Das ist schön:Traditionspflege

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Der Giesinger Kulturpreis würdigt das Figurentheater

Von Dirk Wagner

Immerhin ist eine U-Bahnstation nach Franz von Pocci benannt, der im 19. Jahrhundert Papa Schmid unterstützte, sein Münchner Marionettentheater zu eröffnen. Die Stücke, die Pocci für das Marionettentheater schrieb, sind längst Klassiker. Folgt man von Pocci und Schmid ausgehend der Entwicklung des Figurentheaters, wie sie auch im Stadtmuseum aufgezeigt wird, hätte München eine bedeutende Puppenspieler-Stadt werden können. Stattdessen, so drückt es Mascha Erbelding vom Münchner Stadtmuseum aus, sei München auf der Traditionspflege sitzen geblieben. Und München verpasste die Chance, sich als Ausbildungsstätte für das Figurentheater neben Stuttgart und Berlin zu behaupten.

Gerade mal vier Semester durfte der jetzige Direktor des Münchner Marionettentheaters, Siegfried Böhmke, hier Studierenden die Animation von leblosen Objekten vermitteln. Dann wurde der Studiengang aus Kostengründen eingestellt. Als der biennal ausgelobte Giesinger Kulturpreis heuer an Figuren- und Objekttheater vergeben wurde, sah man sich darum genötigt, den Wettbewerb nicht - wie zuvor - nur für Münchner Nachwuchskünstler auszuschreiben. Die hiesige Szene sei zu übersichtlich. Also öffnete man sich dem gesamten deutschsprachigen Raum. Dass die von einer Fachjury ausgesuchten Finalisten überwiegend aus Stuttgart kommen, wo sie an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst studieren, bestätigt die Bedeutung einer Ausbildungsstätte für die lebendige Figurentheater-Szene.

Rafi Martin ist von Paris nach Stuttgart gezogen, um dort Figurentheater zu studieren. Martins Stück "/NOT/ in my name" verhandelt den Identitätsverlust durch Nachnamen, die männlich seien und von Frauen mit der Heirat übernommen werden. In Frankreich werden sie zudem "einfranzösiniert", womit auch die russische Herkunft von Martins Familie gelöscht wurde. All das wird mit Wasser in einem rechtwinkligen Aquarium dargestellt, das an Seilen hängend gedreht wird. Durch die Drehung erscheint das eckige rund, und das aus dem Aquarium schwappende Wasser zieht einen Kreis auf dem Bühnenrand. Es ist das formal ungewöhnlichste Stück eines Abends, der fünf Möglichkeiten des Figuren- und Objekttheaters in der Bayerischen Versicherungskammer präsentiert.

Gewonnen hat den Giesinger Kulturpreis dann die fränkische Puppenspielerin Anna Kuch, die mit Schaumstoffmasken "Die Würstchen der Wahrheit" in Frage stellt: "Die Fiktion muss die Wirklichkeit verändern" fordert Kuch. Denn die Fiktion ist die kümmerliche Hand, die aus der Kiste der Wirklichkeit heraus nach süßen Früchtchen greift. Fünf Versionen eines zeitgenössischen Figurentheaters ließen die Zuschauer von solchen Früchtchen kosten. Im Herbst wird das internationale Figurentheaterfestival München weitere Früchtchen offerieren. Und das ist schön.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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