Süddeutsche Zeitung

Das ist schön:Lerneffekt

Warum ein junges Festival in Burghausen Applaus verdient hat

Kolumne von Oliver Hochkeppel

Es schlug wieder einmal die Stunde der Erbsenzähler. In einem Kommentar zu den soeben bekannt gegebenen Ausgaben der Stadt Burghausen für Kultur rechnete eine Autorin der örtlichen Presse buchstäblich mit dem gerade zum zweiten Mal ausgerichteten "Look Into The Future"-Pfingstfestival ab: Statt 50 000 Euro für ein "teures Gesamtpaket auswärtiger Organisatoren", obendrein "fernab des Mainstream", mit "kryptischem Slogan" und "für ein Zielpublikum 60 plus" auszugeben, gäbe es bestimmt "bessere Alternativen", zum Beispiel "Angebote für die Jüngeren, Wilderen".

Mal abgesehen davon, dass die Jüngeren, Wilderen ihr Ding am liebsten ohne Institutionen und Honoratioren durchziehen, fehlen da die Relationen. 50 000 Euro, das ist die Gage, die ein Jamie Cullum für einen Auftritt bei der Jazzwoche bekommt, und würden wir uns im Bereich der Wirtschaftsförderung bewegen, würde der Sachbearbeiter gleich mal eine Null anhängen, weil er an einen Kommafehler denkt. Hier hat man dafür ein "Gesamtpaket" mit 14 Veranstaltungen bekommen, denn schon die erstaunlich und erfreulich gut besuchten Künstlergespräche nach jedem Konzert waren Ereignisse eigenen Rangs, bei denen man mehr über die Kunst und das Leben erfahren konnte, als im normalen Kulturbetrieb üblich. Was erst recht für den Vortrag des Musikphilosophen Rolf Basten ("Wie kommt das Neue in die Musik?") galt.

Ohnehin war kein einziger Programmpunkt dem ewig das Gleiche perpetuierenden Tour- oder Programmbetrieb entnommen. Ob Kunstausstellung, Stummfilmvertonungen oder die Konzerte von Giora Feidman bis Marilyn Mazur, alles war eigens für dieses Festival und seinen magischen Spielort Kloster Raitenhaslach konzipiert - interdisziplinär und ineinander verschränkt. So viel Genuss, Klasse und Lerneffekt bieten die wenigsten großen Festivals. Freilich, die eingangs zitierte Dame hätte ihre Sicht der Dinge wohl auch nicht geändert, wenn sie bei all dem dabei gewesen wäre. Denn das "Look Into The Future" ist eben nicht für Erbsenzähler gemacht. Und das ist schön.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2019
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