diese Kritik an der bestehenden linken Debattenkultur soll nicht als Munition für die Gegenseite verstanden werden. Wer wirr und aufgeregt vor "Genderwahn" warnt, der ist immer noch ganz schön gaga - auch wenn der Begriff "deadnaming" tatsächlich kritikwürdig ist. Denn das trifft längst nicht auf alle neuen Sprachregelungen zu. Wenn sich Lann Hornscheidt von der Berliner Humboldt-Universität mit dem geschlechtsneutralen Profx. bezeichnen möchte, ist das gut und richtig. Erstens ist "Profx." als Begriff quasi selbsterklärend. Zweitens verhilft die Bezeichnung einem anderen Menschen, der sich weder als Mann noch als Frau sieht, zu Anerkennung und damit zu persönlichem Glück. Und das ist links.

Was aber soll die Linke nur tun, um verständlicher zu sein? Eine Kopie der rechten Weltvereinfacher kann keiner wollen. Was nicht heißt, dass man nicht in einfachen, klaren und vor allem starken Sätzen sprechen sollte. Die progressiven Kräfte in diesem Land haben jedoch Angst vor Slogans. Die Linke kann keine Slogans mehr - auch weil das mit Vokabeln wie "cissexuell" eher schwierig ist. Das war nicht immer so. Man denke nur an die Situationisten und die Studentenbewegung ("Unter dem Pflaster liegt der Strand") oder an Ernst Reuter, Regierender Bürgermeister Berlins während der Luftbrücke von 1948 ("Ihr Völker der Welt! Schaut auf diese Stadt!"). Und heute? Alle Hoffnung verloren? Nicht ganz.

Wenn der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis das Vorgehen des Internationalen Währungsfonds als "fiskales Waterboarding" seines Landes bezeichnet, dann ist das ein klares, verständliches und ungemein starkes Bild. Man sieht schon die Demonstrantenschilder auf dem Athener Syntagma-Platz: "Stop Fiscal Waterboarding!" Und wenn die britische Journalistin Laurie Penny über die pseudofeministischen Karrierefrauen des Neoliberalismus, den Cybersexismus und die Diskriminierung von LGBT-Personen schreibt, dann tut sie das in einer so einfachen wie dringlichen Sprache, in der zwischen jeder Zeile die Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit steckt. Die Herausforderung der linken Denker ist ja, anders zu sprechen. Anders, also plakativer und verständlicher, heißt nicht falsch - wie es auf der rechten Seite so oft der Fall ist.

Sozialer Fortschritt ist nur möglich, wenn Dinge, die falsch laufen, auch angesprochen werden. Aber damit sich der gesellschaftliche Wandel tatsächlich vollzieht, dürfen sich progressive Gruppen nicht in Grabenkämpfen, Identitätspolitik oder intellektuellen Spielchen verlieren. Menschen, die etwas zu sagen haben, sollten es so sagen und müssen es so sagen dürfen, dass es jeder versteht. Es ist schaurig, das so zu schreiben, aber es stimmt: Sie müssen vom Erfolg von Trump, Le Pen und Hofer lernen.

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