Süddeutsche Zeitung

Das Leben der Anderen:Das macht er doch mit links

Lesezeit: 2 min

Einfach klasse, Lasse: Er ist zwar eine musikalische Vollniete, kommt aber trotzdem als Pianist groß raus. Hier zeigt er uns, wie das geht: "Amateur - Lasse Gjertsen".

Christian Kortmann

Ein Schlagzeug steht vor Kellerregal und Fototapete. Ein Mann mit wirren langen Haaren und schwarzem Frack - Lasse Gjertsen, der "Amateur" - nähert sich dem Instrument wie ein junger Hund, der staunend seine Welt entdeckt: Hm, wenn ich auf das Pedal da trete, gibt es ein lautes Geräusch, aha! Für jeden ist sichtbar, dass er das Schlagzeug überhaupt nicht beherrscht, ja, er scheint es zum ersten Mal zu spielen: Huch, da fliegt ihm ein Trommelstock aus der Hand, und er stößt sich den Kopf.

Am Anfang zögerlich, dann mit Verve prügelt Lasse auf Trommeln und Becken ein und bellt ins Mikrofon. Man erkennt, dass es nur ein paar unterschiedliche Schlagbewegungen sind, die am digitalen Schneidetisch mehrfach wiederholt und aneinander montiert wurden. Man ahnt also schon, was am Filmende erklärt wird: Wir hören die Original-Geräusche, die ein absoluter Nichtskönner den Instrumenten entlockt, die jedoch brillant zu einer rhythmischen Performance umgruppiert wurden.

Schauspieler, die in Filmen Pianisten mimen, nehmen speziellen Klavierunterricht, in dem sie nur kurze effektvolle Passagen berühmter Werke einstudieren. Doch das ist in Lasses Augen ein reichlich übertriebener Arbeitsaufwand. Wozu sein musikalisches Know-how so eben ausreicht, ist das Schlagen der Triangel, und die spielt er dann auch ungeschnitten in Echtzeit.

Solo für zwei

Lasse treibt die Illusion seiner Musikalität noch eine Stufe weiter: Der Bildschirm teilt sich, und in der linken Hälfte stimmt Lasse am Klavier in die Schlagzeug-Beats ein. Es folgt ein virtuoses Spiel mit dem Split Screen: Während der Piano-Lasse sich beim Klaviersolo verausgabt, zündet sich der Lasse am Schlagzeug in Ruhe eine Zigarette an und demonstriert seine Dominanz über das Instrument. Es verlangt nichts von ihm, er beherrscht es nach Belieben. Das ist das Gegenteil jener Arbeitsethik, die quälenden Fleiß von frühesten Kindesjahren an einfordert, um ein Musikinstrument souverän zu beherrschen.

Doch Lasse hat sich die Instrumente ja bloß für seinen "Amateur"-Film geliehen und eignet sie sich en passant durch die Performance an. Das Schlagzeug spielt er im Frack, am Klavier trägt er eine spuchtige Turnhose über Leggings und Old-School-Schweißbänder am Handgelenk: Seine asynchronen Kostümierungen verdeutlichen, dass er die Traditionen der Instrumente zwar kennt, sie aber bewusst missachtet.

Lasse Gjertsen visualisiert in "Amateur" einen Paradigmenwechsel der Skills, der seit den 1980er-Jahren das Musikgeschäft prägt, vor allem den Pop: Die Produktion von Tönen hat an Bedeutung verloren und die so genannte Post-Produktion ist immer wichtiger geworden. Die Alben von eigentlichen non-singing Starlets wie Michelle Hunziker oder Paris Hilton entstehen auch nichts anders: Vorne singt ein dünnes Stimmchen rein und hinten kommen fett getunte Popsongs raus.

"Amateur" besticht durch seine charmante Haltung, auch dem Medium Internetvideo gegenüber: Lasse tritt so nachlässig auf, als sei ihm alles egal, doch dabei hat er einen strengen schöpferischen Plan, den er konsequent ausführt. Zuvor schon, im Film "Us", hat er seinen Schatten beerdigt und ist im Film "Hyperactive" qua Schnitttechnik zur Human Beat Box mutiert. "Amateur - Lasse Gjertsen" ist der bisherige Höhepunkt seines Schaffens.

Am Ende hat Lasse für das Klavier nur eine ironische Geste des Unverständnisses übrig: Die Nonchalance, die es zu einem Vergnügen macht, ihm zuzusehen, verführt zu seiner Kunst.

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