Das Internetvideo der Woche:Ein bisschen Schmerz muss sein

Herr Dupont fährt Motocross im Zentrum von Lyon und lässt sich auch vom dichtesten Verkehr nicht stoppen - radikaler Motorradsport und Evil Knievels schmerzhafte Landungen.

Christian Kortmann

Julien Dupont ist die absolute Katastrophe für jeden Spaziergänger, der seine Ruhe haben möchte, für jeden Anwohner, der seinen Mittagsschlaf bei geöffnetem Fenster hält, und für jeden desillusionierten Verkehrsteilnehmer, der sich im Stop-and-Go-Modus durch die Straßen schiebt.

Denn Dupont fährt Motocross in der Innenstadt von Lyon und lebt auf seinem Motorrad automobile Freiheit vor. Und die ist wild und macht gewaltigen Lärm. Er mogelt sich durch den Verkehr ohne zu mogeln, weil er die Maschine so gut beherrscht, dass er niemandem in die Quere kommt. Nicht nur auf den Straßen ist er im Clip "urban and freestyle trial" unterwegs, sondern auch auf schmalen Treppen, an Wänden, in der Luft und nicht zuletzt auf schwindelerregenden Brückenbögen: Der Ritt über diese schmalen Betonwellen ist ein ultimativer Beweis des Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten.

Indem er sein Trial-Motorrad von den Erdhügeln und Schanzen in die Asphaltlandschaft transferiert, erweitert Dupont die Möglichkeiten seines Sports in eine zivilisierte Szenerie hinein, wo er stört: Im Internetvideo schaut man städtische Motorradstunts gerne an; in der Realität ärgert man sich jedoch schon beim Wandern in ländlichen Regionen über die Dorfjugend, die auf dem frisierten Mofa zwischen Dorfkrug und Feuerwehrfest hin und her knattert.

Der Clip verbindet das Trial-Motorradfahren mit Elementen der urbanen Sportarten BMX-Radfahren und Parkour-Asphaltturnen. Doch er hat da, wo Tricks mit Körperkraft gewöhnlich ausgereizt sind, noch den entscheidenden Schub im Gasgriff, um den Trick in andere Dimension zu drücken. Zeigt er vielleicht jetzt schon die Stunts, die in ferner Zukunft Menschen auf dem Fahrrad machen werden?

Es ist Duponts Kreativität, die gewisse Tricks erst möglich macht. Er lotet die in der urbanen Architektur verborgenen Chancen aus: Lyon lag immer schon so da, die Trial-Motorräder gab es auch, aber Dupont musste kommen, um diese Bühne für verblüffende Bilder zu entdecken.

Für einen der Pioniere des Motorradstunts, den kürzlich verstorbenen Evil Knievel, zählten weniger die tricktechnischen Finessen als die Länge des Sprungs und der Mut zu gebrochenen Knochen. Knievels schrecklichen Sturz beim Versuch, den Brunnen vorm Caesars Palace in Las Vegas zu überspringen, können Hartgesottene bei YouTube anschauen: In Zeitlupe verwinden sich Knievels Glieder wie die Glieder eines Dummys und schlagen auf den Asphalt. Angeblich brach er sich dabei 40 Knochen und lag 29 Tage lang im Koma.

In Knievels Stunt-Konzept war jede Landung eine neue Herausforderung: In der Luft wusste er nicht, was ihn gleich erwarten würden. Deswegen rennen, wie man im Clip "Evil Knievel" sieht, die Zuschauer herbei und umringen ihn, sobald er einen Trick gestanden hat: Sie sind erleichtert und freuen sich mit ihm. Dieses Stehen oder Nichtstehen eines Sprungs war dann auch die dramaturgische Distanz, die man als Kind mit der Knievel-Figur im Kinderzimmerhimmel stets aufs Neue durchmaß.

Knievel erzählt im Clip von seinen Anfängen, als er noch Rennen fuhr. Doch das war zu prosaisch für ihn: Schon sieht man ihn mit Fallschirm in die Luft gehen, durch brennende Holzwände rasen, sieht, wie er sich mal unter ein Motorrad drunterlegt, mal in voller Fahrt darüberspringt. Er musste die Machbarkeit von Dingen austesten, wie auch Julien Dupont heute in der urbanen Infrastruktur nichts unversucht lässt. Einmal bleibt er an seinem Evil-Knievel-Truck hängen, scheitert also bildhaft an den selbst gesetzten Zielen. Und am Ende des Clips, im Stadion, ähnelt sein Bild dem von Elvis Presley, einem anderen großen Selbstzerstörer.

Wo verbergen sich bei Julien Dupont die Schmerzen, die unumgänglich sind, um solch Gefahrvolles ungefährlich aussehen zu lassen? Sein Clip ist schnell geschnitten und zeigt, von wenigen Pannen abgesehen, nur die gelungenen Momente. Ohne Üben und Stürzen ist solch ein fehlerloser Auftritt jedoch nicht möglich.

In einer Szene rutscht er auf Knieschonern durchs Bild und zeigt, dass er sich auf jede Art souverän bewegen kann. Die Schoner sind aber auch ein Zeichen dafür, dass Julien Dupont ab und zu unfreiwillig vom Motorrad steigt, und damit der einzige Hinweis darauf, dass die spielerische Leichtigkeit dieses Clips hart erarbeitet ist.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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