Solidarität ist kurzlebig. Auch bei den Emanzipationsbewegungen artet Einhelligkeit nach ersten Erfolgen oft in internen Konflikten aus. In Schwulenkreisen streitet man heute über den korrekten Umgang mit der Trans-, Bi- und Queer-Szene. Bei den Feministinnen gingen die Ansichten zwar von Anfang an auseinander, doch mündet die Debatte über In-Vitro-Fortpflanzung, Leihmutterschaft und lesbische Elternschaft in offene Konfrontation. Die Spannung zwischen klassischem Familienmodell und radikalem Gender-Individualismus setzt die Frauenbewegung mächtig unter Druck. Im Zusammenprall von polnischen Katholikinnen, spanischen Gleichstellungskämpferinnen und einer internationalen Femen-Front ist die Balance manchmal schwer zu halten.
In Frankreich, wo ein neues Bioethik-Gesetz allen Frauen inklusive lesbischen Paaren das Recht auf künstliche Eizellenbefruchtung zusichern will, heizt sich die Diskussion besonders auf. Zwischen Figuren wie der Komikerin Frigide Barjot, die sich vor sechs Jahren humorig gegen die Homo-Ehe engagierte, und der Publizistin Marcela Iacub, die hofft, dass medizinischer Fortschritt die Frau bald schon vom Los eines "Gebärsacks und Säugetiers" befreit, ist Platz für ein ganzes Spektrum feministischen Engagements.
Wie viel Männlichkeit benötigt Elternschaft? In der Frage haben manche Autorinnen ihre Position geändert. Hatte etwa die Philosophin Elisabeth Badinter einst Vorbehalte gegen eine Kindererziehung durch lesbische Elternpaare, so sieht sie heute kein Problem mehr darin.
Außer als meistens anonymer Gen-Spender sei der Mann heute für die Familie entbehrlich geworden, meint sie: Die Entscheidung des Kinderkriegens - ob, wann, mit wem - liege immer öfter ausschließlich bei der Frau. Gegen das von der Regierung angestrebte neue Recht auf künstlich befruchtete Eizelleneinpflanzung für alle Französinnen hat die Philosophin nichts einzuwenden. Auch gegen die Leihmutterschaft, die in Frankreich wie in Deutschland verboten ist, hat sie keine prinzipiellen Einwände mehr und hält eine kontrollierte finanzielle Entlohnung der Frauen für diese Dienste für vertretbar.
Gehören Kinder zu den leiblichen oder den auftraggebenden Müttern?
In der Frage der Leihmutterschaft scheiden sich die Geister. Aufgedrängt hat sich das Thema durch ein konkretes Problem. Welchen Rechtsstatus haben Kinder, die aus einer Leihmutterschaft im Ausland geboren wurden? Sind sie Kinder der leiblichen oder der auftraggebenden Mütter, der "intended parents"?
Um diese heikle Frage drücken sich die Gerichte überall oft noch mit spitzfindigen Argumenten. Der deutsche Bundesgerichtshof, der vor fünf Jahren einem schwulen Paar die Doppelvaterschaft für ein in Kalifornien von einer Leihmutter geborenes Kind zugestand, verweigerte im vergangenen Frühjahr einer deutschen Frau den Mutterschaftsanspruch auf ein von einer ukrainischen Leihmutter zur Welt gebrachtes Kind, beeilte sich aber hinzuzufügen, sie könne das Kind ja adoptieren.
In Frankreich stellt sich das Problem auf ähnliche Weise. Immer zahlreicher werden die Paare oder Alleinerziehenden, die sich für ihre von ausländischen Leihmüttern geborenen Kinder zivilrechtlich als konventionelle Eltern eintragen lassen wollen. Bei einer Anhörung zu diesem Thema wand die Justizministerin sich unlängst im Parlament mit der Versicherung, die Leihmutterschaft sei und bleibe, ob zu Hause oder im Ausland vollzogen, nach französischem Recht untersagt, verlange in der Praxis aber einen lockeren Umgang im Interesse der betroffenen Kinder.
Mit solcher Kasuistik mag die französische Debattenkultur sich nicht abfinden. Im Grenzbereich zwischen Zivilrecht, Geschlechtergleichstellung, medizinischer Fortpflanzungstechnologie, Bioethik und Marktliberalismus ist eine Auseinandersetzung entflammt, die in einer Protestdemonstration gegen das neue Bioethikgesetz am 6. Oktober einen Höhepunkt finden könnte. Die französische Bischofskonferenz signalisierte zunächst Solidarität für die Demonstration, zog sich dann aber auf eine neutrale Position zurück. Überraschend tat sich nun aber die 1731 gegründete Medizinische Akademie mit ihrer Warnung hervor, die absichtliche Kinderzeugung ohne Vater stelle eine "gewichtige anthropologische Wende" dar. Eine klärende Stimme kommt in der Diskussion von der Philosophin Sylviane Agacinski.
Dass Kinder nach Wunsch geschaffen und leibliche Mütter abgeschafft werden, ist ein Problem
Die Vertreterin eines "differenzialistischen" Feminismus, der gegen die Gender-Theorien Monique Wittigs oder Judith Butlers am Prinzip eines teilweise naturgegebenen Geschlechtsunterschieds festhält, ist um eine bioethische Gesamtperspektive im Zeitalter der Techno-Medizin bemüht. In ihrem Buch "Le corps en miettes" (Der zerstückelte Körper) kritisierte sie vor Jahren das neue "Baby Business" und die Naivität ihrer linken Gesinnungsfreunde, jede Errungenschaft der Biotechnologie sofort zu einer Frage der individuellen Entscheidung machen und das Individuum mit immer neuen staatlich garantierten Freiheiten beglücken zu wollen. Im Buch "Le tiers-corps" (Der Dritt-Körper) lieferte die Philosophin im letzten Jahr die Grundlagen zu einer Ethik der Organtransplantation, die über das Spender-Empfänger-Modell hinaus auch die Praxis von Stammzellenzucht, Organbanken und Prothesenkombinatorik mit einbezieht. Und in ihrem gerade erschienenen Traktat "L'homme désincarné: du corps charnel au corps fabriqué (Der entleibte Mensch: vom fleischlichen zum gemachten Körper) skizziert die Autorin eine Entwicklung, die im Namen der individuellen Selbstverantwortlichkeit mit neuen Familienmodellen dem Markt immer mehr Freiheit einräumt.
Einen "Markt des Fleischs", schreibt sie, habe es in Form der Prostitution schon immer gegeben. Dank Biotechnologie und Wirtschaftsglobalisierung habe er sich aber zu einem "Mutterschaftsmarkt" ausgeweitet. Dem Neoliberalismus könne dieser Schluss nur willkommen sein.
Agacinski wirft manchen Gerichten und Ethikkomitees vor, dem Erwartungsdruck der Individualgesellschaft alle Grundsätze zu opfern. So habe das französische Kassationsgericht in einem Urteil 1991 festgehalten, dass die Leihmutterschaft gegen die Unveräußerlichkeit des menschlichen Körpers verstoße.
Einerseits sei eine Schwangerschaft nicht von der Person der jeweiligen Frau zu trennen, und andererseits sei auch ein noch ungeborenes Kind schon eine werdende Person. Beide könnten also weder Subjekt noch Objekt einer Transaktion werden. Dasselbe Gericht erklärte 2003, eine "stellvertretende Schwangerschaft" komme einem Missbrauch des Adoptionsrechts gleich, denn statt um die Aufnahme eines schon geborenen gehe es dabei um die Herstellung eines noch nicht existierenden Kindes. Im Juli 2015 ist laut Agacinski das Gericht im Fall des Ehepaars Mennesson aber eingeknickt.
Dieses Paar hatte auf Anerkennung seiner Elternschaft über zwei von einer amerikanischen Leihmutter zur Welt gebrachte Töchter geklagt und war darin vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt worden. In ihrem Urteil anerkannten dann auch die französischen Richter die vollrechtliche Elternschaft der "intended parents". 2018 gingen sie noch einen Schritt weiter. Musste zuvor die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner des biologischen Vaters noch einen Adoptionsantrag für das der Leihmutter abgenommene Kind stellen, wurde einem schwulen Paar die Elternschaft automatisch zuerkannt. Die Leihmutter komme in der Geburtsakte nicht vor, rechtlich existiere sie gar nicht, erklärte der Anwalt des Paares.
Dass im Namen der persönlichen Eigenverantwortung Kinder nach Wunsch geschaffen und leibliche Mütter abgeschafft werden können, ist in Sylviane Agacinskis Augen ein Problem. Die angelaufene Bioethikdebatte wirbelt in Frankreich im Parlament wie auf der Straße linke und rechte, fortschrittliche und konservative Positionen durcheinander.