Debatte:Früher waren Intellektuellen-Debatten nicht besser

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Wer wird am Ende "The Voice of Germany"? Peter Sloterdijk hat derzeit gute Chancen. (Foto: dpa)

Sloterdijk versus Münkler - eine Privatfehde von Springteufeln? Und sowieso, Krise der Intellektuellen? Damit würde man die Debatten der Vergangenheit in allzu goldenes Licht tauchen.

Kommentar von Johan Schloemann

Die Feuilletons, so scheint es, können bald eine feste neue Rubrik einrichten: "Sloterdijk versus Münkler". In dieser Woche ist die Repliken-Battle zwischen dem Politologen Herfried Münkler und dem Philosophen Peter Sloterdijk in die nächste Runde gegangen. Wer wird am Ende "The Voice of Germany"?

Zum Teil geht es dabei sogar um Inhalte: Ist die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung vernünftig? Eng damit zusammenhängend um Ton- und Taktfragen: Wie stellt man solche Fragen, ohne wie die AfD zu klingen?

Es geht aber auch um viel Rätselhafteres: um Temperaturregulierung und durchlässige Membranen, um Metametametaphorik, um Selbstentlassung aus dem Debattengefängnis, das man mitgebaut hat. Und nicht zuletzt duellieren sich auch zwei Persönlichkeiten "von Format" (Sloterdijk über Münkler): Der eine klagt über "Nuancenmord", der andere über eine strategische Unlust an strategischem Denken.

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Nach den Reaktionen auf seine kritischen Äußerungen zur Flüchtlingspolitik fürchtet Philosoph Peter Sloterdijk um die hiesige Debattenkultur. In München übt er Medienkritik - und wirkt wie ein müder Krieger.

Von Michael Stallknecht

So. Die Lust, das Ganze zu einer Privatfehde von Springteufeln zu erklären und den Deckel zuzumachen, ist sehr groß. Und dann, während sie noch zappeln, ganz fest den Daumen draufzuhalten und die Krise der Intellektuellen auszurufen. Das geht nämlich immer: Wenn sie da, wo man gerade steht, nicht zu vernehmen sind, dann "schweigen" sie, ja sie "versagen" sogar, gerade jetzt, wo die Zeiten doch so schwierig sind - Intellektuellenkrise. Wenn sie aber engagiert in den Ring steigen, seitenweise in der Zeit schreiben, sich beharken, sich für blind erklären, überschießende Thesen formulieren, Widerspruch herausfordern, sich verrennen, dann ist es auch wieder nicht gut - Intellektuellenkrise.

War es früher wirklich besser?

Dieser widersprüchliche Wunsch nach größtmöglicher Sichtbarkeit bei größtmöglicher Sauberkeit verkennt den Charakter demokratischer Polemik. War es früher - wann? wo? - denn wirklich besser?

Es gibt ja zum Beispiel die verbreitete These, die harten Intellektuellenkämpfe der Nachkriegszeit hätten erst zur Festigung der Demokratie in der Bundesrepublik beigetragen. Das stimmt sicher; aber diese These gewinnt desto mehr integrative Kraft, je goldener das Licht ist, in das man jene vergangenen Kontroversen taucht. Je mehr man also über ihre Schwammigkeiten und Unredlichkeiten hinwegsieht. In Wahrheit mischten sich auch damals immer Ideologie und Theorie, Sach- und Personenstreit: Habermas gegen Luhmann. Walter Jens gegen Mutlangen. Botho Strauß gegen alle.

Intellektueller Streit ist auch, Gott sei Dank, kein Streit um Leben und Tod, anders vielleicht als in autokratischen Staaten. Nicht jede Polemik ist eine Verrohung. Und wenn der Dampf sich lichtet und man einen Schritt zurücktritt, dann ist man auch wieder für Unterschiede empfänglich: Von Peter Sloterdijk kann man eben mittels virtuoser Neuformulierungen viel über die Ideengeschichte und über psychosoziale Entwicklungen bis zur Gegenwart lernen; aber offenbar nicht viel über aktuelle Außenpolitik. Und bald auch einiges über den historischen Übergang zur Missionarsstellung, wenn sein erster erotischer Roman bei Suhrkamp erscheint. Von Herfried Münkler kann man andere Dinge lernen.

In seiner sachlich sehr überzeugenden Antwort auf Sloterdijks Angela-Merkel-Kritik hat Münkler dessen beleidigte Reaktionen als "Abdankungserklärung eines Typus öffentlicher Intellektualität" bezeichnet, "der die Debattenkultur dieses Landes lange Zeit beherrscht hat". Gewiss wäre das schön: mehr Abrüstung, mehr Genauigkeit in der Debatte über die Flüchtlingspolitik und auch sonst.

Wir haben sehr wohl Intellektuelle

Aber der Abdankungswunsch hat zwei Gefahren: Erstens ist unklar, wer die Sachlichkeitsgrenze definiert. Und zweitens kann er die Entlastungshoffnung auslösen, die Intellektuellen insgesamt abzuservieren. Wir hätten ja nach Habermas, Kluge, Enzensberger bald gar keine mehr, hört man immer öfter, nur weil sich heute so viel in Twittergewittern abspielt.

Aber das stimmt gar nicht: Wir haben Navid Kermani, Joseph Vogl, Christoph Möllers, Juli Zeh, Heinz Bude, Kathrin Passig und mehr. Und für doofe Interventionen gibt es nach wie vor immer nur eine Lösung: bessere Interventionen.

© SZ vom 12.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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