Das Internetvideo der Woche:Reine Überkopfsache

Sie springen über Häuserschluchten und nehmen Rolltreppen am liebsten im Handstand: Parkour geistert als urbaner Trendsport durch die Medien, höchste Zeit für eine gelungene Parodie.

Christian Kortmann

Ein Sport hat seine Zeit der Aufmerksamkeit gehabt: Parkour, artistisches Durch-die-Stadt-Turnen, das an Skateboardfahren ohne Skateboard erinnert, stieg in jüngster Zeit zur medialen Trendsportart auf. Die Karriere gipfelte im jüngsten James-Bond-Film "Casino Royale", in dem Bond und ein Bösewicht sich eine Parkour-Verfolgungsjagd über eine Baustelle liefern.

Dies war nur auf den ersten Blick ein minimalisierender Schritt, der zuliebe körperlicher Authentizität von der hochgezüchteten Gadget-Technik im Bond-Universum Abschied nimmt. Denn Parkour ist weniger simpel als es scheint, weil die Sportler ihre Tricks auch als angewandte Architekturkritik des urbanen Raums begreifen, etwa wenn in der Pariser Métro ein Mann im Handstand auf einem Mülleimer steht, während um ihn herum das übliche Gewusel tobt.

Im Clip "Mr Puma - Nové in the subway" taucht Darsteller Mr. Puma vor rötlich schimmernden Kacheln in der U-Bahn-Station wie aus der Unterwelt auf. Er hat sich einen Ort gesucht, an dem Turnübungen nicht nur ungewöhnlich, sondern auch gefährlich sind. Die Warnung des "Zurückbleibens von der Bahnsteigkante" nimmt Mr. Puma als Herausforderung, um sein Können und die zentimetergenaue Präzision seiner Bewegungen zu demonstrieren.

Hallo Raum!

Gleich zu Beginn springt er rückwarts in den Handstand in den weißen Gefahrenbereich direkt am Schienengraben hinein. Dann hechtet er über ein Hindernis in den Handstand, als eine U-Bahn einfährt: er vertraut seinen Fähigkeiten. Dem Augenschein nach zu Recht, denn seine Übungen sehen nicht unsicherer aus als der Bewegungsmodus der Passanten.

Seine Geschmeidigkeit und Kraft sind verblüffend, er benutzt seine Arme wie wir die Beine. Mr. Puma steht nämlich nicht nur auf den Armen, sondern springt damit einen halben Meter hoch und landet nach Hechtsprüngen auf den Händen, tut also Dinge, bei denen man dachte, die Handgelenke müssten sofort brechen.

Sein Künstlername ist treffend: Wie der Puma vierfüßig ist, ist Mr. Puma ein vertikal beidseitiger Mensch. In der schönsten Sequenz bewegt er sich parallel zur anfahrenden U-Bahn, er beschleunigt seinen Flickflack sogar - man würde sich nicht wundern, verschwände er mit dem Zug im Tunnel.

Die dynamische Raumkomposition macht den Clip zu einem der besten Parkour-Videos im Netz. Am Ende, nachdem er gezeigt hat, was in der Pariser Métro bei entsprechendem Training möglich ist, verschwindet er wieder in den Untergrund.

Was Mr. Puma ohne Worte bewiesen hat, dass Parkour auch Kommunikationskunst mit dem Raum ist, will der Clip "Parkour Documentary" erklären: In schnellen Schnitten wird die Architektur eines Hauseingangs gefeiert. "I love this spot. I love this space", sagt eine Männerstimme mit französischem Akzent aus dem Off.

Wir Stolperer

Die Parkour-Sportler bewerten Architektur nach neuen Kriterien: Nicht formale Klarheit ist das Paradigma, sondern die unbeabsichtigte ornamentale Vielfalt, die Entdeckungen möglich macht. Großaufnahmen fahren zärtlich an Geländern entlang, die man vorher nicht annähernd für lobenswert gehalten hätte - restriktive Architektur wird lustvoll umgedeutet.

Es ist ein Winden und Schlängeln, mit dem sich die Artisten dort bewegen. Und ihre Ideen sind genauso geschmeidig, ernst und feierlich preisen die Sportler diesen Hauseingang, deuten den Raum für ihre Zwecke um. Sie haben hier eine "grüne Stelle" (Friedrich Theodor Vischer) entdeckt, einen Ort, an dem Poesie in der Prosa des Alltags noch möglich ist.

Von hier ist der Schritt zur Parodie nicht weit: Die englische Comedygruppe The Suggestibles nennt ihren Clip "Pour Quoi" ("Warum") und machen sich gekonnt über die medialen Blüten von Parkour lustig. Ihre Parodie benutzt die Kennzeichen des Genres und lässt sie ins Leere laufen: Der Clip spielt in einer tristen Vorstadt, wo Parkour einst erfunden wurde, dazu läuft französische Rap-Musik, der optische Dreiklang aus Streetwear, Strickmützen, Sonnenbrillen ist stimmig.

Baptiste und sein Bruder verklären ihren Sport zuerst in unverständlichem Phantasiefranzöisch und machen sinnlose Gesten. Sie sagen zwar "Every urban space is opportunity", nehmen diese Möglichkeiten aber nicht wahr. Denn die Tricks, die sie dann zeigen, sind eben keine Tricks, sondern nur Bewegungen, die kein Training und kein besonderes Können erfordern und den philosophischen Gehalt der Disziplin ins Lächerliche drehen: Himmel-und-Hölle-Gehüpfe an Parkplatzmarkierungen, über die Brüstung hängen wie der altbekannte nasse Sack. Wo kein atemberaubender Trick gezeigt wird, kann die philosophische Überhöhung auch nicht beglaubigt werden.

Es gibt Parkour-Clips jetzt also in allen Varianten im Netz: in Perfektion, als selbstreferentielle Übersteigerung und als Parodie. In kürzester Zeit hat sich ein Genre in seiner ganzen Breite verwirklicht. Der genaue, im Kern liebevolle Blick der Parodie zeigt, was Parkour vom Turnen in einer Sporthalle unterscheidet: Nämlich die Wahrnehmung der urbanen Welt als ein Paradies der artistischen Möglichkeiten.

Wir anderen stolpern ja meist wie Baptiste und sein Bruder durch die Städte, und bleiben eher in der Drehtür stecken, als dass wir den Hechtsprung übers Drehkreuz wagen.

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