"Das starke Geschlecht" im Kino:Innen ganz weich

"Das starke Geschlecht" im Kino: Macho oder Frauenversteher, schwul oder hetero? In Jonas Rothlaenders Doku kommen sehr verschiedene Männer zu Wort.

Macho oder Frauenversteher, schwul oder hetero? In Jonas Rothlaenders Doku kommen sehr verschiedene Männer zu Wort.

(Foto: missingfilms/Collage: SZ)

Was denken Männer wirklich über Sex? Die Doku "Das starke Geschlecht" offenbart Erstaunliches.

Von Martina Knoben

Männer sind Schweine - oder etwa nicht? Jonas Rothlaender wollte es ein bisschen genauer wissen und hat einige dieser Menschen, die wie er ein XY-Chromosomenpaar haben, nach ihren sexuellen Erfahrungen und ihrer Vorstellung von Männlichkeit befragt. Um seine Protagonisten zum Reden zu bringen und nicht immer nur Harte-Kerle-Fassaden zu sehen, hat er sich einen simplen Trick ausgedacht: Er lässt sie die Statements anderer, anonym bleibender Männer vortragen, die ihrerseits von ihren Sexleben berichten. Manche der Vorleser lachen oder erschrecken über die fremden Statements, einige erkennen Gemeinsamkeiten, andere grenzen sich klar von den fremden Texten ab. Und alle denken danach erstaunlich offen über ihre eigene Sexualität nach, verblüffend Widersprüchliches tritt zutage. Pauschalurteile über den Mann wirken jedenfalls zunehmend unpassend, genauso wie Tiervergleiche. Es lohnt sich, den Männern in diesem Film zuzuhören.

Gleich der erste Text, der in "Das starke Geschlecht" vorgelesen wird, scheint allerdings das Bild der "toxischen Männlichkeit" zu bestätigen, das die "Me Too"-Bewegung gezeichnet hat. Da erzählt ein verurteilter Vergewaltiger, warum er Frauen geschlagen und missbraucht hat - "weil es die einzige Möglichkeit war, an die ranzukommen, sich Gehör zu verschaffen". Seine Ex-Freundinnen seien intelligenter gewesen als er, ihm überlegen. "Richtig geile Püppis", nennt er sie und kann die Vergewaltigung einer ehemaligen Geliebten immer noch nicht als solche erkennen - "nachdem, was wir an Sexleben hatten". Nicht ganz so "toxisch", aber ebenfalls übel geht es weiter: Da redet einer minutenlang darüber, wie lange man(n) eine Erektion aufrechterhalten können sollte, und wie lange er selbst einmal mithilfe einer Pille "konnte". Sex als Hochleistungssport und Wettbewerb.

Jetzt dreimal tief durchatmen, nicht aus dem Kino rennen und den Gedanken verwerfen, dass ungeschlechtliche Fortpflanzung mittels Zellteilung (von Frauen, versteht sich!) die bessere Lösung für die Spezies Mensch und den Planeten gewesen wäre. Derselbe Mann, der minutenlang über die Dauer von Erektionen gesprochen hatte, macht sich später im Film emotional nackig: Nachdem er erklärt, dass Hingabe Frauensache sei, räumt er ein, dass er - als ganz große Ausnahme unter den Männern, wie er vermutet - sich gerne einer Frau hingeben würde, was Frauen allerdings unmännlich fänden. Dann erzählt er noch, dass er vor kurzer Zeit verlassen wurde - weil er zu engagiert, zu "unmännlich" war? Er weint.

Rothlaenders Filmkonzept ist minimalistisch, das Ganze erinnert an eine Versuchsanordnung. Der Regisseur setzt seine Protagonisten vor einen schwarzen Hintergrund, richtet die Kamera frontal auf sie und lässt sie die fremden Texte lesen. Erst still für sich, dann sprechen sie die Worte in die Kamera oder als Voiceover aus dem Off. Manche lesen Wort für Wort vom Blatt ab, was einen netten Verfremdungseffekt bedeutet; andere fassen zusammen, was sie gelesen haben, und machen die fremden Texte auf diese Weise ein wenig zu ihren eigenen. Danach kommentieren sie, was sie gelesen haben, und der Regisseur stellt Fragen. Mehr gibt es nicht im Film, und doch ist "Das starke Geschlecht" bis zum Schluss spannend.

Das liegt an der Auswahl der Protagonisten, die so unterschiedlich sind, dass eine Riesenbandbreite von "Männlichkeit" zum Vorschein kommt. Männer sind verschieden, ihre Vorstellungen von Sex sind es auch. Man hätte es sich eigentlich denken können. Da ist der Frauenheld und Lebenskünstler mit grauem Bart, der sich nicht binden will, seine immer wieder frischen Liebesaffären genießt, aber auch eine große Unsicherheit und Einsamkeit offenbart. Da ist der ehemalige Frauenversteher, der aus Ratgebern gelernt hat, dass Frauen auf Machos stehen, und nun den dominanten Kerl gibt. Einer beschreibt mit rührender Intensität, wie glücklich ihn Sex und die Nähe zu einer Frau machen - und sagt dann, dass er schon seit Jahren keinen Sex mehr hatte, Frauen würden seine Bedürftigkeit spüren, das sei abschreckend. Ein anderer erzählt von hartem Sex und der dunklen Macht, die er in sich spüre. Wie er unterscheiden könne, ob das Nein einer Frau wirklich Nein bedeute oder zum Spiel gehöre? Schwierig.

Der Regisseur stellt die richtigen Fragen und schafft es, seinen Protagonisten die Scham zu nehmen, auch über Themen zu reden, über die man(n) nicht gerne spricht. Das sind Gewaltfantasien oder sexuelle Sonderwünsche oder die Gefahr, die die Grenzüberschreitung Sex ja tatsächlich immer bedeutet. Das größte Tabu für viele dieser Männer aber scheint das Zugeben von Unsicherheit, Schwäche und emotionaler Bedürftigkeit zu sein.

Die männliche Identität beschäftige ihn schon sehr lange, weil er selbst mit seiner eigenen hadere, sagt Rothlaender. Sein Film macht deutlich, dass sich fast alle Befragten an den (vermeintlichen) Wünschen von Frauen orientieren, aber auch kaum einer der Männer danach fragt, was diese Wünsche eigentlich sind. Die Missverständnisse und die Sprachlosigkeit beim Sex, in einer sich "aufgeklärt" und "frei" gebenden, bekenntnisfreudigen Gesellschaft, sind die vielleicht erstaunlichste Beobachtung in diesem Film. Die übrigens nicht an heterosexuelle Beziehungen geknüpft sind, wie die Aussagen eines schwulen Mannes nahelegen. Ein bisschen mehr und offener miteinander reden, wäre in manchen Fällen - vielleicht - eine Hilfe. Die Männer in diesem Film machen schon mal einen Anfang.

Das starke Geschlecht, D 2021 - Regie, Buch: Jonas Rothlaender. Kamera und Originalton: Andreas Hartmann. Schnitt: Carlotta Kittel, Kai Eiermann. Musik: Julius Pollux Rothlaender. Verleih: Missing Films, 102 Minuten. Kinostart: 26. Mai 2022.

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