Süddeutsche Zeitung

Das Internetvideo der Woche:Guten Tag, auf Wiedersehen

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Fette Manieren: Nur blutige Anfänger schütteln sich die Hände oder drücken sich Bussis auf die Wangen - eine wirklich professionelle Begrüßung in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Manchmal liegt es nur an wenigen Jahren Altersunterschied, dass man sich nicht versteht. Bei jüngeren Menschen beobachtet man mysteriöse Sprachelemente oder ausgereifte Zeichensysteme und hat Hemmungen, nachzufragen und sich als veralteter Nicht-Versteher zu erkennen zu geben. So sieht man dem Treiben der Zeichen staunend zu und akzeptiert, dass diese Botschaften eben nicht für einen bestimmt sind. In direkter Kommunikation allerdings, wenn man etwa eine Sofortmitteilung mit dem Inhalt "^^" erhält, fragt man dann doch und erfährt, dass es sich um stilisierte zusammengekniffene Augen beim Grinsen handelt.

Diese Zeichensprachen wandeln sich von Szene zu Szene, und vor allem die Jugendkultur ist ja in Stämme ausgeformt, die um ihre feinen Unterschiede wissen. Im Stamm der Hip-Hopper gibt es die körpersprachliche Besonderheit, sich mit einem individuell entworfenen Ritual zu begrüßen und zu verabschieden. Zwei Stammesmitglieder führen dabei einen elaborierten Handschlag aus, eine Fingerakrobatik des Ineinandergreifens und Loslassens, als seien ihre zehn Finger Bolzen im Haustürschloss zum coolen Ich, die beim Zusammentreffen perfekt ineinanderpassen und bei der Verabschiedung genau getrennt werden müssen.

Diesem Ritus widmet sich der Clip "POUND", indem er das Begrüßungsritual einige Nummern größer ins Filmische projiziert, ein Blow-up, das aus einem Subkulturphänomen Bewegungskunst macht. Von dem Moment an, in dem sie sich erblicken, freuen sich die beiden Hauptdarsteller auf den Tanz im Stand, der folgen wird. Sie klatschen sich ab, doch wo bei anderen die Begrüßung vorbei wäre, ist es hier das Startsignal für eine Show, die sie für sich selbst aufführen: Auf Händedruck folgen Armklopfer und Beinhakler, dann erinnert es sogar an einen Schuhplattler. Die beiden nutzen ihre Hip-Hop-Accessoires, drehen an den Schirmen ihrer Kappen, als wollten sie sagen: Hey, mach den Kopf auf für mich!

Treffen sich zwei Könige

Ihre Gesten scheinen etwas Unsichtbares hin und her zu reichen - sie sind ganz in einer imaginären, in ihrer Welt. Bei der Fingerfeinarbeit fährt die Kamera nah an die Hände. Sie können es aber auch mit vollem Körpereinsatz: Der eine wird über den Rücken des anderen geworfen und landet im Spagat. Mit den Stimmen beatboxen sie Special Effects, und neben dem lässigen Scratchen des Soundtracks sind ja auch ihre Bewegungen Musik: Sie haben Rhythmus und Groove und die formale Klasse eines Maßanzugs.

Nach kurzem Gespräch müssen die Jungs weiter, es ist ja nur ein zufälliges Treffen auf der Straße, jedoch können sie sich nicht ohne Abschiedstanz trennen. Schon wieder geht es also los mit dem Geklatsche und Geklopfe. Sie tauschen die Kappen zurück, die bei der Begrüßung die Köpfe gewechselt haben, es muss alles seine Ordnung haben. Dass Begrüßung und Abschied jeweils ohne Schnitt gedreht wurden, verdeutlicht die Wichtigkeit des Rituals in der Gangs und Allianzen hochschätzenden Hip-Hop-Kultur: Sie haben es verinnerlicht und spielen es so leicht ab wie wir einen Händedruck.

"POUND" ist eine ganz feine Parodie, die nur wenig überzieht. Anstatt ihre Objekte lächerlich zu machen, würdigt sie das Begrüßungsritual, indem sie es in einer pompösen, nie gesehenen Variante zeigt: So würden sich die Könige des Hip-Hops begrüßen, die, von beschwerlicher Arbeit befreit, sich ganz dem Repräsentieren und der Verfeinerung ihres Stils widmen können.

Finaler Handschlag

Man merkt, dass mit Evan Bernard ein Kenner der Materie Regie geführt hat: Er drehte Musikvideos unter anderem für die Beastie Boys, die im Song "Get it Together" seinen Namen fallenlassen und ihm damit ihre Reverenz erweisen. Bernard beweist bei seiner filmischen Spielerei genaues Gespür für das Genre Internetvideo: Er verzichtet etwa auf einen Vorspann, hat den Titel aber auf den Bürgersteig gesprüht; so wirkt der Clip beiläufig aus einer alltäglichen Straßenszene heraus gefilmt und doch gestaltet.

Sein Film treibt das formale Protokoll sozialer Kontakte auf die Spitze und zeigt, wie daraus in der Praxis ein Lustgewinn erzielt wird. Denn die Begrüßung zweier Homeboys ist niemals eine langweilige Abfolge von Bewegungen. Die choreographierten Moves machen Freude, weil man etwas für Außenstehende Sinnloses tut, und einen die intime Kenntnis des Rituals zusammenschweißt. Freundschaften beruhen ja auf stillen Übereinkünften, man weiß, dass man ähnliche Ansichten teilt, sich auf den anderen verlassen und deshalb auch gemeinsam schweigen kann: Zwei Hip-Hopper versichern sich bei der Begrüßung körperlich ihrer gemeinsamen Basis.

Nach der Verabschiedung biegt einer der beiden Jungs um die Ecke und trifft den nächsten Kumpel. Ein Handschlag, und da ist der Film vorbei. Ein abruptes, ein großes Ende: Wird das nächste Begrüßungsritual genau so ablaufen wie das erste; wird es sich unterscheiden? Wir wissen es nicht. Klar ist jedenfalls, dass Brötchenholen auf diese Weise recht lange dauert.

"Das Leben der Anderen" live auf der Bühne - am 13. und 14. Juli 2007 im Rahmen des "Brandherde"-Festivals in den Münchner Kammerspielen: DREAMLAND: KORTMANN & GÜNTHER SURFEN DURCH DAS PARALLELUNIVERSUM

Wer heute im Internet surft, braucht ein gutes Informations-Immunsystem, um glaubwürdige und unglaubwürdige, wichtige und unwichtige Quellen zu unterscheiden. Täglich gibt es unzählige brandaktuelle Videos über Gott, die Welt und das Leben in der Röhre. Christian Kortmann, der Woche für Woche die besten Clips in seiner sueddeutsche.de-Kolumne "Das Leben der Anderen" vorstellt, diskutiert mit Matthias Günther über aktuelle Netzphänomene.

www.muenchner-kammerspiele.de

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