Das Rote Kreuz und das NS-Regime:Die willigen Helfer

Das Deutsche Rote Kreuz hat im Dritten Reich nicht nur Verwundete gepflegt. Ein neues Buch soll darüber aufklären, wie das DRK zum hörigen Handlanger des NS-Regimes wurde.

Franziska Augstein

Was hat die Taifun-Katastrophe in Birma mit dem Dritten Reich zu tun, einmal davon abgesehen, dass die Regime beider Länder auf Menschenrechte nichts gaben respektive geben?

Ein Buch, das am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde, zeigt unvermutet und ohne dass die Autorinnen dies im mindesten beabsichtigt hätten, eine Parallele auf: Die Rolle von Hilfsorganisationen ist in einer Diktatur prekär.

Ausländische Organisationen werden schnell der Spionage verdächtigt: Das Regime traut ihnen nicht und hält sie für Handlanger seiner außenpolitischen Gegner.

Frei nach dem Spruch, man solle die Danaer fürchten, auch wenn sie Geschenke bringen, betrachten diktatorische Regime fremden Beistand oftmals als bedrohliche Infiltration.

In der Tat war es keine diplomatische Glanzleistung von Seiten der Vereinigten Staaten, dass sie ihre ersten Hilfsgüter für Birma ausgerechnet auf Kriegsschiffen herbeitransportieren wollten.

In den angekündigten amerikanischen Kriegsschiffen dürfte die Militärjunta in Pyinmana nichts anderes als moderne trojanische Pferde gesehen haben. Das paranoide birmesische Regime betrachtet auch staatlich ungebundene Hilfsorganisationen mit scheelem Blick, darunter das Rote Kreuz.

Hand in Hand mit dem NS-Regime

Mit ähnlichem Argwohn sahen viele Repräsentanten des NS-Systems auf das Deutsche Rote Kreuz. Das war ihnen ein Dorn im Auge, weil es versuchte, innerhalb des gleichgeschalteten Staates seine organisatorische Eigenständigkeit zu bewahren.

Nicht zuletzt davon handelt das Buch, das die Historikerinnen Birgitt Morgenbrod und Stephanie Merkenich in Berlin vorgestellt haben: "Das Deutsche Rote Kreuz unter der NS-Diktatur. 1933 - 1945" (Ferdinand Schöningh, Paderborn, 483 Seiten, 39, 90 Euro).

Wie viele deutsche Firmen hat auch das DRK Mitte der neunziger Jahre erkannt, dass es sich den braunen Aspekten seiner Geschichte stellen musste. Zuvor hatte das DRK sich in seinen Publikationen, sofern darin auf die NS-Zeit überhaupt die Rede kam, vornehmlich als eine Art Widerstandsorganisation präsentiert.

Mitte der neunziger Jahre, als die Welle der Firmengeschichten, die sich im Auftrag der jeweiligen Firmen mit dem Gebahren ihres Unternehmens in der NS-Zeit befassen, gerade erst anhob, war es von dem 1994 bestallten DRK-Präsidenten Knut Ipsen ein mutiger Schritt, anlässlich einer Tagung "einen unverstellten Blick zurück" zu werfen.

Ipsen, der damals an der Ruhruniversität Bochum Völkerrecht lehrte, gewann den Bochumer Historiker Hans Mommsen, sich der Organisation des Projekts mitanzunehmen.

Dass es zwölf Jahre dauerte, bis die Publikation zustande kam, liegt Mommsen zufolge daran, dass nach einigen Jahren ein Autorenwechsel nötig geworden sei. Nicht Birgitt Morgenbrod und Stephanie Merkenich ist es zuzuschreiben, dass ihr Buch erst jetzt erscheint. Hans Mommsen hat ihrer Arbeit ein vorzügliches Vorwort vorangestellt.

Dass ein Konzern im Nationalsozialismus ideologisch und organisatorisch auf die gängige Linie einschwenkte, um seine Profite zu mehren, ist eines. Dass auch eine humanitäre Vereinigung wie das Deutsche Rote Kreuz es tat, ist ein anderes.

Überfälliger Schritt

So integer und lobenswert es von Knut Ipsen war, die NS-Vergangenheit des DRK nicht mehr unter den Tisch kehren zu wollen, so notwendig war es auch: 1992 veröffentlichte der Paderborner Historiker Dieter Riesenberger "Das Deutsche Rote Kreuz - Eine Geschichte. 1864 - 1990".

1993 publizierte der praktizierende Mediziner Horst Seithe eine Studie über "Das Deutsche Rote Kreuz im Dritten Reich. 1933 - 1939" (2001 ist sie im Mabuse-Verlag neu aufgelegt worden).

Beide Bücher zeigen, wie das DRK zum Handlanger des Regimes wurde und seinen Auftrag, sich ohne Ansehen der Person für die Opfer von Krieg und Gewalt einzusetzen, hinterging.

Der DRK-Präsident Knut Ipsen - nicht umsonst ist er Experte für die humanitären Aspekte des Völkerrechts - fühlte sich 1996 moralisch verpflichtet, zur NS-Vergangenheit des DRK Stellung zu nehmen. Im Übrigen fand er sich vom Zeitgeist dazu angeregt.

Lesen Sie auf Seite 2, wie das DRK seinen Auftrag verriet.

Die willigen Helfer

Jede Gesellschaft hat ihre eigenen ultimativ normierten Sitten. Dringlicher noch als Knut Ipsen waren die obersten Chefs des DRK von 1933 an genötigt, sich zum Zeitgeist zu verhalten. Passenderweise ging ihre politische Meinung mit der des damaligen Regimes konform.

Kurz nach der Machtübernahme 1933 hatte die Spitze des DRK nichts gegen die Direktive der Regierung, dass es seine Arbeit fortan auf die Verpflegung von Kriegsverletzten konzentrieren solle.

Im Zweiten Weltkrieg fiel die Idee, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene als minderwertige Existenzen zu betrachten, die der Pflege weniger bedürftig wären als Volksdeutsche, auf allen Ebenen des DRK auf fruchtbaren Boden.

Das DRK konnte auf Hunderttausende freiwillige Hilfskräfte zurückgreifen. Für Schwestern und Sanitäter wurden rassenideologische Schulungskurse anberaumt.

Im DRK dominierte die SS

Birgitt Morgenbrod und Stephanie Merkenich haben in den Akten fast vergeblich nach Anzeichen für ideologisch unbefrachtetes humanitäres Engagement gesucht.

Ihr bestes Beispiel ist ein DRK-Oberhelfer, der in der Krankenbaracke der "Rheimag" stationiert war, wo Zwangsarbeiter in unterirdischen Stollen Flugzeuge bauen mussten.

Eines Tages ist der Pfleger abrupt nach Haus gereist. Man weiß nicht, warum. Vielleicht konnte er das Elend, das er sah, nicht mehr ertragen. Von einigen seiner Patienten hat er sich per Postkarte verabschiedet.

Soweit aus dem Buch hervorgeht, wurde dieser Oberpfleger für seine Abreise nicht offiziell zur Verantwortung gezogen. Zumindest ihm wird es zugute gekommen sein, dass das DRK sich als eigenständige Organisation erhalten konnte. Wenig anderes gibt es, womit die Haltung des DRK in jener Zeit sich moralisch rechtfertigen ließe.

Morgendbrod und Merkenich zeigen, dass die Organisation darauf bedacht war, ihre "Chancen" wahrzunehmen. 1944 ließ das DRK sich mit der Durchführung sämtlicher Krankentransporte aus dem Kriegsgebiet betrauen - obwohl die Zuständigen wussten, dass ihre Organisation damit logistisch überfordert war.

Natürlich hat das DRK die Eliminierung der linksgerichteten und der jüdischen freiwilligen Hilfskräfte in seinen Reihen gleich nach 1933 betrieben. SS-Chargen hatten frühzeitig Spitzenposten im DRK übernommen. Die stritten sich dann mit der SA und Martin Bormann, Chef der Reichskanzlei, Fürsprecher der SA. Die SS obsiegte.

Deshalb blieb das DRK nominell unabhängig. In dem unter seiner Aufsicht geführten Hospital in Hohenlynchen wurden grausame Experimente an Menschen durchgeführt. Was die Konzentrationslager angeht, schreiben die Autorinnen, das DRK habe als "willfähriges Sprachrohr des ,Dritten Reiches'" agiert, wenn auch "ungern": Man besichtigte diesen oder jenen Ort und erklärte hernach, dass alles dort bestens bestellt sei.

Von 1942 an entsprach das DRK dabei allerdings den Vorgaben des Internationalen Komitees Rotes Kreuz in Genf, das im Oktober 1942 beschloss, seine Kenntnisse über die deutschen KZs nicht öffentlich zu machen.

Die Autorinnen legen zwar alle Erkenntnisse auf den Tisch. Zu Urteilen, können sie sich aber kaum aufraffen. Vielleicht fühlen sie sich ihrem Geldgeber, dem Deutschen Roten Kreuz, verpflichtet.

Der letzte Satz ihres Buchs lautet: "So aufopferungsvoll und segensreich der Dienst der DRK-Einsatzkräfte vor Ort ... auch immer gewesen ist, so bleibt doch die Frage, ob die nationale Rot-Kreuz-Organisation in Deutschland in den Jahren 1933 - 1945 nicht allzu bereitwillig die auch auf fremdes Leid gerichteten humanitären Prinzipien des Roten Kreuzes preisgegeben" habe.

Das ist keine Frage. Das war so. Auch beschreiben die Autorinnen nicht, wie das DRK nach 1945 seine Kollaboration mit dem NS-System schöngeredet hat.

Eine Studie über den Flick-Konzern, die mit dem Geld des Kunstsammlers Friedrich Christian Flick jetzt vom Münchner Institut für Zeitgeschichte publiziert wurde, geht auf die Zeit nach 1945 ein. Die Frage ist: Wäre das für das DRK zu viel an "Vergangenheitsbewältigung" gewesen?

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