Gastbeitrag:Bringen die Flüchtlinge mehr Antisemitismus nach Deutschland?

Gastbeitrag: Michael Brenner ist Professor für Jüdische Geschichte und Kultur in München sowie an der American University in Washington.

Michael Brenner ist Professor für Jüdische Geschichte und Kultur in München sowie an der American University in Washington.

(Foto: LMU)
  • Jüdische Gemeinden in Deutschland setzen sich für Flüchtlinge ein.
  • Das, obwohl viele Flüchtlinge aus Syrien wohl antisemitische Vorurteile aus ihrer Heimat mitbringen.
  • Deutschland muss seine Erfahrungen im Umdenken an die neuen Bürger weitergeben.

Von Michael Brenner

Bald wird Deutschland ein anderes Land sein. Ein Land, das plötzlich eine Million mehr Menschen zählt. Ein Land, das in der Welt als das freundliche Gesicht Europas gesehen wird. Ein Land, in dem auch die Nachkommen der Juden, die Deutschland einst aus ganz Europa vertrieben hat, mit erhobenem Kopf leben können.

Die meisten heute in Deutschland lebenden Juden sind selbst in den letzten 25 Jahren als Flüchtlinge gekommen - aus der ehemaligen Sowjetunion. Sie wissen, was es heißt, alles aufzugeben, die Heimat zu verlassen, in eine ungewisse Zukunft zu blicken. Auch diejenigen, die schon länger da sind, verstehen die Psyche der Flüchtlinge. Ihre Eltern und Großeltern kamen zumeist entweder aus dem Exil nach Deutschland zurück oder fanden in den Nachkriegsjahren eine neue Heimat ausgerechnet in dem Land, das ihre Familien ausgelöscht hatte. Sie gehören zu einer Gemeinschaft, deren Schicksal über Jahrtausende von Flucht und Neuanfang geprägt wurde.

Zentralrat der Juden stellt sich auf Seite der Notleidenden

Bei dieser Geschichte verwundert es nicht, dass jüdische Hilfsorganisationen - wie die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland - sofort mit anpacken, seitdem eine ungewöhnlich hohe Zahl von Flüchtlingen nach Deutschland kommt. In manchen jüdischen Gemeinden meldeten sich Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion, um den oftmals russischsprechenden syrischen Flüchtlingen beizustehen.

Der Zentralrat der Juden stellt sich demonstrativ auf die Seite der Notleidenden. In den Predigten der Rabbiner zum eben vergangenen Neujahrsfest stand die Hilfe für die Flüchtlinge im Mittelpunkt, die schon in der biblischen Tradition eine große Rolle spielt. Und in den USA rief die älteste jüdische Hilfsorganisation, die Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS), den amerikanischen Präsidenten auf, viel mehr syrische Flüchtlinge ins Land zu lassen.

Jüdische Gemeinden helfen. Aber sie sind auch besorgt

Doch mischen sich auch sorgenvolle Stimmen in den Chor der Solidarität. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen Israel als Satan unter den Nationen gilt und deren Eliten oft die Juden als solche verteufeln. In allen Ländern des Nahen Ostens, ergab neulich eine Umfrage der "Anti-Defamation League", glaubt die Mehrheit, dass Juden zu viel Macht hätten, dass sie für die meisten Kriege in der Welt verantwortlich und am Antisemitismus selbst schuld seien. Der Holocaust wird von vielen in Abrede gestellt, und die im christlichen Mittelalter entstandene Ritualmord-Legende erfreut sich großer Beliebtheit. In arabischen Buchhandlungen steht "Mein Kampf" neben dem antijüdischen Longseller "Die Protokolle der Weisen von Zion".

Jahrzehnte des israelisch-arabischen Konflikts haben in der islamischen Welt nicht nur das Bild von Israel, sondern auch vom Judentum geprägt. Die Radikalen meinen, einen Stellvertreter-Nahostkrieg in Europa kämpfen und Mitglieder der jüdischen Gemeinden angreifen zu müssen, wenn sie schon den Israelis nichts anhaben können. So ist es kein Wunder, dass sich in jüdischen Gemeinden unter den Enthusiasmus über die Aufnahme von Flüchtlingen auch die Ungewissheit mischt. Werden in Deutschland bald französische Verhältnisse herrschen? Werden die Juden aus Angst vor Attacken radikalisierter Muslime in Scharen das Land verlassen?

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