Debatte um Kulturförderung:"Diffuse Schlachten aus grauer Vorzeit"

Mit neoliberalen Kahlschlagsfantasien sorgt das Buch "Der Kulturinfarkt" für Streit. Die öffentliche Kulturförderung darf jedoch nicht grundsätzlich zur Disposition stehen, will Deutschland nicht die Axt an einen wesentlichen Grundpfeiler seiner Bedeutung als Kulturnation legen. Statt einer ernst zu nehmenden Vision werden nur Phrasen gedroschen.

Hermann Parzinger

Das Buch "Der Kulturinfarkt" von Armin Klein, Pius Knüsel, Stephan Opitz und Dieter Haselbach (Knaus Verlag) war nicht einmal erschienen, da begann bereits der Streit: Seit zwei Wochen nun wird heftig über Sinn und Eigenart der staatlichen Kulturförderung in den deutschsprachigen Ländern diskutiert. Hermann Parzinger, der Autor dieses Beitrags, ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Stiftung Preußischer Kulturbesitz

"Polemik kann einen Diskurs in Gang bringen und ihn befördern, verliert sie jedoch ein gewisses Augenmaß, dann diskreditiert sie ihn", sagt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

(Foto: ag.dpa)

Es war einmal ein Buch, das wollte polemisch sein. Es sollte Gutes bewirken, nur keiner hat es bemerkt. Im günstigsten Fall wird man vielleicht einmal so über den "Kulturinfarkt" urteilen. "Vier führende Kulturexperten" hatten sich nämlich entschlossen, zwischen zwei Buchdeckeln einen Feldzug gegen den "Mythos vom Kulturstaat" zu führen. Man meinte, eine völlig verfehlte Kulturförderpolitik entlarven zu können, die betriebs- und marktwirtschaftliches Denken bewusst ignoriere und in lähmender Kameralistik und unbeweglichem Beamtentum ersticke; die Kulturhoheit des Staates bedeute in der politischen und administrativen Wirklichkeit nicht, Kultur zu fördern und zu pflegen, sondern beschränke sich auf Besitzstandswahrung und das Verbauen zukunftsorientierter Entwicklungen.

Über diese Themen kann man durchaus diskutieren, in Zeiten knapper werdender Kassen muss man das sogar. Doch das Buch ist dabei alles andere als hilfreich: auf fast 300 Seiten langatmige, überwiegend polemische Situationsbeschreibungen, nicht ohne Redundanzen und Fehler, vieles wird angerissen und meist maßlos überzeichnet. Der Aufschrei war beträchtlich. Mitautor Dieter Haselbach entgegnete der Kritik jüngst in einem Interview, dass es doch nur Gedankenspiele seien und man heute einfach viel tun müsse, um gehört zu werden. Da mag was Wahres dran sein, doch muss wirklich jede Debatte "sarrazinisiert" werden, damit sie geführt wird?

Institutionen denken schon jetzt marktwirtschaftlich

Es wird bis zum Schluss nicht klar, welch traumatische Erfahrung die Autoren mit Hilmar Hoffmanns Vision von der "Kultur für alle" verbinden, die als Kern allen Übels ausgemacht wird. Die Erkenntnis, dass ein Brieftauben züchtender Bergmann ebenso kulturell erreichbar sein kann wie ein Aufsichtsratsvorsitzender mit einem Arbeitszimmer voller Picassos, wird niemand ernsthaft in Frage stellen. Dies hat zunächst einmal auch gar nichts mit der Frage zu tun, wie zukunftsfähige Kulturförderung auszusehen hat. Der sozialdemokratischen Öffnung der Kultur in den siebziger Jahren sind doch längst christdemokratische Jedem-Kind-ein-Instrument-Kampagnen gefolgt.

Welche diffusen ideologischen Schlachten aus grauer Vorzeit werden hier also noch geschlagen? Und wenn man von einem Konsens in unserer Gesellschaft sprechen kann, dann ist es der, dass Kultur für alle da sein muss. Die steigenden Besucherzahlen der Museen zeigen zudem ganz konkret die erfolgreiche Wirkung dieser Strategie. Was ist also schlecht an der "Kultur für alle", wenn kulturelle und interkulturelle Bildung längst zu einem unverzichtbaren Bindemittel in unserer Gesellschaft geworden sind? Wie viel Kultur sich eine Gesellschaft leisten kann, ist allerdings eine andere Frage, die damit zunächst jedoch nichts zu tun hat.

Zu den Schwächen des Buches gehört, dass unentwegt Pappkameraden aufgebaut werden. Wer behauptet denn, alles müsse so bleiben, wie es immer war? Da wird lähmendes Beamtentum und Schwerfälligkeit in den Kultureinrichtungen angeprangert, gleichzeitig jedoch ignoriert, dass in vielen Institutionen bereits marktwirtschaftlich gedacht, immer neue Finanzierungsstrategien erfolgreich ersonnen und mit Hilfe von Umstrukturierungen eine stetige Optimierung des Ressourceneinsatzes versucht und teils auch erreicht wird, weil viele Museen, Bibliotheken und andere Institutionen sonst schon längst am Ende wären. Allerdings würde ein rein marktwirtschaftliches Agieren nach Maßgabe von Angebot und Nachfrage dem Auftrag von Kultureinrichtungen nicht gerecht werden.

Ohne Geld schnell mit dem Latein schnell am Ende

Wie wichtig Zielgruppenorientierung vor allem für große Museen und Bibliotheken dennoch inzwischen geworden ist, scheinen die Autoren gänzlich zu ignorieren, wenn sie behaupten, öffentliche Kultureinrichtungen lehnten jegliche Orientierung am Nutzer aus tiefstem Herzen ab. Aber auch Marktorientierung kostet Geld, das nicht immer zur Verfügung steht. Richtig ist schon, dass nicht alle Kultureinrichtungen die Notwendigkeit dazu sehen oder die Möglichkeit haben, dies zu tun; hier könnten kluge Vorschläge ansetzen. Diese sucht man in dem Buch jedoch vergeblich. Lieber schütten die Autoren das Kind erst einmal mit dem Bade aus.

Statt einer ernst zu nehmenden Vision für die ja tatsächlich ungewisse Zukunft der Kultur in Deutschland werden am Ende aber nur Phrasen gedroschen. Dynamische Macher müssten jetzt das Sagen bekommen, die alles am marktwirtschaftlichen Denken ausrichten, Intendanten-Typen statt verbeamteter Behördenlenker brächten das Heil (fragt sich nur, woher die dazu passenden Gehälter nehmen?). Auch der Appell, durch eine veränderte Steuergesetzgebung mäzenatisches Wirken zu befördern, ist super, aber nun wirklich nicht neu. Bei der Forderung, die staatliche Alimentierung auf einige Schlüsselhäuser zu begrenzen, mag sich der Herr über die Berliner Museumsinsel vielleicht beruhigt zurücklehnen, doch was ist ein "Schlüsselhaus", und wer entscheidet darüber?

Die Schuldenbremse steht den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen, die die weitaus größte Zahl von deutschen Kultureinrichtungen tragen, erst noch bevor. Dass sie auch Auswirkungen auf die Kulturetats haben wird, gilt als ausgemacht. Noch sind die Folgen der weltweiten Finanzkrise in Deutschland kaum zu spüren, aber wird das so bleiben? Doch selbst, wenn wir ein düsteres Zukunftsszenario ausblenden, wie sieht die Realität von Museen, Bibliotheken, Archiven und anderen Kultureinrichtungen in Deutschland denn heute schon aus, ist sie nicht längst prekär? Tarif- und Besoldungserhöhungen sowie Bewirtschaftungskosten der Liegenschaften steigen rasanter als die dafür zur Verfügung stehenden Personal- und Betriebsmittel, und die Schere zwischen Soll und Haben öffnet sich exponentiell.

Unverzichtbarkeitsgebot des Kulturbereichs

Was ist die Folge: Die beschränkten Finanzmittel, die den Kultureinrichtungen überhaupt noch für die Ausgestaltung eines zeitgemäßen, publikumsorientierten und bis hin zur kulturellen Bildung reichenden Programms zur Verfügung stehen und das sie so bitternötig brauchen, um mitten in der Gesellschaft anzukommen, werden fast vollständig von den Unterhaltskosten aufgesaugt. Dass Museen und Bibliotheken aufgrund ihrer Struktur als öffentlich geförderte Einrichtung per se nicht innovativ und attraktiv genug seien, ist Mumpitz; diejenigen von ihnen, die gute Arbeit leisten, können sich nämlich vor Besuchern und Nutzern kaum retten. Man mag ja nach marktwirtschaftlich versierten Magiern schreien, ohne Geld sind aber auch sie mit ihrem Latein schnell am Ende.

Die öffentliche Kulturförderung darf nicht grundsätzlich zur Disposition stehen, will Deutschland nicht die Axt an einen wesentlichen Grundpfeiler seiner Bedeutung als Kulturnation legen. Ein Unverzichtbarkeitsgebot kann es im Kulturbereich angesichts der schmerzenden Wirklichkeit aber ebenso nicht geben. Doch allein diese Erkenntnis berechtigt noch nicht zu so absurden Vorschlägen wie der Schließung von Kultureinrichtungen zugunsten von Computerspielen. Es braucht Strukturveränderungen, wollen wir nicht das Erreichte auf unverantwortliche Weise gefährden. Die Träger müssen dabei Anreize schaffen, damit ihre Institutionen innovativer und wirtschaftlicher arbeiten, Ansatzpunkte und Vorbilder dafür gibt es durchaus.

Deshalb ist es legitim danach zu fragen, ob immer neue Museen und Bibliotheken gebaut werden müssen, wenn sich die bestehenden selbst kaum mehr tragen können. Staatlich gefördert solle nur noch werden, was "kulturpolitisch relevant" sei; da zeigen die vier Kulturkenner, welch Geistes Kind sie sind. Nein, staatlich gefördert werden muss, was kulturell wertvoll ist! Wie auch immer Kulturpolitik in unserem Land in Zukunft aussehen wird, auf jeden Fall braucht es dazu einen politischen und gesellschaftlichen Konsens.

Aus dem "Kulturinfarkt" mit seinen neoliberalen Kahlschlags- und Umverteilungsphantasien lässt sich für eine solche Debatte jedoch nicht viel Honig saugen, und das ist misslich, denn das Thema ist virulent. Polemik kann einen Diskurs in Gang bringen und ihn befördern, verliert sie jedoch ein gewisses Augenmaß, dann diskreditiert sie ihn.

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