Debatte um Vollverschleierung:Strittiger Stoff

Burka-Verbot in Frankreich

Eine Burka tragende Frau besucht am 22.11.2012 die Ausstellung "Burquoi" im Kunstverein in Wiesbaden (Hessen).

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Auch wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein gegenteiliges Gesetz in Frankreich für rechtens erklärt hat: Es ist falsch, die Vollverschleierung zu verbieten. Aber wichtige Argumente für ein Verschleierungsverbot sollte man nicht einfach als illiberal und intolerant abtun.

Von Johan Schloemann

Seit drei Jahren gibt es ein französisches Gesetz, das die Vollverschleierung von muslimischen Frauen in der Öffentlichkeit verbietet. Vor einigen Tagen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg dieses Gesetz für rechtens erklärt. Das große Problem an der Bewertung dieses Urteils ist die erregte politische Atmosphäre. Das Gesetz wurde nämlich, obwohl es geschickterweise ganz allgemein, ohne Religionsbezug, die Verhüllung des Gesichts in der französischen Öffentlichkeit unter Strafe stellt, ausdrücklich auf den Weg gebracht, um die Angst vor dem Islam zu bedienen.

Und überhaupt gehen die allermeisten Angriffe auf das Tragen von Nikab (mit Augenschlitz) oder Burka (mit Gesichtsgitter), was in den europäischen Ländern bisher nur von jeweils einigen Hundert Frauen praktiziert wird, auf radikal-laizistische bis fremdenfeindliche Motive zurück. So ist die Auseinandersetzung darüber leider sehr schwer zu trennen von jener Vergiftung des demokratischen Diskurses, die die fremdenfeindlichen Parteien Europas seit einigen Jahren betreiben und die sich zuletzt in ihren Erfolgen bei der Europawahl bestaunen ließ.

Es geht da meist nicht um ein allgemeines Befremden angesichts von Frauen, die sich den Blicken entziehen. Es geht um eine spezifische Religiosität, die als Bedrohung empfunden wird. "Was in Europa Angst und Misstrauen schürt, das ist nicht die Verschleierung an sich, sondern die muslimische Verschleierung", schreibt die Philosophin Martha Nussbaum. In ihrem Land, den USA, genießen die Religionen breite Entfaltungsmöglichkeiten - ein Recht, das in Amerika nicht zuletzt durch den Kampf der Katholiken gegen ihre Diskriminierung ausgebaut wurde.

Kein Recht darauf, nicht schockiert zu werden

Aber auch Europa hat eigentlich, infolge der Glaubensspaltung und der Konfessionskriege, einige Übung im Zurückstellen von Wahrheitsansprüchen, Übung in Toleranz. Dies gilt besonders für die Rechtsordnungen in Großbritannien und in Deutschland, in denen ein Burka-Verbot wohl im Moment auch am wenigsten vorstellbar wäre. Dabei sieht man die Vollverschleierten auch zunehmend hier bei uns: in der staubigen Variante rund um die Moscheen und Gemüseläden, in der Luxusvariante bei den reichen arabischen Touristinnen auf der Münchner Maximilianstraße oder auf der Düsseldorfer Königsallee.

Eine beliebte Propagandamethode der fremdenfeindlichen Parteien ist es, die Menschenrechte demonstrativ hochzuhalten - nicht um ihrer selbst willen, nicht zur besseren Verständigung, sondern zu Zwecken der Abwehr und des Ausschlusses. Deshalb muss man zunächst grundsätzlich festhalten, dass der westliche Pluralismus nicht ohne eine breite Anerkennung der negativen und positiven Religionsfreiheit zu haben ist, also der Gewissensfreiheit ebenso wie der freien Ausübung des Glaubens jeglicher Konfession. Es gibt in einer offenen Gesellschaft einfach keinen Anspruch darauf, nicht von Frömmigkeit gestört zu werden. Oder wie es die zwei Richterinnen, die in Straßburg gegen das französische Burka-Verbot stimmten, in ihrem Sondervotum formuliert haben: "Es gibt kein Recht, nicht schockiert oder provoziert zu werden von unterschiedlichen Modellen kultureller oder religiöser Identität, auch von solchen, die vom üblichen französischen oder europäischen Lebensstil sehr weit entfernt sind."

Das Straßburger Urteil aber erlaubt es nun Frankreich, zugunsten eines republikanischen Ideals des Zusammenlebens die Vollverschleierung zu untersagen. Dieses "französische Prinzip" namens "Zusammenleben", vivre ensemble, klingt zwar ein bisschen nach einem dieser französischen Beziehungsfilme, und das Gericht gibt selbst zu, dass es als rechtlicher Begriff "flexibel" ist, sprich: sehr schwammig. Dennoch wird dem nationalen Gesetzgeber der Spielraum eingeräumt. Er darf seine Auffassung durchsetzen, dass die Burka gegen die in Revolutionszeiten verkündete Fraternité, die Brüderlichkeit, verstoße (wozu heute auch die Schwesterlichkeit zu rechnen wäre), auch deshalb, so das Gericht, weil es in dieser Frage "keinen europäischen Konsens" gebe. "Das Gericht kann akzeptieren, dass es ein Staat für wichtig erachtet, in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht auf die Interaktion zwischen Individuen zu legen."

In den vergangenen Tagen seit dem Urteil frohlocken nun einerseits die Rechtspopulisten - in der Schweiz, in Österreich, in Dänemark - in der Hoffnung, jetzt auch ein Burka-Verbot durchsetzen zu können. Andererseits entrüsten sich Menschenrechtsorganisationen: Die Frauen, die angeblich vor Diskriminierung geschützt werden sollten, würden durch das Verbot erst recht gettoisiert.

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