Süddeutsche Zeitung

"Das ist Alpha!" von Kollegah:Wir sind alle Lauch

  • Rapper Kollegah hat ein Buch geschrieben, in dem er seine Lebensphilosophie in Ratgeberform ausbreitet.
  • Er wettert darin gegen Verweichlichung und predigt einen radikal egoistischen Sozialdarwinismus.

Von Juliane Liebert

Zurzeit ist viel von der Krise des Lesens die Rede. Immer weniger Menschen kaufen Bücher, die Umsätze können nur durch Preiserhöhungen halbwegs stabil gehalten werden, positive Bilanzen hängen oft von einzelnen Bestsellern ab. Unter Hochdruck forscht die Münchner Verlagsgruppe an einem Gegengift. Um weitere Experimente vornehmen zu können, hat man gerade Thilo Sarrazin, das angereicherte Uran des Sachbuchgeschäfts, auf dem Transfermarkt abgestaubt. Jetzt tritt Kollegah, dessen bürgerlicher Name Felix Blume absolut kompatibel mit dem Büchnerpreis ist, als Autor hervor - zweifellos der kernigste unter den Debütanten. Und er zeigt es allen. Denn er erzählt nicht einfach von seinem Leben, nein, er sagt, wie es läuft. "Das ist Alpha!" ist jedoch kein schnöder Ratgeber. Es ist der neue Zarathustra. Nur praktischer. Aber durchaus mit Askese.

Zunächst müssen wir einer schockierenden Wahrheit ins Auge sehen: Wir sind alle Lauch. Fast alle. Außer ein paar mutmaßlich heterosexuelle Männer wie, sagen wir, Gerhard Schröder, Zlatan Ibrahimovic, Julius Caesar oder eben Kollegah. Abgesehen davon, dass ein guter Lauch Vitamin C, Vitamin K und Folsäure sowie die Mineralstoffe Kalium, Calcium, Magnesium enthält und als Jugendwort des Jahres nominiert ist (ein sprachliches Todesurteil), zeichnet er sich laut Kollegah dadurch aus, dass er chronisch, tja, ungefickt ist.

Wenn man sich einen knackigen Lauch frisch vom Feld so anschaut, könnte man sich durchaus fragen, ob sich da nicht was machen ließe. Aber Kollegah will das Gemüse bei der Wurzel packen und ausreißen. Der Lauch ist die zur vegetabilen Metapher geronnene nietzscheanische Sklavenmoral und muss überwunden werden. Physisch und psychisch. Nicht weniger hat sich Kollegah vorgenommen, und er verliert keine Zeit. Etwa hundert Seiten widmet er der Analyse der Misere, die übrigen 150 füllen seine Boss-Gebote.

Man könnte Kollegahs Buch beinahe für genial-ironischen Camp halten

Hier muss angemerkt werden, dass "Boss" und "Alpha" nicht irgendwelche extra für dieses Buch erfundenen Motivationsbegriffe sind, sondern von Kollegah seit Jahren gepflegte Marken. Er weiß, wie man sich Goldkettchen und Dobermänner verdient. Wegen seiner teils drastischen Texte war er immer wieder im Gespräch. Zuletzt gelang es ihm und seinem Komplizen Farid Bang mit der Zeile "mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen", den Echo abzuschaffen. Nebenbei hat er eine Weile Jura studiert und etliche Goldene Schallplatten zur Wanddekoration erhalten. Nun ist er bald 35, und in der Mitte seiner Lebensreise ist ihm wohl aufgegangen, dass er seine Erfahrung an seine zahllosen pubertierenden Fans auch in Form eines Buches weitergeben, also endlich ihre flehentlichen Bitten nach Ratschlägen vom Boss erhören muss.

Er geht dabei systematisch vor. Ein Alpha ist für ihn ein selbstbewusstes Individuum, das die Anlagen hat, nach oben zu kommen. Ein Boss ist nur derjenige, der diese Anlagen auch entfaltet. Genau das soll dieses Buch lehren. Klar wird dabei recht schnell: In Kollegahs Welt können nur heterosexuelle Männer Alphas und Bosse sein. Aber auch für alle, die an dieser Stelle raus sind, kann sich der Kauf unter Umständen lohnen, denn das Buch ist zugleich eine Art Pin-up-Kalender. Kollegah mit nacktem Oberkörper, Kollegah als Gladiator. Kombiniert mit teils grandios dürftig formuliertem Text könnte man es für genial-ironischen Camp halten, und wer weiß, vielleicht spielt Kollegah tatsächlich ein bisschen auch damit.

Wer Alpha-Potenzial hat, soll unter der Peitsche des Meisters den wahren Anführer aus sich herausholen. Ironischerweise wird der Alphatier-Gedanke von der evolutionsbiologischen Forschung zunehmend kritisch gesehen, Kooperation sowohl zwischen Individuen als auch zwischen Arten scheint in der Entwicklung des Lebens wichtiger gewesen zu sein.

Kollegah wird das nicht irritieren. Dass er mit extrem zugespitzten Kategorien operiert, weiß er. Seine Vereinfachungen dienten der Verdeutlichung. Er lehrt seine Jünger: Beschwer dich nicht über deine beschissene Lage, lache Verlierer nicht aus, sondern lerne aus ihrem Scheitern, laber nicht, schon gar nicht erteile ungefragt Ratschläge. Sei niemals zufrieden, fordere dich ständig, belohne dich, wenn du ein selbstgestecktes Ziel erreicht hast, aber dann sofort wieder ran an die Arbeit. Pflege deine sozialen Bindungen, aber mache dich niemals abhängig. Unterbrochen wird der Text immer wieder von kleinen Storys aus Kollegahs Leben. So erfahren wir etwa, dass er für längere Zeit nur auf dem Boden schlief, sogar in möglichst unbequemen Positionen (etwa auf dem Musikantenknochen), um sich zu stählen. Im Gebote-Teil wird es dann irgendwann zäh. Man erfährt, dass man sich gut kleiden soll, der Händedruck stimmen muss, dass Fehler wichtig sind (Aber nie rumheulen. Rumheulen ist das Schlimmste!), der Körper auf Vordermann zu bringen ist, Pornos böse sind. Und so weiter.

Natürlich kann man all das zu sozialdarwinistischem neoliberalem Selbstoptimierungsquatsch erklären, wie er von tausend Coaches vermittelt wird (für Kollegah alles Lauchs, die ihr Hartz-IV aufbessern wollen). Aber viele Menschen scheinen aus ihrer Alltagserfahrung heraus zu dem Schluss gelangt zu sein, dass dieses Weltbild so falsch nicht ist, und "Das ist Alpha" bereitet es zumindest griffig auf. Wie praktikabel ist es also?

Was die Basics angeht, ist an Kollegahs Programm gar nicht so viel auszusetzen. Ja, es ist sexistisch, aber will auch gutes, respektvolles Benehmen lehren. Homophobie ist präsent, aber eher am Rande. Unserer Gesellschaft wirft er kollektive Verweichlichung durch Androgynität vor. Das Verhältnis zu Frauen ist dann schon ausführlicher Thema. Denn wofür interessiert sich der pubertierende Kollegah-Fan? Richtig! Frauen.

Das "Alpha-Mindset" ist radikales Egoprogramm, libertäres Denken mit konservativem Unterbau

Der Boss weiß, was Frauen wollen: nämlich geführt werden. Aber sei's drum, selbst dieses eher dumpfe Klischee männlicher Dominanz bleibt halbwegs menschenfreundlich, denn ein Boss will niemandem etwas aufzwingen. Er lebt idealerweise einfach sein völlig freies Leben und übt Autorität allein durch seine Unabhängigkeit aus. Eben diese größtmögliche Freiheit scheint für Kollegah das Endziel der Persönlichkeitsentwicklung. Geld ist dabei ein Mittel, aber nicht der Hauptzweck. Machiavelli wird erwähnt, Nietzsche liegt assoziativ näher. Allerdings besteht hier kein Interesse an grundsätzlicher Umwertung der Werte. Im Gegenteil, nur die Fittesten überleben. Und das sind eben nicht die Stärksten, sondern die Anpassungsfähigsten. Das "Alpha-Mindset" ist also ein radikales Egoprogramm, libertäres Denken mit konservativem Unterbau (Männer führen, die heteronormative Familie steht über allem). Sieht man sich an, wie grotesk übertrieben dieses Buch in jeder Hinsicht daherkommt, kann man ins Grübeln darüber geraten, wann die Popkultur eigentlich ihre Unschuld verloren hat. Früher war es leicht, gegen die Spießer zu sein. Heute ist die reale Politik - trotz AfD - so liberal wie nie.

Interessanterweise ist Felix Blume, dessen biologischer Vater Kanadier ist, ja sozusagen Deutscher mit selbsterschaffenem Migrationshintergrund. Als Teenager kam er über seinen algerischen Stiefvater mit dem Islam in Kontakt und konvertierte. Für Björn Höcke wäre das wohl eine Art individuelle Selbstumvolkung.

Im Hip-Hop-Geschäft fällt jedenfalls kaum jemandem auf, dass er streng genommen keine arabische Abstammungscredibility vorweisen kann. Man assoziiert ihn mit seinen Kumpels wie Farid Bang, der marokkanisch-spanischer Herkunft ist. Letztlich ist er ganz Kind der kulturellen Diversität und hat sich, in Übereinstimmung mit seinen Boss-Regeln, seinem Umfeld angepasst. Gleichzeitig hat er die Gangsterversion des American Dream verinnerlicht, die den Materialismus so übersteigert, dass man manchmal nicht weiß, ob man lachen oder sich fürchten soll.

Ob das Selfmade-Millionär-Ethos nun als Sozialdarwinismus demaskiert oder vielmehr hysterisch gefeiert wird, ist in dieser Kultur nicht immer eindeutig.

Vielleicht hat Sarrazin ja recht: Das Abendland geht unter. Doch Boss Blume schaut auf den glühenden Horizont und stolziert in den Sonnenuntergang. Dass er dabei vielleicht nicht ganz so sehr Pionier ist, wie er zu sein glaubt, sondern etliche Frauen, Schwule, israelische Kinder von Auschwitzinsassen, transsexuelle Inder und andere glückliche, duftende Lauchs schon vorausgegangen sind, also längst alles Mögliche von Alpha bis Omega sind (manchmal sogar vieles vereint in einer Person) und die Zukunft gestalten, muss ihm ja niemand sagen.

Solange er nicht allzu straffällig wird und seine Steuern zahlt, darf er mitspielen. Hier ist auch für goldglänzende Gladiatoren und andere niedliche Alphatierchen Platz.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2018/doer
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