Das Internetvideo der Woche:Ein echter Colt für alle Fälle

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Gefesselt im Kofferraum eines fahrerlos dahinrasenden Wagens: Wie man sich aus dieser Situation befreit und noch härtere Stuntman-Action in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Ein gefesselter Mann liegt in einem engen Raum, ein blutverschmiertes Klebeband knebelt ihn: Lucky ist gerade aufgewacht, windet sich aus seinen Fesseln und stößt die Klappe über sich auf. Aha, er befindet sich im Kofferraum eines Autos. Dunkelheit weicht grellem Licht, statt Stöhnen und Ächzen hört man jetzt das gleichmäßige Motorengeräusch eines Autos, das über eine Wüstenstraße fährt.

Lucky sieht, dass niemand am Steuer sitzt. Er wirft sich kühn über die Kofferraumklappe auf das Dach des Autos, robbt darauf herum, beherrscht das Fahrzeug wie ein Surfbrett in den Wellen. Alle Türen sind verschlossen, also schlägt er mit dem Außenspiegel die Windschutzscheibe ein. Dann bringt er den Wagen unter Kontrolle - ein Stein lag auf dem Gaspedal. Der Film nimmt das Tempo raus, Stille am Ende. Jetzt ist alles gut, jetzt kann nichts mehr passieren: Lucky hat alle Gefahren überwunden und schaltet den Motor aus. Da piept es in einem gefährlich hohen Ton, und das Auto explodiert.

Nash Edgerton heißt der Regisseur und Hauptdarsteller von "Lucky". Der 34-jährige Stuntman aus Australien verdient sein Geld in Hollywood, etwa als Ewan McGregors Obi-Wan-Double in den "Star Wars"-Filmen. Doch anders als die meisten Stuntmen hat Edgerton auch Ambitionen als Regisseur. Seine Kurzfilme beleben unsere Phantasie vom Stuntman wieder, der mit Superheldenkräften ausgestattet ist; dem also Dinge möglich sind, von denen wir nur träumen. Seit der TV-Serie "Ein Colt für alle Fälle" in den Achtzigern ist der Stuntman aus dem Blickfeld geraten, da die Großeffekte der digitalen Bildbearbeitung das körperliche Handwerk in den Hintergrund gerückt haben. Damals, als Teenager, glaubte man noch an die Wahrheit der Bilder und war enttäuscht darüber, dass Hauptdarsteller Lee Majors selbst gar kein Stuntman war, sondern seine Colt-Seavers-Stunts ebenfalls gedoubelt wurden.

Nash Edgerton hingegen ist ein wahrer Actionheld: Seine Filme sind hart und trocken wie Wüstenrockmusik, physische Übungen im Erzählen mit Körper und analogen Maschinen. Sie wurden auf Festivals gezeigt und finden nun im Internet ihr Publikum. Mit ihrer kompakten Dramaturgie sind sie wie fürs Netz gemacht: So ist "Lucky" die Essenz eines Actionfilms in vier Minuten: Gewalt, Bewegung, Drama.

Noch komprimierter wird die Faszination der Stunt-Ästhetik in der filmischen Miniatur "Hammer vs Fire Extinguisher", einer Produktion von Edgertons Filmfirma Blue Tongue, vorgeführt: Ein übermütiger junger Mann will einem anderen einen Streich spielen und schlägt ihm mit dem Hammer auf die Hand. Aua!

Unbekannter Feind

Doch der Getroffene versteht keinen Spaß, nimmt einen Feuerlöscher und rammt ihm dem anderen vor den Kopf. Der Schlag streckt ihn nieder, und die Anwesenden sind ersetzt. So brutal das aussieht, so witzig ist es - "Hammer gegen Feuerlöscher" ist eine Stuntmen-Visitenkarte: Sie können im Film Dinge tun, die kein menschlicher Leib unbeschadet übersteht, indem sie illusionistische Tricks benutzen, die dem Zuschauer entgehen.

"The Pitch", ein weiterer Film Edgertons, ist aus der Sicht einer Produzentin erzählt, der ein junger Filmemacher von seinem geplanten Actionfilm berichtet. Sein Actionwille ist so ausgeprägt, dass das Chefinnenbüro zum Schauplatz seiner Geschichte wird: Er fährt Auto auf dem Stuhl, klettert über die Möbel (weil die Produzentin den Stunt aus "Mission: Impossible 2" nicht kennt) und veranstaltet mit einem zusammengerollten Prospekt ein Kettensägenmassaker. Stuntmen setzen Ideen in visuelle Überwältigung um. Und dies werden sie zumindest so lange tun, bis man digital erzeugten Figuren ihre Herkunft nicht mehr ansieht.

Der Clou von "The Pitch" besteht darin, dass wir zwar den Nachwuchsregisseur aus der Perspektive des Chefschreibtisches sehen, jedoch die Bilder eingestreut werden, die in seinem enthusiasmierten Geist entstehen. Die bornierte Unterkühltheit der Produzentin, die schon alles gesehen hat, steigt aus ihrem Schweigen auf. Sie will nur wissen, ob es eine abendfüllende Angelegenheit wird. Nö, sagt der Jungregisseur, das wird ein Kurzfilm, da bringe er die ganzen Stunts schon drin unter.

Stunts und Film gehören seit den Postkutschen- und Pferdeverfolgungsjagden des Westerns so eng zusammen, weil sie Illusionen körperlich beglaubigen: Wir wissen zwar, dass nicht Tom Cruise die lebensgefährlichen Manöver von Ethan Hunt in "M:I-2" ausführt, wollen aber daran glauben. Aus dieser Übereinkunft bezieht auch die Dramaturgie von "Lucky" ihren Witz. Der uns unbekannte Feind, der den Mann in den Kofferraum gesperrt hat, ahnte voraus, dass Lucky sich auf den Fahrersitz vorarbeiten und den Wagen zum Stillstand bringen würde. Er hat die Falle nicht für einen normalen Menschen, sondern für einen Stuntman präpariert.

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