Dauerbrenner zur Weihnachtszeit:Die Aschenbrödler

Weil an Weihnachten die Rituale zählen, haben auch die Fernsehsender ihr Programm ritualisiert. Aschenbrödel läuft gleich zehnmal in drei Tagen - und lässt manchen Zuschauer nicht mehr los.

Barbara Gärtner

Man muss die Geschichte vom Pferd erzählen, erst dann versteht man den Rest. Das Pferd also, ein imposanter Schimmel, galoppiert im Märchenfilm Drei Haselnüsse für Aschenbrödel über verschneite Wiesen, springt über Zäune und prustet im Stall vergnügt seiner Reiterin zu - eine herausragende Rolle, denn die Mädchen, die vorm Fernseher sitzen und noch zu klein sind, sich in den feschen Prinzen zu verlieben, die vergucken sich eben in den hübschen Schimmel.

Prinz aus Aschenbrödel, Foto: NDR, WDR, Degeto

Der Prinz (Pavel Trávnícek) und ihr Tanzschuh - aber wo ist Aschenputtel?

(Foto: Foto: NDR, WDR, Degeto)

So geht das seit 36 Jahren. Immer an Weihnachten. Weil an Weihnachten die Rituale zählen - der Baum, die Gans, der Streit - haben auch die Fernsehsender ihr Programm ritualisiert. Es kommt Sissi (Sat1), Der kleine Lord (ARD, diesmal schon früh versendet) und, jawoll: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel und den zeigen die ARD und sämtliche Dritten Programme zwischen dem Heiligen Abend und dem 27. Dezember sogar zehnmal.

Zehnmal in drei Tagen.

Warum sind die Leute nur so versessen auf einen alten, tschechisch-deutschen Märchenfilm aus dem Jahr 1973?

Happy End mit Prinz

Die Geschichte ist Gebrüder-Grimm-alt, wurde schon zigmal verfilmt: Das arme Ding heißt mal Cinderella, mal Aschenputtel, mal Aschenbrödel, immer wird es von der garstigen Stiefmutter drangsaliert, immer heiratet es am Ende den Prinzen und immer guckt die hässliche Stiefschwester dann recht blöde.

Doch das Hochzeits-Happy-End vom tschechischen Aschenbrödel und seinem Schimmel Nikolaus ist vergnüglicher als das der anderen zartpassiven Cinderellas. Dieses Aschenbrödel ist schön und frech; kann besser schießen als der bisweilen allzu blasierte Strumpfhosen-Prinz, besser reiten sowieso, und als der Bursche sagt: Ich will dich heiraten, da antwortet sie nur keck: "Haben Sie nicht etwas vergessen? Zu fragen, ob ich auch will?"

Manchen Zuschauer lässt das Märchen gar nicht mehr los. Da gibt es welche, die lassen immer an Weihnachten ihr Handy mit der Filmmusik-Oboe tirilieren, andere nähen sich das rosa Cape, mit dem das Filmdarling zum Ball galoppierte. Sie heiraten wie Aschenbrödel, sie sammeln Daten, Darsteller-Lebensgeschichten, Damenfrisurbastelanleitungen, als wollten sie darüber promovieren; sogar die Rezepte, der im Film gezeigten Naschereien sind zum Nachbacken im Internet veröffentlicht.

Das klingt verrückt, die Leute sind aber hoch sympathisch. Kathrin C. Miebach zum Beispiel. Sie füttert seit 1999 eine Website (www.dreihaselnuessefueraschenbroedel.de), die so detailopulent ist, dass man sich fragt, wie sie nebenbei noch einen Beruf schaffen kann.

Sie lacht am Telefon und stapelt tief. Eigentlich wollte sie damals nur mal eine Motto-Party feiern. Aus der privaten Kostümsause ist ein jährliches Fest in der Jugendherberge Schloss Bilstein geworden. Die Karten werden schnell nachgefragt. Und ein paar Gäste kommen tatsächlich in selbstgeschneiderten Märchenprinzessinnen-Roben. Es wird getanzt, gegessen, aber stets zuallererst der Film geschaut.

Besucher-Rekord bei Ausstellung

Im Januar wird auch auf Schloss Moritzburg ein Ball à la Aschenputtel gegeben. Das Schloss, erbaut von August dem Starken, eine halbstündige Autofahrt von Dresden entfernt, ist eine Art Pilgerstätte für Fans geworden, ein paar Szenen der Defa-Produktion hat man hier gedreht.

Die Aschenbrödler schreiten also auf den Spuren des Films von Regisseur Václav Vorlícek die Moritzburger Treppenstufen hinab, auf denen die Schöne (die bezaubernde Libuše Šafránková) ihren Schuh verlor, sie suchen zwei Birken am See, Balluster und Ballsaal. Tja, den Ballsaal gibt es nicht auf Moritzburg, ist eben Film, den Tanz hat man woanders gedreht. Trotzdem: Auf Schloss Moritzburg wurde schon um einige Hände angehalten und schon vielmals "Ja" gesagt.

Weil so viele Besucher den Film im Sinn hatten, organisierten die Schlossverantwortlichen eine Drei Nüsse für Aschenbrödel-Ausstellung im Obergeschoss. Seit Oktober läuft sie schon, nun wird sie wegen des großen Andrangs bis 28. Februar verlängert; 85 000 Besucher haben sich die Kulissen und Kostüme schon angeschaut. Rekord. Nur zum Vergleich: Die große Bauhaus-Jubiläumsschau in Berlin haben 166 000 Menschen besucht.

Von der Sommerromanze zum Wintermärchen

Was gibt es schon darzustellen, über einen kleinen Märchenfilm? Offenbar recht viel. In langen Textblöcken wird erzählt, warum aus der geplanten Sommerromanze ein Wintermärchen wurde (die Kulissenbauer der Defa waren im Winter unterbeschäftigt, darum wurde der Drehtermin in die maue Zeit verschoben), dass in der norwegischen Synchronfassung alle Stimmen von einem Mann gesprochen werden und die Namen von sämtlichen am Dreh beteiligten Pferden.

Eines der Tiere hieß Kalif, und seine Geschichte geht wirklich ans Herz: Erst ist er als Zirkuspferd herumgereist, sprang durch Feuerreifen, bekam Applaus. Als der Schimmel das nervlich nicht mehr verkraftete, wurde er kastriert, und der Staatszirkus gab ihn an Kaskadeure ab. Bei einem Filmdreh in Jugoslawien haben ihn die Stuntmen einfach am Bahnsteig stehen lassen, weil sich das komplette Team in den Westen absetzte. Irgendwann holte die Defa das Tier wieder zurück und brachte ihn im Stall im Babelsberger Park unter.

Fortan hatte Kalif zwei Berufe: Bei der Defa-Betriebssportgemeinschaft diente er als braves Schulpferd auf dem Kinder reiten und voltigieren lernten, nebenbei war der Star in einigen Filmen, so trabte auch das Aschenbrödel auf ihm vergnügt durch den Wald. Recherchiert hat diese Pferde-Odyssee Christoph Müller, der als achtjähriger Knirps den Film Drei Haselnüsse für Aschenbrödel sah und danach unbedingt reiten lernen wollte. Das hat er dann auch gemacht. Auf dem Rücken eines Schimmels, es war Kalif.

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel unter anderem am 24.12. im WDR-Fernsehen um 14.35 Uhr; am 25.12. in der ARD um 11 Uhr; am 26.12. im Fernsehen des MDR um 12.45 Uhr und am 27.12. im BR-Programm um 8.50 Uhr.

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