Süddeutsche Zeitung

Das ist schön:Die Neue ist tot, es lebe die Alte

Wie die Pinakotheken aus der Not eine Tugend machen wollen

Von Susanne Hermanski

Plakate sind dazu gemacht, dem Betrachter im Vorübergehen eine Botschaft mitzugeben. Ähnlich einer neuen Liebe soll sie ihm danach nicht mehr aus dem Kopf gehen, bis er endlich, an der Grenze des Wahnsinns, zu einer übersprungsartigen (Kauf-)Handlung getrieben wird. Die Staatsgemäldesammlung versucht dies derzeit mit dem Spruch: "Wenn Du an die Neue denkst ...". Kunst-Dummies sagt der freilich gar nichts. Touristen, die extra nach München gereist sind, um etwa Van Goghs Sonnenblumen aus der Nähe zu betrachten, ebenfalls nicht. Ob eifersüchtige Ehefrauen, Tinder-Fans, Parship-Premium-Mitglieder und die übrigen 800 000 Münchener Singles damit auf die richtige Fährte gelenkt werden, ist ebenfalls fraglich. Denn dafür wie der Claim im Geiste zu Ende gedacht werden sollte, gibt es nur eine Lösung: "... dann geh zur Alten zurück". Nicht einmal Paartherapeuten dürften diese Empfehlung vorbehaltlos unterschreiben, aber darum geht es hier nicht. Nur alteingesessene Münchner, die zudem eine große Liebe zur Bildenden Kunst hegen, können überhaupt die richtigen Schlüsse aus diesen Plakaten ziehen.

Für sie stehen neben dem Spruch noch wahlweise das Konterfei des guten alten Johann Wolfgang von Goethe oder der bedröppelt dreinblickenden Vittoria Caldoni. Während ersterer bekanntlich gern mal an die eine oder andere Neue dachte, kennt das spezielle Schicksal letzterer nur der Kunstgeschichte-Crack.

Die schöne Vittoria war in ihrer Jugend das It-Model der Künstler von Rom. Aus dem 19. Jahrhundert sind mehr als 100 Porträts und Skulpturen überliefert, die sie abbilden; auch das fürs Plakat verwendete Bild von Friedrich Oberbeck. Als sie sich in einen der vielen Maler ernsthaft verliebte, nahm die Sache keinen guten Lauf. Der Mann namens Grigorij Ignatewitsch Laptschenko nahm sie mit in seine kalte russische Heimat, erblindete dort beinah, musste von Künstler auf Verwaltungsbeamter umschulen und bescherte ihr ein kärgliches Leben, in dem er der neoklassizistischen Idealfrau kaum die Butter aufs Brot kaufen konnte. Geschweige denn eine Eintrittskarte fürs Museum.

Darauf nämlich zielt dieses gesamte Gerühre der Werbetrommel: Wer wenigstens einige Werke der wegen Sanierung für viele Jahre geschlossenen Neuen Pinakothek sehen will, der löse, statt nur von ihr zu träumen, ein Billett für die Alte. Dort und in der Sammlung Schack sind diese Werke - wie die traurige Vittoria - ersatzweise ausgestellt. Und das ist, obschon reichlich verrätselt beworben, immerhin schön.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2019
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