Debatte um Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf":Wissenschaftliche Volksverhetzung

Adolf Hitler - Mein Kampf

Auf dem Index: Das Buch "Mein Kampf - 1. Band" von Adolf Hitler im Kunstmuseum in Solingen.

(Foto: dpa)

Was geschieht mit der historisch-kritischen Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf", nachdem die Bayerische Staatsregierung ihre Förderung zurückgezogen hat? Im Ergebnis wird der Politik wohl die Quadratur des Kreises gelingen: Die Freiheit der Wissenschaft bleibt gewahrt, aber Hitler weiter unter Verschluss.

Von Willi Winkler

Die Rezensentin ließ kein gutes Haar an der neuen wissenschaftlichen Hitler-Ausgabe: "Dabei konnte natürlich nichts anderes herauskommen als Propaganda für Hitler, eine Hilfe also für den deutschen Neonazismus, die Professor Ritter und das beauftragende Institut vermutlich unfreiwillig geleistet haben."

Das "beauftragende Institut" ist die heute unter dem Namen "Institut für Zeitgeschichte" (IfZ) weltbekannte Forschungseinrichtung, die sich seit ihrer Gründung 1949 vor allem mit der Erforschung des Nationalsozialismus beschäftigt hat. Bis heute sind dort Tausende Gutachten zu allen Details der nationalsozialistischen Herrschaft entstanden.

Der Bundestagspräsident wandte sich dorthin, wenn es um die Frage der Wehrmachtsverbrechen ging, und auch jetzt meldet die Website stolz, dass in München ein Gutachten für den Antrag entstanden ist, mit dem die Länder beim Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NPD als Nachfolgeorganisation der NSDAP erreichen wollen.

Die erste Publikation "Im Auftrage des Deutschen Instituts für Geschichte der nationalsozialistischen Zeit" erschien 1951 unter dem Titel "Hitlers Tischgespräche", und war "geordnet, eingeleitet und veröffentlicht von Gerhard Ritter/Professor der Geschichte a. d. Universität Freiburg".

Die Ausgabe ist trotz des professoralen Beistands bestenfalls liederlich zu nennen, so unkritisch durfte der sechs Jahre zuvor verstorbene "Führer und Reichskanzler" zu Wort kommen. Der ehrenwerte Gerhard Ritter verglich seine Ausgabe allen Ernstes mit Luthers Tischreden und gab Hitler ein so menschliches Antlitz, dass die erwähnte Rezensentin, sie hieß Hannah Arendt, ihrer Kritik zu Recht den boshaften Titel "Bei Hitler zu Tisch" gab.

Desiderat der Zeitgeschichtsforschung

Im Bayerischen Landtag erregte sich damals Ministerpräsident Hans Ehard über das Machwerk, konnte aber nicht verhindern, dass das unter anderem vom Freistaat Bayern getragene Institut in den Folgejahren weitere Editionen etwa der Schriften von Joseph Goebbels veranstaltete.

Als ein unverbesserlicher Nazi Geld für den toten Autor Goebbels verlangte, zahlte das Institut zähneknirschend, aber im Benehmen mit der Bayerischen Staatsregierung. Erst Ende der Achtzigerjahre kam, wiederum mit Hilfe dieses Nazis und gefördert von der Bundesrepublik Deutschland und dem Freistaat Bayern, eine wissenschaftliche Ausgabe der Tagebücher des NS-Propagandaministers zustande.

Mittlerweile geht es um Goebbels' obersten Chef, dem er 1945 so begeistert in den Tod gefolgt war. Eine kritische Edition der pamphletistischen Autobiografie "Mein Kampf" ist schon lange ein Desiderat der Zeitgeschichtsforschung. Woher bezog Hit-ler seine Gedanken oder auch: Wie viel davon hat er überhaupt selber geschrieben, was stammt von seinem zeitweiligen Sekretär Rudolf Heß, dem er in der Festungs-haft in Landsberg 1923/24 sein Werden und Wollen diktiert hat, was ist schlicht aus zeitgenössischen Texten gestohlen und als eigenes Denken in das Werk aufgenommen?

Ein Entgegenkommen an die Forschung

Das einzige Problem dabei: "Mein Kampf" darf nicht veröffentlicht werden. Das Buch steht seit Kriegsende auf dem Index und darf nicht einmal aus der Bibliothek ohne weiteres entliehen werden.

Der Katalogeintrag in der Hamburger Staatsbibliothek, die nach dem Hitler-Opfer Carl von Ossietzky benannt ist, lautet etwas kryptisch "Tatbestand Strafgesetzbuch". Der Interessent bekommt es dennoch im Lesesaal ausgehändigt, aber nur, wenn er einen Revers unterschreibt, dass dieses Interesse wissenschaftlicher Natur ist und er das 18. Lebensjahr vollendet hat.

Da Hitler bis zuletzt in München gemeldet war, wo auch sein Verlag Franz Eher Nachf. zu Hause war, ging das ideelle und materielle Vermögen nach einem Alliierten-Statut 1948 auf den Freistaat Bayern über und wird seither als Landesvermögen vom Finanzministerium betreut.

Betreut ist in diesem Fall so wörtlich zu nehmen, dass das Ministerium alle Ausgaben der "Schandschrift", wie Kulturminister Ludwig Spaenle "Mein Kampf" nennt, unterbindet, da das Buch als mitverantwortlich für die NS-Rassenideologie gilt.

Allerdings endet die urheberrechtliche Schutzfrist Ende 2015, so dass danach jeder "Mein Kampf" auf den Markt bringen könnte. Um dem zuvor- und der Forschung entgegenzukommen, fanden sich Staatsregierung und Bayerischer Landtag im vergangenen Jahr dazu bereit, eine wissenschaftliche Edition zu unterstützen. Das Kultusministerium stellte dafür 500.000 Euro an Sondermitteln zur Verfügung.

Es brauchte jedoch nur wenige Monate, bis zumindest die Bayerische Staatsregierung wieder anderen Sinnes wurde. Bei einem Besuch in Israel Ende 2012 erfuhr Ministerpräsident Horst Seehofer, dass die Vorstellung, eine Neuauflage von "Mein Kampf" werde nicht nur in der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung", sondern, bildlich gesprochen, auch noch mit dem Wappen des Freistaats Bayern erscheinen, für die Nazi-Opfer und ihre Nachkommen unerträglich sei.

Sanftes Paradox

Dennoch verging noch fast ein weiteres Jahr bis zum Kabinettsbeschluss am Dienstag dieser Woche, dass die staatliche Förderung der historisch-kritischen Hitler-Ausgabe zurückgezogen werde. Der Landtag wurde übrigens nicht gefragt.

Für das IfZ kam die Entscheidung "sehr überraschend". Man hat davon, wie es sich für andere auch gehört, "aus der Presse erfahren". In einem raren Akt von Insubordi-nation beharrt das Institut auf der Wissenschaftsfreiheit und damit auf seinem Recht, die geplante Ausgabe fortzuführen und zum Ende 2015 herauszubringen. Im Übrigen, so die Sprecherin, "wäre es falsch, von einer Auftragsarbeit zu sprechen", denn schließlich arbeite man bereits seit mehr als vier Jahren an der Ausgabe.

Das sanfte Paradox, dass die Ausgabe nun zwar jetzt ohne die halbe Million aus dem Bayerischen Kultusministerium auskommen muss, aber weiterhin unter anderem vom Kultusministerium, nämlich aus Steuermitteln, finanziert wird, ist für den Minister keines.

Spaenle zur SZ: "Sie können doch die Freiheit der Wissenschaft nicht antasten." Die Wissenschaftler um den Herausgeber Christian Hartmann sollen also weiter die Freiheit haben, die Ausgabe bis zum Ende der Schutzfrist fertigzustellen, müssen aber damit rechnen, dass Hitlers Hetzreden dann doch nicht wissenschaftlich verstanden, sondern zum Nennwert genommen und strafrechtlich relevant werden.

Dass er dann eingreifen werde, um zu verhindern, dass der varianten- und fußnotenreiche Hitler auf den Markt komme, weist der Minister weit von sich, seine Ausführungen zum Strafrechtstatbestand der Volksverhetzung sind aber deutlich.

Die Strafverfolgungsbehörden würden den Text gewiss eingehend prüfen und, ohne dass es eines staatlichen Auftrags bedürfte, das Indizierungsverfahren einleiten. Das nennt man wahrscheinlich die Kunst des Politischen: Damit wäre die Freiheit der Wissenschaft gewahrt und Hitler weiter unter Verschluss. So wie es aussieht, wird auch nach 2015 niemand an Hitlers Tisch geladen.

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