Das ist nicht schön:Segel eingeholt

Den exquisiten Plattenladen "Shirokko" gibt es nicht mehr

Von Oliver Hochkeppel

Nimmt man die reinen Umsatzzahlen, geht es nach langer Talfahrt ja gerade wieder aufwärts mit der Musikwirtschaft. Fragt sich nur, wer davon profitiert: Mehr denn je sind es die großen Major-Labels sowie Spotify und Amazon. Und der Vinyl-Boom samt dem erfolgreichen "Record Store Day" mag zwar dazu geführt haben, dass sogar wieder neue Plattenläden eröffnen, doch das betrifft fast ausschließlich den Sammler- und Second-Hand-Bereich. Es wirkt also nur auf den ersten Blick gegen den Trend, dass nun "Shirokko Musik" dicht gemacht hat.

Seit 1970 gab es den "Laden für ausgewählte Musik" in der Ledererstraße, einen Familienbetrieb, den Gerhard Rühl mit Ehefrau Silvia von seiner Mutter übernommen hat, nicht weit vom Hofbräuhaus in einer der heute teuersten Lagen der Stadt. Nach 45 Jahren ging es jetzt ganz schnell: Das Geschäft ist schon ausgeräumt, auf der Homepage die Adresse durchgestrichen und gegen ein Postfach ersetzt, über das der letzte Ausverkauf abgewickelt wird. Es ist genau der Weg von gut 3000 deutschen Fachgeschäften in den Neunzigern, von denen heute weniger als 30 übrig sind. Neugier als Flauten-Antrieb, wie es die Rühls in ihrem Online-Abschiedsgruß für ihr nach dem italienischen Südwind benanntes "Segelschiff auf den Wellen der Musik" schreiben, reicht nicht mehr: "Wir hatten viel zu rudern in letzter Zeit: Containerschiffe der Handelsriesen versperrten uns den Weg, wir wurden von Piraten umzingelt und schließlich vom U-Boot namens Internet bedroht. Jetzt haben wir keine Reserven mehr. Wir holen die Segel ein, hissen die weiße Flagge und gehen von Bord."

Sicher, das Shirokko ist wohl auch kein Laden für jeden gewesen. Schon wegen seiner ästhetischen Nähe zum ECM-Label, dessen Repertoire gut ein Drittel der Schaufenster- und Ladenfläche einnahm. Eine Verbindung, die das Shirokko zumindest in der Gründungsgeschichte mit der - vielleicht auch ungünstigerweise - nur wenige hundert Meter entfernten Jazzabteilung des Kaufhaus Beck eint. Dann war der Raum früher ganz gerne verraucht, und als Kunde wurde man schon mal fragend angeschaut - die persönliche Beratung war bei Rühl und seinen Mitarbeitern keine Einbahnstraße. Aber genau darum geht es: Hatte man früher die Wahl, wie und wo man Platten entdeckt und kauft, so läuft es jetzt immer unausweichlicher auf das unpersönliche Internetgeschäft hinaus. Und das ist nicht schön.

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