Das Online-Phänomen Second Life:Ein Virtualien-Markt der Eitelkeiten

Es gibt nur richtiges Leben im falschen: Die Online-Simulation "Second Life" zieht Menschen deswegen an, weil es darin zugeht, wie im wirklichen Leben.

Bernd Graff

Das kommt jetzt für manchen überraschend: Ja, es gibt ein zweites Leben. Doch dieses zweite, es heißt auch "Second Life", folgt nicht auf das erste. Es verläuft parallel dazu. Und zwar im Internet. Für alle, die mit vernetzten Computern immer noch nichts anfangen können: "Second Life" ist so etwas wie die aus dem Fernsehen bekannte "Lindenstraße".

Doch gibt es in diesem virtuellen Zweitleben keine Staffeln und keine Folgen, weil Second Life immer spielt, sieben Tage rund um die Uhr, und dafür gibt es auch kein Drehbuch. Folglich gibt es auch keinen Regisseur und keine Schauspieler. Denn jeder, der mag, ist hier Schauspieler und sein eigener Regisseur, jeder kann mitspielen, sich selber gestalten und seine eigene Rolle erfinden. Immer wieder neu. Das tun inzwischen über drei Millionen Menschen rund um den Globus. Die Mitgliederzahl wächst rasant: Vor einem Jahr hatte die virtuelle Welt, man nennt Second Life auch ein "Metaversum", noch kaum mehr als 100.000 Einwohner. Um Mitglied dieser imaginären Internationale ohne Plan und Auftrag zu werden, braucht man sich nur zu registrieren.

Dazu muss man sich einen Namen für das neue Leben geben und eine kostenlose Software auf dem eigenen Rechner installieren, die man bei der Anmeldung gleich mitbekommt. Danach springt man in neuer Haut in die fremde Welt - und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der virtuelle Planet ist fast überall eine gestaltete, bebaute Kulturlandschaft. Nichts hier ist dem Zufall überlassen oder höherer Gewalt, die Tatsache einmal ausgenommen, dass Philip Rosedale, Gründer und Betreiber der Firma "Linden Lab" aus San Francisco diese Welt komplett konzipiert und in ihren Grundzügen entworfen, also programmiert hat. Doch was sich daraus entwickelt, ist alles Tand von Menschenhand. Dörfer aus dem Mittelalter, Diskos der Zukunft, dazwischen Partys und Propaganda: Second Life ist ein Panoptikum menschlicher Phantasie, das sich entfaltet, indem man es benutzt.

Ein soziales Netzwerk synthetischer Figuren und Chatroom mit Bildern, gewissermaßen, und der derzeit angesagte Ort im Netz. Ein Virtualien-Markt der Eitelkeiten zudem. Denn soviel ist auch klar: Um in dieser Welt gesehen zu werden und von anderen erkannt, entwirft man seinen Stellvertreter, den Avatar, selber - in nahezu allen Freiheitsgraden, die Computer ermöglichen. Das heißt, man kann, muss aber nicht, Menschengestalt annehmen, kann nach Belieben das Geschlecht wechseln und die Tönung seiner Haut, wenn man denn überhaupt noch so etwas wie eine Haut will. Oder Haare oder einen Kopf etc. Anders als etwa bei den Sims, den Stellvertreterfiguren für den Personal Computer, die wie Haustiere zu hätscheln sind und denen man dann wie durch das Glas eines Aquariums beim programmiert künstlichen Leben zuschaut, herrschen im Orbit von Second Life außer einem rudimentären Verhaltenskodex zu allgemeiner Toleranz die bekannten Gesetze des Gebens und Nehmens. Das heißt: Man spricht miteinander, ist freundlich und zuvorkommend, doch man muss, wie im richtigen Leben, bezahlen für das, was besonders begehrt ist. Das können Grundstücke oder Outfits sein, das können Informationen sein, das können Sex und entsprechende Spielzeuge (http://www.getxcite.com/) sein.

Adidas hat einen Store für Turnschuhe dort eingerichtet. American Apparel Inc. verkauft T-Shirts, Sony BMG Music Entertainment Platten und Toyota und General Motors versuchen, ihre Autos anzudienen. Wohlgemerkt: Schuhe und Hemden, die nur von den Avataren getragen werden. Darum ist Second Life inzwischen auch ein echter Wirtschaftsraum mit eigener Währung: den LindenDollars, die gegen reale Dollars eingekauft werden.

Der Wechselkurs zurzeit entsprechen etwa 270 Linden-Dollar einem echten US-Dollar, schwankt übrigens. Auskunft darüber erteilt der "Lindex", der "Dax" von Second Life.

Weil es in SecondLife zugeht wie im richtigen Leben auch, blühen die Medien. es gibt immer etwas zu berichten: Der englischsprachige, kostenpflichtige AvaStar aus dem Hause Axel Springer berichtet darüber, BBC unterhält eine Radio-Station, die Nachrichtenagentur Reuters hat Adam Reuters, einen rasenden Reporter, installiert. Die Vernetzung dieses virtuellen Lebens mit anderen Erscheinungsformen Sozialer Netzwerke ist total. So gibt es ganze "Fotoalben" mit ungezählten Avatar-Porträts aus dem SecondLife-Pool bei FlickR.Com. In Youtube findet man Werbefilme für das Metaversum oder Präsentationshilfen für transkontinentale Video-Konferenzen. Diesmal reale. Professoren (auch real) halten dort ihre Seminare vor Avatar-Studenten ab. Golfturniere gibt es natürlich auch. Und ab und an dringen Nachrichten aus dem Ersten Leben ins zweite: Etwa, wenn in SecondLife eine Demonstration gegen das Weltwirtschaftsforum in Davos organisiert wird und vor dem dortigen Reuters-Terminal stattfindet.

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