David Diop: "Reise ohne Wiederkehr":Ihren Namen auf den Lippen

David Diop: "Reise ohne Wiederkehr": Eine Statue zur Erinnerung an Sklaverei und Befreiung auf der Insel Gorée, die ein Drehkreuz des Sklavenhandels nach Amerika war.

Eine Statue zur Erinnerung an Sklaverei und Befreiung auf der Insel Gorée, die ein Drehkreuz des Sklavenhandels nach Amerika war.

(Foto: Wolfgang Noack/imago images/imagebroker)

David Diop mischt Kritik am Kolonialismus mit einer schwarz-weißen Liebesgeschichte. Gefährlich nah am Kitsch.

Von Sigrid Löffler

Gleichsam über Nacht wurde David Diop, der franko-senegalesische Literaturprofessor und Schriftsteller, international bekannt, als er für seinen Roman "Nachts ist unser Blut schwarz" den britischen International Booker Prize 2021 gewann. Diop, Jahrgang 1966, wurde in Paris als Sohn einer französischen Mutter und eines senegalesischen Vaters geboren, ist in Senegal aufgewachsen und unterrichtet französischsprachige afrikanische Literatur an der Universität Pau im Südwesten Frankreichs.

Sein preisgekrönter Roman widmet sich einem wenig bekannten Kapitel der Weltkriegsgeschichte - dem Einsatz der sogenannten "Senegal-Schützen" in den Grabenkämpfen des Ersten Weltkriegs, also der schwarzen Soldaten aus der französischen Kolonie Senegal, die für den Kriegsdienst auf Seiten ihrer Kolonialherren rekrutiert und zu Tausenden auf den Schlachtfeldern bei Verdun getötet wurden. In Form eines Prosagedichts führt der Roman die Klage und Selbstanklage eines jungen Senegal-Soldaten vor, den die Grausamkeit der Kämpfe in den Wahnsinn treibt und zum unmenschlichen Schlächter macht, bis er dem Zerrbild des barbarischen Wilden entspricht, das die Weißen von vornherein von ihm zeichneten.

In seinem neuen Roman "Reise ohne Wiederkehr" thematisiert David Diop abermals ein Kapitel aus der Kolonialgeschichte Senegals - diesmal den Sklavenhandel, den die französische Kolonialmacht im 18. Jahrhundert von der Küste Senegals aus betrieb, mit der Insel Gorée als dem berüchtigten Zentrum für die Verschiffung afrikanischer Sklaven nach Amerika. Erzählt wird dies aus der Perspektive eines Weißen, des französischen Botanikers, Ethnologen und Forschungsreisenden Michel Adanson.

David Diop: "Reise ohne Wiederkehr": Historisch hat ihm Carl von Linné den Rang abgelaufen: Der französische Botaniker Michel Adanson (1727-1806).

Historisch hat ihm Carl von Linné den Rang abgelaufen: Der französische Botaniker Michel Adanson (1727-1806).

(Foto: imago/Leemage)

Adanson ist eine historische Gestalt. Er bereiste um die Mitte des 18. Jahrhunderts Senegal, um dort die einheimische Pflanzen- und Tierwelt zu erforschen und die Lebensweise der afrikanischen Küstenstämme zu studieren. Sein Reisebericht "Michael Adansons Nachricht von seiner Reise nach Senegal und in dem Innern des Landes", der 1773 in der deutschen Übersetzung des Erlanger Botanikers Johann Christian Schreber erschien, schildert anschaulich und detailreich Flora, Fauna und Menschen in Senegal. Für seinen Roman hat sich David Diop von diesem Reisebericht inspirieren lassen. Er hat ihn geradezu geplündert. Ihm verdankt er die Schauplätze und die Materialität seines Romans: die Topografie, das tropische Lokalkolorit und die exotischen Naturbeschreibungen. Etliche in Adansons Bericht namentlich erwähnte Personen, einheimische Dorfälteste wie auch Chefs der französischen Kolonialverwaltung, tauchen bei Diop als Romanfiguren auf. Die tragische Liebesgeschichte im Zentrum des Romans ist allerdings Diops eigene Erfindung.

David Diop: "Reise ohne Wiederkehr": Vergessene Schriftstücke als literarischer Trick, auch in David Diops neuem Roman.

Vergessene Schriftstücke als literarischer Trick, auch in David Diops neuem Roman.

(Foto: JOEL SAGET/AFP)

Der Roman nimmt einen umständlichen Umweg, ehe er zur Sache kommt. Auf den ersten fünfzig Seiten wird eine missratene Vater-Tochter-Geschichte erzählt. Der alte Botaniker Adanson rekapituliert auf dem Sterbebett in Paris sein Forscherleben und stellt sein Lebenswerk, die systematische Beschreibung der Pflanzenwelt nach Art einer Universal-Enzyklopädie, infrage. Er ahnt, dass die revolutionäre Methodik eines anderen Botanikers seine eigene Lebensarbeit entwertet hat: Es ist der schwedische Naturforscher Carl von Linné, der historisch das Rennen um die Systematik in der Botanik gemacht hat. Adansons Tochter begleitet das Sterben ihres Vaters und wirft ihm im Stillen vor, er habe über seiner monomanischen pedantischen Forschungsarbeit die Familie vernachlässigt und sei schuld an ihren unglücklichen Ehen, die im Grunde eine Suche nach Ersatzvätern waren.

Doch nicht dem wissenschaftlichen Scheitern eines vergessenen Naturforschers des 18. Jahrhunderts gilt das Hauptinteresse des Romans. David Diop bedient sich eines etwas abgenutzten literarischen Tricks, um endlich zu seinem eigentlichen Thema zu kommen: Nach Adansons Tod entdeckt seine Tochter in einem Geheimfach seines Sekretärs die Notizhefte des Vaters, die das Geheimnis seines Lebens offenbaren. "Natürlich, eine alte Handschrift", seufzt da der Umberto-Eco-Leser nostalgisch. In diesen geheimen Heften enthüllt Adanson die grundstürzende Erfahrung seines Lebens - die Liebesaffäre mit der schönen jungen Afrikanerin Maram während seines Senegal-Aufenthalts. Mit ihrem Namen auf den Lippen ist der alte Mann gestorben.

David Diop: "Reise ohne Wiederkehr": David Diop: Reise ohne Wiederkehr oder Die geheimen Hefte des Michel Adanson. Roman. Aus dem Französischen von Andreas Jandl. Aufbau, Berlin 2022. 236 Seiten, 22 Euro.

David Diop: Reise ohne Wiederkehr oder Die geheimen Hefte des Michel Adanson. Roman. Aus dem Französischen von Andreas Jandl. Aufbau, Berlin 2022. 236 Seiten, 22 Euro.

Der Hauptteil des Romans ist Adansons Bericht über diese tragisch endende Liebes-Passion gewidmet. Nachdem der junge Forschungsreisende in einem Dschungeldorf vom mysteriösen Verschwinden Marams, der Nichte des Dorfältesten, erfahren hat, beschließt er, die Erforschung von Flora und Fauna ruhen zu lassen, um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen. Tatsächlich findet er Maram, die sich als geisterkundige Dorf-Heilerin und Schamanin vor den Sklaventreibern versteckt hält, und verliebt sich in sie. Was sie zu erzählen hat, ist eine abenteuerliche Geschichte von sexueller Gewalt, Sklaverei, Ausbeutung und kolonialen Verbrechen. David Diop garniert diese Darbietung grausamer Kolonialpolitik mit dem exotischen Flair archaischer Hexer-Praktiken, die sein Romanheld dank Maram kennenlernt. Ihr Totemtier, eine riesige Würgeschlange, kommt ebenso ins mörderische Spiel wie allerhand Manifestationen magischen Denkens, das Ganze vor dem Hintergrund des brutalen Sklavenhandels auf der Insel Gorée, den der naive Naturforscher Adanson bisher gar nicht wahrgenommen hat. Erst jetzt, da seine Geliebte in die Fänge der Sklavenjäger gerät, fällt ihm erstmals auf, was sich von Anfang an vor seinen Augen abspielte.

Der Roman ist ein sonderbarer Hybrid. Er mischt Kritik am Kolonialismus und Rassismus der Europäer mit Fragmenten eines ausgeweideten naturkundlichen Reiseberichts und macht daraus eine tropische Abenteuergeschichte, die sich die Fantasien der Weißen über die dunklen Praktiken auf dem schwarzen Kontinent zunutze macht. Die historischen Leiden der versklavten Afrikaner werden mit einer exotisch aromatisierten schwarz-weißen Lovestory verquickt, die gefährlich nahe an den Kitschrändern der Kolportage entlangschrammt. Diesen narrativen Cocktail rundweg bekömmlich zu nennen, wäre gelogen.

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