Kopftuch-Debatte:Wie islamfeindlich ist der Feminismus?

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Kopftuch-Debatte: Die Neuköllner Sehitlik-Moschee ist eine von sieben Moscheen in der Hauptstadt, dazu kommen 91 Gebetsräume.

Die Neuköllner Sehitlik-Moschee ist eine von sieben Moscheen in der Hauptstadt, dazu kommen 91 Gebetsräume.

(Foto: imago)

Feministinnen, die Kopftücher von Mädchen verbieten wollen, verraten die Sache der Frauen - und spielen den Rechtspopulisten in die Hände.

Von Meredith Haaf

Ein Bauchgefühl ist in Entscheidungskonflikten nicht immer das schlechteste Argument, politisch ist es aber recht nutzlos. Jedenfalls spätestens dann, wenn die Gefühle des eigenen Bauches der Praxis, den Bedürfnissen und den Gefühlen sehr vieler anderer Menschen widersprechen. Davon weiß auch die Bundeskanzlerin seit einigen Wochen zu erzählen.

Bei aller Ehe für alle: Im Zusammenhang mit Fragen der Geschlechterordnung steht die Herrschaft der Bauchgefühle immer noch relativ stabil. Das muslimische Kopftuch ist derzeit wieder ganz oben auf der Liste der Reizthemen, zu denen auch Gender-Theorie oder Prostitution gehören und die immer wieder magengeschwürartige Reaktionen hervorrufen. Mit Ergebnissen, die für Betroffene oft hart sind: In einer sehr bauchgefühlig wirkenden Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt den Eilantrag einer muslimischen Juristin abgewiesen, die auch in ihrem Referendariat ihr Kopftuch anbehalten wollte.

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Hier wird also eine Frau per Richterspruch daran gehindert, in ihrer selbst gewählten Erscheinungsweise ihre Lebenschancen zu verwirklichen - eine Frau zumal, deren Hintergrund und religiöse Überzeugung sie hierzulande nachweislich auf so ziemlich jedem Arbeitsmarkt zur Zielscheibe von Diskriminierungen machen. Trotzdem werden viele deutsche Feministinnen dieses Urteil begrüßen, so wie es etwa die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes per Twitter tat.

Dies erscheint zunächst erstaunlich. Doch in der aktuellen Themen- und Prioritätensetzung von Gruppierungen wie Terre des Femmes oder der Zeitschrift Emma zeigt sich, dass die Sicht auf den Islam als Motor gesellschaftlicher Übel nicht nur bei Rechtskonservativen, bei den Identitären oder der AfD zu finden ist. In einflussreichen feministischen Kreisen setzt sich eine Perspektive durch, aus der der Islam als angeblich übermächtiger Hauptträger patriarchaler Verhältnisse in diesem Land interpretiert wird. Die dazugehörige Argumentation ist bestenfalls antiliberal und teilweise nahe am Rechtspopulismus. Es drängt sich die Frage auf, wie eng die Verbindung von Feminismus und progressiver Politik überhaupt (noch) ist.

Man muss sich einmal das Internetportal von Emma ansehen. Der Einfluss der Zeitschrift schwindet zwar, sie gilt aber immer noch als Kompass für viele, wenn es um Themen des Frauenrechts geht. Bei Emma findet man da immer noch ein großes Angebot, aber der Fokus ist eng geworden: fünf Artikel in einer Ausgabe zur Frauenunterdrückung im Islam, drei Artikel zu Zwangsprostitution und ihren angeblich willigen Helfern, der Sex-Arbeiterinnen-Lobby. Die größten Verhinderer einer gerechten Gesellschaft sind nach dieser Darstellung also die kopftuchtragende Minderheit in der muslimischen Minderheit sowie herzlose Huren, die nur auf ihre eigenen Rechte pochen, anstatt sich über Beratungsgebote und gesetzliche Kondompflicht zu freuen. Der einzige akzeptable Muslim in diesem Land ist der islamkritische Psychologe und Buchautor Ahmad Mansour. Der Realitätszuschnitt der Emma unterscheidet sich nicht dramatisch von dem des rechten Politmagazins Tichys Einblick, das der Ex-Chef der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, gegründet hat.

Die Organisation Terre des Femmes ist über den Populismusverdacht eigentlich erhaben. Umso erstaunlicher ist eine Entscheidung, die auf der jüngsten Mitgliederversammlung des Vereins fiel: In Zukunft fordert er ein gesetzliches Verbot von Kopftüchern bei Minderjährigen. Wenn man bedenkt, dass der Verein hohe Spenden- und Fördermittel einnimmt und weltweit aktiv ist, ist das keine Marginalie in der Feminismusdebatte.

In öffentlichen Räumen, in Schulen, Rathäusern, aber auch auf der Straße soll es Mädchen untersagt werden, Hijab zu tragen. Begründet wird die Forderung mit der Praxis mancher muslimischer Familien, schon Grundschülerinnen das Kopftuch anzuziehen. Dies "markiert die Mädchen als Verführerinnen und Sexualwesen" und würdige sie aufgrund ihres Geschlechts herab. Das "Kinderkopftuch" nehme außerdem auf die Entwicklung muslimischer Mädchen einen schädigenden Einfluss, diese gewöhnten sich so früh daran, dass sie auch als erwachsene Frauen rein psychologisch außerstande wären, sich gegen das Tuch zu entscheiden. Es sei die Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass alle Mädchen in diesem Land unter denselben Bedingungen aufwachsen könnten.

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